Es wird kälter in Deutschland. Die Jahreszeit verschärft die praktischen Bedingungen in der Flüchtlingsfrage. Auch im übertragenen Sinn nimmt die Kälte zu. Gegen das zuversichtliche „Wir schaffen das!“ stellt sich zunehmend ein besorgtes „Schafft uns das?“ Die Aufgabe wächst mit jedem Tag. Die Städte schlagen Alarm. Europa spaltet. Der Koalitionskrach verunsichert. Populisten schüren Ängste. Die Stimmung in der Bevölkerung schwankt zwischen Willkommen und Abwehr.
Die direkten Erfahrungen mit den Flüchtlingen und die Kreativität, mit denen die vielen engagierten Helfer Lösungen schaffen und bürokratische Hürden überwinden, ermutigen. Nur stets gibt es auch ein Aber. Über Nacht werden in einer Turnhalle 150 Plätze für die Erstaufnahme hergerichtet. Bedienstete und Freiwillige erfüllt es mit Stolz, diesen Kraftakt bewältigt zu haben. Die Geplagten fühlen sich seit langem erstmals in Sicherheit. Aber die Sportler, die für ihr Training keinen Ersatz finden, sind sauer.
Aufrufe nach geeignetem Wohnraum finden eine große Resonanz. Vermieter bieten Städten Wohnungen an. Das Argument, Flüchtlinge im Mehrfamilienhaus seien den Nachbarn nicht zuzumuten, zieht nicht mehr. Die neue Aufgeschlossenheit geht aber auch mit einer Portion Geschäftstüchtigkeit einher. Unter den Angeboten finden sich auch solche, die den Druck der Städte mit Wuchermieten oder unbewohnbaren Häusern ausnutzen wollen.
Bereichernd und kraftraubend
Das ehrenamtliche Engagement ist groß, doch naturgemäß nicht professionell. Einige packen einfach mit an, wo Not am Mann ist; andere nehmen Schulungen in Anspruch, um sich für die oft unterschätzte Aufgabe zu rüsten; wieder andere belasten sich bis zur Selbstgefährdung. So befriedigend und bereichernd das menschliche Mitwirken ist, so kraftraubend und bedrückend kann es auch sein.
Hilfe ist nie vollkommen selbstlos, und es ergeben sich Win-Win-Situationen, von denen beide Seiten profitieren. Da ist aber auch als extremes Beispiel die Seniorin, die großzügig anbietet, Flüchtlinge aufzunehmen und sich dann auf „die Mohren“ freut. Der Wandel zum Gewinnerthema zeigt sich auch an geschäftlichen Initiativen. Ein Kreditinstitut lobt Geld für Flüchtlingsprojekte aus, in denen sich Mitarbeiter engagieren; eine Baumarktkette und ein Zeitungshaus erwerben ein leerstehendes Hotelgebäude. Wenn Unternehmen mit Wohltätigkeit einen Imageschaden befürchten müssten, lassen sie die Finger davon.
Da hat ein Stimmungswandel stattgefunden, den die Menschen von unten bewirkt haben. Die Politik hinkt da noch immer hinterher. Holzhäuser statt Zelte machen das schwerfällige Umdenken anschaulich. Es geht weder um eine kurzfristige Aufgabe, noch um ein Schön-Wetter-Problem. Die reflexhafte Unterbringung in Zelten zeugt von einer Missdeutung der Anforderungen.
Schnelles Abschieben als Devise
Wie schwer sich die Politik mit der Willkommenskultur anfreunden kann, zeigt sehr augenfällig Horst Seehofer aus Bayern, aber auch das Parlament mit der Verschärfung des Asylrechts. Schnelles Abschieben ist jetzt die Devise. Von den humanitären Gründen, die einer Abschiebung entgegenstehen, ist nicht mehr die Rede. In früheren Jahren gab es über die Wintermonate meist Abschiebestopps. Nun weicht die Barmherzigkeit dem Druck der rechten Hetze.
Die Gefahr, dass die Parolen der rechten Rattenfänger verfangen, ist real. Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte sind an der Tagesordnung, auch wenn die Menge nicht mehr so offen Beifall grölt wie dereinst in Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen. Denen, die von ihrer humanistischen oder religiösen Überzeugung her handeln und die vom Gelingen überzeugt sind, wird ihre Zuversicht als Naivität ausgelegt. Sie werden als „Gutmenschen“ verächtlich gemacht. Falsche Behauptungen und gezielt gestreute Gerüchte treiben ihr Unwesen im Internet. „Wer tut was für unsere Obdachlosen“, wird gefragt, oder es wird behauptet: „für uns ist kein Geld da“.
Das schüren von Neid ist eine ebenso schäbige wie wirkungsvolle Methode, und die sozialen Missstände in unserem Land begünstigen sie. Altersarmut, Pflegenotstand, Langzeitarbeitslosigkeit, die finanzielle Not der Kommunen: es gibt viele Anknüpfungspunkte, die den Demagogen in die Hände spielen. „Es gibt“, hat Superintendentin Meike Friedrich zur Eröffnung der Friedensdekade am 1. November in Hagen gesagt, „weit mehr Menschen, die Flüchtlinge in Deutschland willkommen heißen und ihnen tatkräftig helfen, als rassistische Hetzer und Gewalttäter“. Die Theologin verschloss aber nicht die Augen vor der Gefahr. „Der Hass besetzt öffentliche Räume und Straßen, er raubt uns Werte und Begriffe, er erpresst unsere Aufmerksamkeit.“ Es sei nicht hinnehmbar, dass sich „eine ganze Gesellschaft den Bedingungen unterwirft, die der Hass mit sich bringt“.
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