1.
Gut sechs Jahre nach der westlichen Autosuggestion des „Sputnik-Schocks“ Ende 1957 veröffentlichte Georg Picht 1964 ein Buch, dessen Titelformulierung von der „deutschen Bildungskatastrophe“ schon bald zum Vokabular der bildungspolitisch Interessierten gehörte. Im selben Jahr hielt der damals 35jährige Soziologieprofessor Ralf Dahrendorf an verschiedenen Universitäten eine Rede über „Arbeiterkinder an deutschen Universitäten“. Sein Befund: Im Winter 1962/63 kamen 6% aller Studierenden aus Arbeiterfamilien, nur ein Prozentpunkt, also knapp 17% der Gruppe der Arbeiterkinder, stammte aus Familien von „Ungelernten“. Diese Quote lag in den Fächern Medizin und Jura aus leicht erklärlichen Gründen deutlich niedriger (2% und 3,4%) und nur im Studienfach katholische Religion darüber (18,3%). Das war aber kein Vorschein einer künftigen Modernisierung des Bildungssystems, sondern sprach für die stabile Tradition der Methoden, mit der der katholische Klerus seinen Nachwuchs rekrutierte. Zum Maßstab für die Beurteilung dieser niedrigen Quote dienten Dahrendorf einmal der Vergleich mit dem Anteil der sozialstatistischen Gruppe „Arbeiter“ an der erwerbstätigen Bevölkerung (ca. 50%), zum anderen aber der Vergleich mit anderen westlichen Staaten wie England oder Schweden, die zu dieser Zeit sozialdemokratisch regiert waren, oder dem College-Besuch in den USA. Die Hauptbarrieren für den Zugang von Kindern aus nicht-akademisch gebildeten Familien zu den so genannten ‚höheren‘ Bildungsgängen sah er in der Ungleichheit in der Sozialstruktur und in den Haltungen, die die Unteren als Habitus übernehmen und mit denen sie ihren Ausschluss mitvollziehen. Zu diesen Barrieren zählte Dahrendorf vor allem die Kosten des langen Bildungsganges bei ungewissem Ausgang, aber auch die fehlende Bekanntschaft der Arbeiterfamilien mit den institutionellen Abläufen und Anforderungen in den Gymnasien und Universitäten sowie eine damit verbundene affektive Distanz zu diesen Institutionen. Diese wurde auch durch die Befürchtung gespeist, Arbeiterkinder könnten in diesen Systemen einer verstärkten Diskriminierung ausgesetzt sein und als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Größeres Gewicht als der Bildungsfreundlichkeit oder -feindlichkeit der Arbeiterfamilien maß Dahrendorf jedoch der Arbeiterfeindlichkeit der Bildungssysteme bei. Dazu zählte er vor allem die Selektion beim Übergang von der Grundschule ins Gymnasium und die Selektion während der Schulzeit auf dem Gymnasium. Die Lehrkräfte träfen faktisch die Auswahlentscheidungen und fungierten damit als „Begabungsgutachter“, die zugleich damit das Elternrecht aushebelten. Sprach Picht von der Bildungskatastrophe, fasste Dahrendorf seine Befunde im Fazit eines „deutschen Modernisierungsrückstandes“ zusammen.
Gut ein halbes Jahrhundert später beziffert die von Elke Middendorf u.a. erstellte und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung herausgegebene 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks zur „wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden in Deutschland 2016“ den Anteil von Studierenden aus Familien, in denen eines der Elternteile maximal den Hauptschulabschluss erreicht hat, mit 9% und den aus Familien, in denen beide Elternteile keinen Schulabschluss haben, mit 1%. Diese Quote sei im Zeitverlauf relativ stabil geblieben. Dieser Gruppe standen 52% der Studierenden entgegen, die Haushalten mit mindestens einem Elternteil mit Hochschulabschluss entstammen.
Zwischen diesen beiden Befunden liegt ein weiterer Schock, der „PISA-Schock“, nach Veröffentlichung der ersten Ergebnisse der ersten PISA-Erhebung 2000. Danach war die soziale Ungleichheit zwischen den Schülern in keinem der an der Untersuchung teilnehmenden 31 OECD-Staaten bzw. die Abhängigkeit des Schulerfolges vom sozialen Status der Eltern so groß wie in Deutschland. Eine von Klaus Klemm im Auftrag des DGB vorgenommene und im August 2021 veröffentlichte Sichtung und Metaanalyse aller seit 2000 in Deutschland vorliegenden großen Leistungsstudien kommt im Blick auf die IGLU-Studien (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) zum Ergebnis, dass Kinder aus „sozial starken Familien“ 2001 eine 2,6 mal höhere Chance auf eine Gymnasialempfehlung der abgebenden Grundschule hatten als solche aus „sozial schwächeren Familien“ (eine gerade in einer gewerkschaftlichen Veröffentlichung befremdende Terminologie!), während sich dieser Chancenvorsprung bis 2016 sogar auf das 3,37 Fache vergrößert habe. Ein echter Fortschritt im Bildungssystem sei seit der Jahrtausendwende immer noch nicht erkennbar. Man kann diesen Sachverhalt durch die Kontrastierung unterschiedlich enger „Bildungstrichter“ abbilden: Von 100 Akademikerkindern beginnen 74 ein Studium, das 63 mit dem Bachelor, 45 mit dem Master und 10 mit einem Doktortitel abschließen. Hingegen beginnen von 100 Nicht-Akademiker-Kindern nur 21 ein Studium, das 15 mit dem Bachelor, 8 mit dem Master beenden und nur eine Person mit der Promotion abschließt – so René Krempkow auf spektrum.de vom 20. November 2017.
Das heißt aber nicht, dass es gar nichts Neues unter der Sonne gibt.
- Selbst wenn die Bildungsexpansion seit den späten 1960er Jahren u.a. aufgrund der Ausschlusspraktiken der damaligen „Bildungsgewinner“ zu wenig geänderten Teilhabequoten der Kinder aus Arbeiter- bzw. nicht akademisch gebildeten Familien geführt hat, stehen hinter den stagnierenden prozentualen Angaben ganz unterschiedliche absolute Zahlen. 1962 betrug die Zahl der Arbeiterkinder gut 10000 unter ca. 250000 Studierenden an Universitäten und sonstigen Hochschulen. 2019 beträgt die Zahl der Studierenden an allen Hochschulformen zusammen 2,9 Millionen. Zehn Prozent davon entsprechen in etwa der Zahl aller Studierenden an Universitäten um 1968. 1960 nahmen ca. 6% einer Alterskohorte ein Studium auf, 60 Jahre danach liegt die Studienanfängerquote bei 55%.
- In den letzten 60 Jahren haben erhebliche Verschiebungen im Gesamtarbeitskörper stattgefunden. Stellte die sozialstatistische Gruppe der „Arbeiter“ zur Zeit der Dahrendorf-Rede noch etwa die Hälfte der Erwerbstätigen, sind es jetzt nur noch knapp 21%. Dies ist zwar ein Indikator der Deindustrialisierung und Verlagerung volkswirtschaftlicher Kenngrößen in den Dienstleistungssektor, zeigt aber allein den Rückgang der klassischen Industriearbeit, nicht das Verschwinden der Arbeiterklasse als soziologische Kategorie. Diese steht quer zur statistischen Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten und Teilen der Beamten; gerade im Dienstleistungsbereich sind Teilzeitarbeit und prekäre Beschäftigungsverhältnisse besonders verbreitet. Auch die Verschiebung von der sozialen Lage zum Bildungsstand der Eltern bei der Ermittlung von Beteiligungsquoten an der universitären Bildung scheint diesem Prozess Rechnung tragen zu wollen. Zumindest ist es mittlerweile umstritten, mit welchen Bezugsgrößen die Quote von Studierenden aus Nicht-Akademiker-Familien gemessen werden soll.
- In den 50er und 60er Jahren stellten die Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung noch 40% der Beschäftigten. Sie waren stabil in den Arbeitsprozess integriert und konnten sogar auf den Schultern der Arbeitsimmigranten beruflich aufsteigen. In den 1980er Jahren nahm jedoch ihr Anteil an den Beschäftigten ab und ihre Betroffenheit von Arbeitslosigkeit rapide zu. Seit der ‚neoliberalen Gegenrevolution‘ wuchs aus dieser Beschäftigtengruppe der Sektor von Niedriglöhnern (21% aller abhängig Beschäftigten) und von atypisch Beschäftigten (21,5%). Die von Armut Betroffenen und die Armutsgefährdeten sowie die Langzeitarbeitslosen und Bezieher von Arbeitslosengeld II werden – sehr oft mit negativem Unterton – die Ausgeschlossenen bzw. Unterschichten genannt. Aus dieser sozialen Gruppe rekrutiert sich die kleinste Gruppe der Studierenden aus Nicht-Akademiker-Familien. Aufgrund dieser Ausfransung der Arbeiterklasse nach unten sprechen manche Autorinnen und Autoren der unten besprochenen Anthologien bisweilen von den „Armutsklassen“.
2.
Es gibt aber noch eine weitere neue Entwicklung. Zwar wird immer noch regelmäßig über die Ergebnisse der zahlreichen Lernstands- bzw. Leistungsstudien in den Medien des Landes berichtet, auch erzeugen die so sichtbar gemachten Ungerechtigkeiten im Bildungssystem immer noch Empörungswellen, aber diese ebben immer häufiger schnell ab, weil die Warnungen sich wiederholen und folgenlos bleiben. Die Belebung der in der Sache weiterhin fälligen kritischen Diskussion gelingt unter solchen Bedingungen nicht den sozialwissenschaftlichen Studien, sondern kommt aus einer unerwarteten Ecke. Sie geht aus vom autobiographischen Schreiben von Menschen, die den Bildungsaufstieg aus der Arbeiterklasse in die akademisch gebildeten, meist lohnabhängigen Zwischenschichten geschafft haben. Einen wichtigen Impuls für diese Art von Auseinandersetzung mit sozialer Herkunft und Bildungsinstitutionen gab eine bereits 2009 in Frankreich erschienene Publikation, nämlich Didier Eribons Rückkehr nach Reims (deutsche Erstausgabe 2016). Dies belegen die zahlreichen Bezugnahmen in den im Folgenden vorgestellten Monographien und Anthologien. Woher kommt das unübersehbare Interesse an diesen Texten? Kompensiert es den bildungspolitischen
Stillstand? Steht es für die Individualisierung eines gesellschaftspolitischen Problems? Ist es exemplarisches Aufbegehren und Mutmachen? Auch einigen Autorinnen und Autoren ist ihr Schreibmotiv unklar. Sie betonen, dass es ein Schreiben auf Anforderung ist, dass es unterblieben wäre, wären nicht Herausgeber und Verlage an sie herangetreten.
Hinzu kommt als zweiter Impuls das aus der modisch gewordenen (linken) „Identitätspolitik“ stammende Konzept des „Klassismus“, dem allerdings einige der hier versammelten Autorinnen und Autoren durchaus skeptisch gegenüberstehen. Der aus der nordamerikanischen universitären Szene übernommene Begriff ist analog dem des Rassismus gebildet. Wie rassifizierte Individuen diskriminiert und der Verachtung ausliefert werden, so verfahre der Klassismus bei Menschen aufgrund ihrer sozialen Zugehörigkeit zu den unteren Klassen. Mit Klassismus wird aber auch die Übernahme solcher demütigenden Fremdzuschreibungen in Selbstzweifeln und Scham der Unteren bezeichnet. Zwar verortet das Konzept den Klassismus durchaus in den bekannten Ungleichheitsbeziehungen, unklar bleibt aber vielfach, ob es ihm vorrangig um Änderung der gesellschaftlichen Ungleichheitsstruktur geht oder um die Erleichterung individueller
Aufstiegsmobilität durch Zurückdrängung unterschiedlicher Diskriminierungspraktiken. Wie wenig trivial diese Frage ist, zeigt sich insbesondere an der Vereinnahmung der Klassismuskritik durch die bestehenden ideologischen Apparate, wenn etwa im Namen des wechselseitigen Respekts symbolische Kämpfe ausgefochten werden, ohne die ihnen zugrundeliegenden Verhältnisse ändern zu wollen oder zu können. Wiederholt wird daher diesem Konzept Unklarheit vorgeworfen, manche halten bereits den Ansatz für verfehlt.
3.
Im Folgenden geht es um autobiographische Berichte von Bildungsaufsteigern, die in den letzten Jahren, meist in Anthologien, im deutschsprachigen Raum erschienen sind. Texte poetischen Anspruchs werden nicht berücksichtigt. Von dieser Entscheidung scheint gleich die aufgrund ihres Erfolges an erster Stelle zu nennende Publikation Christian Barons Ein Mann seiner Klasse (2020) abzuweichen. Das Buch unterscheidet sich bereits durch seinen Umfang von den anderen Berichten, vor allem aber durch den Gebrauch erzählerischer Mittel. Trotz dieser Nähe zur Romanform enthält das Buch keine Gattungsbezeichnung und erhebt implizit denselben Glaubwürdigkeitsanspruch wie die autobiographischen Berichte, die natürlich bei aller Disziplinierung durch Form und Schreibauftrag ebenfalls Stilisierungen sind und von Prozessen des Vergessens, Verdrängens, Auslassens und Beschönigens usw. nicht unberührt bleiben. Insofern sind die von Baron verwendeten fiktionalen Elemente auch als Konsequenz davon zu verstehen, dass das schreibende Subjekt nicht identisch ist mit dem Kind, das es einmal war. Auch ein inhaltlicher Unterschied ist zu konstatieren: Während sich die autobiographischen Berichte auf die Bildungsübergänge eines Lebens konzentrieren, erzählt Ein Mann seiner Klasse Barons Weg von der Kindheit bis zum Abitur. Das Buch endet mit Barons Umzug nach Trier zur Aufnahme seines Studiums der Politologie, Soziologie und Germanistik. Seine Erfahrungen mit der Universität und mit der akademischen Linken verarbeitete Baron in dem bereits 2016 erschienenen Vorläuferband Proleten, Pöbel, Parasiten. Warum die Linken die Arbeiter verachten. 2021 erschien dann die zusammen mit Maria Barankow herausgegebene Anthologie Klasse und Kampf, die 14 Beiträge versammelt. Diese stellen meist für als bedeutsam erachtete Ereignisse im Leben ihrer Autorinnen und Autoren in den Mittelpunkt und unterscheiden sich schon dadurch von den knappen und durchweg systematischeren Berichten der im Folgenden genannten Anthologien. Die autobiographisch unterlegten Miniaturen tragen Titel wie Bremsklotz, Kohlenkeller oder Kolbenkönige. Der Grad ihrer Fiktionalisierung ist schwer zu bestimmen. Die Verfasser/innen sind Schriftsteller/innen, Journalist/inn/en oder arbeiten im Theaterbetrieb, zählen also im weitesten Sinn zu der von Baron ansonsten gern geschmähten Kulturlinken. Der Älteste der Autor/inn/en ist 1963 geboren, mithin haben alle von der Bildungsexpansion profitiert.
Deutlich nüchterner sind die autobiographischen Aufzeichnungen in drei weiteren, alle 2020 erschienenen Anthologien gehalten. Die 11 Berichte in dem von Betina Aumair und Brigitte Theißl: herausgegebenen Sammelband Klassenreise. Wie die soziale Herkunft unser Leben prägt (2020) zeigen eine gegenüber Klasse und Kampf heterogenere Autorenschaft. Zwar bilden im weitesten Sinn sozialwissenschaftliche Berufe die Hauptgruppe von sechs Autor/inn/en, eine starke Minderheit kommt jedoch aus anderen Berufen. Heterogen ist auch die Herkunft. Viele sind auf dem Land geboren oder dort aufgewachsen und dies nicht nur in Arbeiterfamilien, auch der Sohn eines Wirtes und die Tochter eines kleinen Handwerkerunternehmers sind dabei. Nicht überraschend bei dem Publikationsort, dem Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, ist das erkennbare politische Engagement der Autor/inn/en, meist in SPÖ-Nähe. Wie in der Anthologie zuvor dominieren auch hier die Beiträgerinnen.
Die im Verlag des Bundes demokratischer Wissenschaftler/innen 2020 in Marburg erschienene und von Riccardo Altieri und Bernd Hüttner herausgegebene Anthologie Klassismus und Wissenschaft versammelt, wie es im Untertitel heißt, Erfahrungsberichte und Bewältigungsstrategien; im März 2021 ist bereits eine zweite, überarbeitete Auflage erschienen. Nimmt man den im Untertitel wie in der Einleitung betonten Akzent auf „individuelle Erfahrungshorizonte“ ernst, können hier drei Beiträge unberücksichtigt bleiben. Damit liegen 11 Erfahrungsberichte von 10 Autorinnen und 4 Autoren vor (zwei Beiträge haben mehrere Autorinnen). Von ihnen sind fünf im akademischen Mittelbau von Universitäten beschäftigt, drei promovieren, eine studiert, eine weitere hat ihr Lehramtsstudium mit dem Ersten Staatsexamen abgeschlossen, vier arbeiten außerhalb der Universität. Der größte Teil von ihnen ist, sofern Altersangaben vorliegen, Mitte bis Ende der 1980er Jahre geboren. Insgesamt handelt es sich hier um die im Schnitt jüngste Gruppe. Weitgehend unerfüllt bleibt die vom Untertitel geweckte Erwartung, etwas über Bewältigungsstrategien zu erfahren. Symptomatisch für die Dominanz analytischer Perspektiven ist der Titel des Beitrages „Klassismus begreifbar machen, um ihn zu bekämpfen“.
Bleibt noch ein Blick auf die kleine Gruppe derer, die den „Extremaufstieg“ vom Arbeiterkind zur Professur genommen haben (2020). Der Band enthält neben wissenschaftlichen Beiträgen zum Thema 19 autobiographische Notizen, sieben davon von Frauen. Der von ihnen eingeschlagene Weg gelingt nur wenigen. Nur 10% der deutschen Professor/inn/en kommen aus Haushalten von Nicht-Akademikern. Das sind knapp 5000 Menschen. Hier wird also der Bildungstrichter sehr eng. Dafür gibt es Gründe. Zum einen bewahrheitet sich am Sachverhalt einmal mehr die Grundregel: Je höher die beruflich-gesellschaftliche Position, desto geringer ist die soziale Durchlässigkeit für Aufsteiger. Zweitens kommt es bei der Besetzung solcher Positionen entscheidend auf Netzwerke an, von denen sogenannte Erstakademiker weitgehend ausgeschlossen bleiben und deren Bedeutung ihnen meistens nicht bewusst ist bzw. zu spät bewusst wird. Das fängt schon mit der Vergabe von Studienstipendien an. Nur 1% aller Studierenden kommt in den Genuss dieser Förderung. Von dieser schmalen Gruppe sind durchschnittlich höchsten 30% Erstakademiker. Obwohl die wichtigste Fördereinrichtung, die Studienstiftung des Deutschen Volkes, seit Jahren die soziale Öffnung nach Unten auf ihre Fahnen schreibt, hat sich seit 2013 an dieser Quote unter den von ihr geförderten Studierenden nichts geändert. Besser stehen nur die Friedrich-Ebert-Stiftung mit knapp 50% und die Rosa-Luxemburg-Stiftung mit 62% Erstakademikern unter den von ihnen Geförderten da (2018, 2019). Die Stiftungen statten nicht nur Studierende mit vielen Extras wie etwa monatlichem Büchergeld besser aus als durchschnittliche BAFöG-Empfänger, sondern sie legen durch regelmäßige Seminare die Grundlagen für die Bildung von Netzwerken, die später durch Teilnahme an Fachkongressen ausgebaut und fachlich spezifiziert werden können. Arbeiterkinder bevorzugen risikoarme Studienfächer, d.h. Fächer, deren Abschluss schnell und komplikationslos in eine Berufstätigkeit mündet. Diese Orientierung widerspricht der „sozialen Langstreckenmobilität“, die eine Professorenkarriere benötigt: Auslandsaufenthalte, studentische Hilfskraftstellen, Promotionsstelle oder -stipendium, befristete Verträge als wissenschaftliche Mitarbeiter und Juniorprofessur sowie Habilitation. Das Risiko, danach, etwa im Alter von 35-40 Jahren, keine Festanstellung zu bekommen, werden die wenigsten eingehen wollen, wenn sie nicht „von Hause aus“ einen zumindest ausreichenden finanziellen Rückhalt mitbringen können. Deshalb nehmen nicht nur Fachhochschulprofessoren, sondern auch Universitätsprofessoren den Umweg über eine sichere berufliche Anstellung, etwa als Lehrer oder als IT-Kraft. Verständlicher Weise haben die Autor/inn/en dieser Anthologie den höchsten Altersdurchschnitt im Vergleich zu denen der anderen Anthologien. Allein fünf gehören den 1940er und noch einmal so viele den 1950er Jahrgängen an. Zwei sind Professoren für Mathematik, die anderen kommen alle aus dem Bereich der Kultur- und Gesellschaftswissenschaften.
Diese Unwucht trifft auch für die 58 Verfasser/innen der vorliegenden Texte insgesamt zu. Es kommt zu den beiden Mathematikprofessoren noch eine Mathematikprofessorin hinzu, alle anderen studierten im weiteren Sinn gesellschaftswissenschaftliche Fächer, kein einziger naturwissenschaftlich-technische bzw. angewandte Wissenschaften, obwohl dies neben den Lehramtsstudiengängen die favorisierten Fächer für Erstakademiker sind.
4.
Die Heterogenität dieser Stimmen machen bereits die Hinweise zur Herkunft deutlich. Es sind Kinder von klassischen Industriearbeitern, kleinen Angestellten und Beamten, aber auch von Handwerkern, Bauern und Gastwirten, Immigranten mit wechselnden Tätigkeiten und Aufstiegsperspektiven, Alleinerziehende, die sich etwa als Näherin durchschlagen, Ungelernte, wie Christian Barons Vater, der Umzüge der in Kaiserslautern stationierten GIs und bei Gelegenheit auch andere Dinge „organisiert“, oder Finanzberater. Es gibt ein Leben, das als Trostlosigkeit, Armut und Plage empfunden wird, und ein Leben ohne die Erfahrung, dass es an Wesentlichem mangelt. Der Begriff des Arbeiterkindes fungiert somit nicht als beschreibender, gar analytischer Begriff, sondern wird plakativ verwendet, soll Interesse wecken und Aufmerksamkeit erzeugen. Er dient, wie die Herausgeber von Vom Arbeiterkind zur Professur einräumen, als Sammelbegriff für soziale Aufsteiger, deren kleinster gemeinsamer Nenner darin besteht, dass kein Elternteil einen Hochschulabschluss besitzt.
Heterogen sind auch Wohnorte und Wohnbedingungen: Stadt, Dorf, Wohnung in einem Schlichtbau im sozialen Brennpunkt, Altbau ohne Bad und Toilette auf dem Flur, aber auch ein eigenes Haus, in den Wirtschaftswunderjahren keine Seltenheit, meist auf Grundstücken in Familienbesitz mit unterschiedlichen Geldmitteln erbaut, immer mit hohem Anteil von Eigenarbeit, in Arbeitersiedlungen mit Baulücken, in den halbdörflichen Vororten der Städte, in Dörfern. In jeder Familie fanden sich genügend Helfer mit unterschiedlichen handwerklichen Fähigkeiten. Verwandtschaft war kein abstrakter Begriff, sondern gelebte Erfahrung.
Hier spielt neben den Orten auch die Zeit einer Kindheit eine Rolle. Leider finden sich dazu in den vorliegenden Berichten meist nur knappe Anmerkungen. Umso eindrucksvoller sticht heraus, was Andreas Stahl über die weitgehend unreglementierte Kindheit in einem westhessischen Dorf der 70er Jahre schreibt (in Klassismus und Wissenschaft). Sie ist nicht in erster Linie das Resultat sozialer Homogenität zwischen kleinen Bauern, Arbeitern und Handwerkern. Kindheiten auf der Straße und auf den Feldern gab es auch in den sozial heterogenen Vororten, wo die Wege zur Stadtmitte oder zu den umliegenden Fluren und Wäldern gleich kurz waren. Auch manche Stadtviertel kannten noch von Kindern belebte Straßen. Das gilt zumindest bis zur Welle der Motorisierung, die das Straßenleben der Kinder erstickt hat. Ganz arm durfte man damals jedoch nicht sein. Man brauchte schon den Roller und später das Fahrrad und Rollschuhe, für den Winter noch einen Schlitten. Es ging um die Beherrschung dieser Geräte, nicht darum, ob der Vater Arbeiter war oder Arzt. Am unwichtigsten war die Kleidung, ob geflickt, gestrickt oder aufgetragen. Es gab Großmäuligkeit und Angeberei auf der Straße, aber keinen Snobismus. Jeder wusste, wer jeder war. Soziale und materielle Ungleichheit blieb daher nicht verborgen, aber der kindliche Blick darauf war eher bestimmt durch ethnologisches Erstaunen: So konnte man also auch leben! Warum sollte man den besser gestellten Kindern ihr eigenes Zimmer neiden, solange man die meiste Zeit im Freien verbrachte oder ohnehin lieber die Hausaufgaben am Küchentisch erledigte, um ja mitzubekommen, was um einen herum sonst noch passierte?
Aufgrund der ähnlichen sozialen Lage gibt es zwischen den individuellen Berichten immer auch Gemeinsamkeiten, die zumindest Teilgruppen betreffen. Die erste Gemeinsamkeit erweist den Stempel „bildungsferne Schichten“ als Klischee. Es gibt unter den Kindern „leidenschaftliche“ Leser/innen, unabhängig davon, ob die Wohnungen voll mit Büchern und Bücherkisten stehen oder die Bücher in der häufig frequentierten Gemeinde- oder Stadtteilbibliothek ausgeliehen werden. Es gibt zudem unter den Eltern Leservorbilder, etwa im Vater, der den Typus des belesen Arbeiters aus der DDR verkörpert, der die Werke von Thomas Mann, Kafka oder Franz Werfel kennt und sich als Maurer oder Lastwagenfahrer erstmals im Westen „abgewertet“ fühlt (s. Francis Seeck und Clemens Meyer in Klasse und Kampf). Vor allem aber sind es die Mütter mit ungestilltem Lesehunger. Im Westen fanden sie kaum Unterstützung in der offiziellen Bildungspolitik, aber hier hatten die Arbeiterorganisationen intakte Institutionen wie die Büchergilde Gutenberg hervorgebracht. Dort waren meine Eltern Mitglieder und meine Patentante war Literaturobfrau, die jedes Vierteljahr den neuen Katalog vorbeibrachte und die Bücherbestellungen aufnahm. So erlas ich mir im Lauf der Zeit den Kanon der klassischen Kinder- und Jugendliteratur (die ja eigentlich Erwachsenenliteratur war). Hinzu kam das Glück, dass meine Familie erst spät ein Fernsehgerät anschaffte, 1966 zur Fußballweltmeisterschaft. Da hatte sich mein Habitus als leidenschaftlicher Leser schon soweit gefestigt, dass er durch diese Anschaffung nicht ernsthaft gefährdet war. Lesen blieb wie der Sonntagnachmittag-Film im Vorstadtkino, wohin man für 1 DM in der „Rasierloge“ dem Zwang der Spaziergänge entfliehen konnte, ein Medium der Selbsterziehung, war kein Eskapismus, sondern die Entdeckung von Welten, ohne be- und verurteilt zu werden (Natascha Strobl im Vorwort zu Klassenreise), nachhaltige Immunisierung gegen das „stupide System der Erziehung“, gegen die Zumutungen der „offiziellen Erzieher“(Peter Handke 1967).
Die Mütter sind es auch oft, die die Einschulung ihrer Kinder auf ein Gymnasium vorantreiben und sich gegen Widerstände der abgebenden Grundschule wehren. Meist mussten sie selbst ein Leben unterhalb ihrer intellektuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten führen, vor allem weil die finanziellen Mittel für den Besuch einer weiterführenden Schule nicht vorhanden waren und weil die Ausschlussmechanismen gegen unten weniger durchlässig waren als in den Zeiten nach der Bildungsexpansion. Dass sie darüber weder zynisch noch verbittert geworden sind, sondern aus dieser erzwungenen Entsagung die Energie dafür gezogen haben, ihren Kindern bessere Bildungswege zu öffnen, zeigt sich an den liebevollen und dankbaren Passagen der Berichte, die der Mutter gewidmet sind. Die Väter unterstützen die Entscheidung der Mütter, bleiben aber oft im Hintergrund und halten sich aus Konflikten mit der Grundschule heraus. Ihre Rolle ist die des Hüters der Familienwerte, der Loyalitätserwartungen formuliert: „Vergiss deine Herkunft nicht, werde kein Klassenverräter.“ Die meisten werden das weniger politisch akzentuiert haben als der Vater von Klaus-Michael Bogdal, aber selbst wenn es hieß: „Stelle dich nicht gegen deine Familie“, bleibt rätselhaft, welche Verhaltensregeln 10-jährige Kinder daraus hätten ableiten können.
Schenkt man der Mehrheit der Berichte Glauben, sind die Lehrermonster aus den Klassenzimmern der Grundschulen verschwunden, Es gibt keine Kopfnüsse mehr mit dem Geigenbogen und man bekommt auch keine „runter gehauen“ , wenn man eine unklare Anweisung der Lehrerin zum wiederholten Male missverstanden hat. Viele Lehrer/innen sind unterstützend, eine besucht zum Beispiel Christian Baron zu Hause und hilft materiell, kauft ihm und seinem Bruder Winterkleidung, andere stehen dem späteren Mathematikprofessor Manfred Brill mit „sanfter Unterstützung“ bei, damit er die ersten Jahre auf dem Gymnasium übersteht. Dennoch ist auch noch das Gegenteil der Fall, singt man das alte Lied vom Schuster, der bei seinem Leisten bleiben soll. Christian Baron hat diesem Lied im Mann seiner Klasse einen Text unterlegt. Seine Mutter ist kurz vor dem Ende seiner Grundschulzeit gestorben. Er kommt in die Obhut einer Tante, das Sorgerecht hat allerdings das Jugendamt. Nachdem die Tante Christian vergeblich an den Gymnasien der Stadt anzumelden versucht hat, beschwert sie sich mit dem Stapel der Ablehnungen in der Hand beim zuständigen Sachbearbeiter des Jugendamtes. Seine Rechtfertigung der Gymnasien liest sich so: „Was, wenn der Junge im Unterricht nicht mitkommt? Wenn er ein Jahr wiederholen oder sogar die Schule wechseln muss? Immerhin wäre er der Erste und Einzige in Ihrer Familie, der ein Gymnasium besuchen würde. Sie haben doch selbst gesagt, dass Sie ihm spätestens ab der siebten Klasse nicht mehr bei den Hausaufgaben helfen können.“ Der „Klassismus“ wird institutionell, benötigt nicht mehr die involvierten Lehrer/innen als Exekutoren. Ohnehin finden solche Passagenkämpfe selten vor den Augen und Ohren der betroffenen Kinder statt. Der Junge geht dann 1995 auf eine Gesamtschule, die es seit den 70er Jahren gibt. Als er schließlich auf eine gymnasiale Oberstufe wechselt und mit der finanziellen Hilfe einer weiteren Tante, die reich geheiratet hat, eine kleine eigene Wohnung in der Stadtmitte beziehen kann, findet er schließlich die Unterstützung des Sachbearbeiters, dem er die eben zitierten Worte in den Mund gelegt hat.
5.
Der Schrecken des Neuen beginnt für die meisten mit dem Eintritt ins Gymnasium. Der Weg dorthin ist selten Ergebnis strategischer Überlegungen. Oft entscheiden Zufälle oder man richtet sich nach der Wahl der Kumpels, man geht mit. Auch wenn die Eltern diesen Bildungsweg unterstützen, entlassen sie die Kinder weniger mit dem Segen, öfter mit einer Drohung: Wir können dir bei den Anforderungen der Schule nicht helfen, wir können dir auch keine Nachhilfestunden bezahlen. Du musst dich frei schwimmen oder du gehst unter. So wird der Aufstieg angekündigt als ein Weg, den man über lange Strecken allein gehen muss.
Und dann werden plötzlich die Noten schlechter, obwohl man alles versteht. Das Tempo des Diktates legt so zu, dass man entweder eine mangelhafte Note riskiert, weil jedes nicht geschriebene Wort als Fehler zählt, oder man macht sich schleunigst an die Verwandlung seiner Handschrift in eine „Sauklaue“. Plötzlich gibt einem der Lehrer zu verstehen, dass man eine krause Sprache spricht, dass sie nicht glatt genug gebügelt ist. Der andere lässt eine Liste herumgehen, auf die man eintragen soll, welche Musikinstrumente man besitzt und beherrscht. Und dann gibt es noch das Ritual, dass man zu Beginn des Schuljahres den Beruf des Vaters oder nur ersatzweise den der Mutter angeben muss, damit ihn der Klassenlehrer ins Klassenbuch eintragen kann. Er hätte ihn damals auch den Schulakten entnehmen können, dann wäre es aber kein Ritual mehr gewesen. Ich höre noch die stolze Stimme eines Freundes, als er den Beruf seines Vaters angab: „Autogenschweißer“. Der Stolz verschwand irgendwann und kam erst nach Jahren wieder, als wir in der Schülerbewegung unsere Gesellschaft und ihr Schulsystem ‚lesen‘, als wir uns erfolgreich wehren konnten. Als wir nicht mehr zur List greifen mussten, den Beruf der Mutter, die Hausmeisterin war, mit dem Tarnnamen „Gemeindeangestellte“ anzugeben (so Corinna Wildhalm in Klassismus und Wissenschaft).
Auf vielen lasten diese Erfahrungen mehr als die materielle Ungleichheit und die Wahrnehmung, dass die Kinder aus den besseren Häusern auf einmal mehr sind als du und deinesgleichen. Dennoch gibt es genug Kinder, die überlegen, ob man die neuen Freundinnen und Freunde nach sich zu Hause einladen kann oder ob man auf eine Klassenreise verzichtet, weil einem die Beantragung einer finanziellen Unterstützung peinlich ist. Ich bewundere die Gelassenheit, mit der Arno Frank, Jahrgang 1971, registriert, dass die „coolen Kerle“ aus den nach ökologischen Gesichtspunkten gebauten Elternhäusern während der Sommerferien mit ihrer Band, die sie „Helmut Honecker“ nennen, neue Lieder einüben, während er selbst sechs Wochen lang jobbt. Als sie nach den Ferien ein Schulhofkonzert geben, findet er die Stücke toll. Kein Groll und kein Neid, aber woher kommt die (vermeintliche) Einsicht, dass die Eltern all die teuren Instrumente finanzieren, „damit die Coolen der Verachtung für das Milieu, in dem sie wurzeln, einen adäquaten Ausdruck verleihen können“(in Klasse und Kampf)? Als meine Arzt-Freunde Mitte der 60er Jahre eine damals noch so genannte Beat-Band gründeten, haben mich nicht ihre Instrumente überrascht, sondern dass auf einmal offenbar wurde, dass sie Noten lesen konnten. Im Musikunterricht konnten sie das nicht gelernt haben. Dass ich weder das eine beherrschte noch damit rechnen konnte, dass meine Eltern mir ein Instrument kaufen würden, hat auch bei mir keinen Groll erzeugt. Wer in Nicht-Akademikerhaushalten groß wird, wird eines mit Sicherheit: Virtuose der Wunschunterdrückung, niemals einen Wunsch äußern, der die Eltern in Verlegenheit bringen könnte, am besten, ihn gar nicht erst denken. Ich hatte Glück: Nach wenigen Jahren setzte unsere Politisierung ein. Das eröffnete vorderhand einen preiswerten Weg, um zu Ansehen zu gelangen. Die dicken Rechnungen kamen dann erst ab 1972 mit dem „Radikalenerlass“.
Soziale Scham entsteht, wenn zu der Wahrnehmung des Anderen das Bewusstsein der eigenen Subalternität hinzutritt, wenn man lernen muss, sich auch mit dem herablassenden Blick der Oberen zu sehen, wenn Differenzen mit Überlegenheit und Minderwertigkeit verknüpft werden. Sie frisst sich durch die Kinder wie ein Krebsgeschwür. Viele reagieren mit Wegducken, Nicht-Auffallen, Verstummen, jahrelang, manchmal bis lange ins Studium hinein. Bei einigen wird die Stimme auf der Oberstufe wieder hörbar. Dabei erwähnen sie immer wieder die unterstützende Rolle mancher Lehrer/innen. Anders sieht es bei denen aus, die nicht den geraden Weg zum Abitur nehmen, sondern den scheinbaren Umweg über eine Berufsausbildung und berufliche Tätigkeit. Sie sind in der Regel selbstbewusst, wenn sie an die Fachoberschulen, Abendschulen, ans Oberstufenkolleg Bielefeld und an ein Hessenkolleg gehen. Es handelt sich z.T. um Einrichtungen des Zweiten Bildungswegs, also um Institutionen, die sich auf die Bedürfnisse und Interessen der Lernenden einlassen, nicht nur Lernen der Noten wegen, sondern echtes Lernen ermöglichen, die „Bildungsbegehren“ wecken, wie es Zoe Clark nennt (Vom Arbeiterkind zur Professur), und dies im Glücksfall in den Formen des „solidarischen Lernens“. Bildung wird in erster Linie als Befreiung erfahren, ist aber kein unkritisches Aufsaugen des „Bildungsgutes“. Selten findet man hier Affekte gegen Theorie, die in der Sackgasse des Selbstausschlusses münden. Bei Handke, um ihn noch einmal zu zitieren, ist es die Begegnung mit der Literatur der Moderne, die die Scham beseitigt, indem sie ihm zeigte, „dass ich kein Einzelfall war, dass es anderen ähnlich erging“, bei späteren sind es die blauen Bände und die Flut von Raubdrucken linker Literatur, bei Cornelia Wildhalm ist es die „klassenbewusste Brille“, die ihr hilft, ihre „Erfahrungen nicht als individuelles Problem zu verstehen“.
6.
Man kann nicht sagen, dass eine Mehrheit der Berichtenden die Universität besser vorbereitet betritt als das Gymnasium. Ein einziger Orientierungstag einer Oberstufe an der nächstgelegenen Universität, beschränkt zudem auf eine Vorlesung in einem einzigen Fach, ergibt noch lange keinen Einblick darin, was es heißt zu studieren. Und selbst die engagiertesten Lehrer/innen auf der gymnasialen Oberstufe können nicht wettmachen, dass den Schüler/innen Informationen über Stiftungen und Stipendien vorenthalten werden. Sie bleiben das Privatwissen der ohnehin eingeweihten Elternhäuser. Das mag in neuster Zeit ein bisschen anders geworden sein. Manche Universitäten bieten eine ganze Orientierungswoche an und ermutigen die Teilnehmer/innen, in verschiedene Fächer „hineinzuschnuppern“. Das entwertet jedoch nicht die Befunde, dass den Arbeiterkindern die „Codes“ der Universität unbekannt bleiben, dass das nötige „Kontextwissen“ fehlt. Wenn ich jedoch lese, dass die erste Zeit an der Universität von einem Gefühl der „grundsätzlichen Überforderung“ geprägt gewesen sei, frage ich mich, was aus den vielen Einführungstutorien und Einführungswochen für „Erstis“ geworden ist, deren Einrichtung die studentischen Fachschaften und linken Gruppen in den 70er Jahren vehement gefordert und durchgesetzt haben. Immerhin, es gibt sie noch und das wirft noch einmal die Frage nach dem Selbstausschluss auf, der zwar manchmal erwähnt, aber kaum reflektiert wird und vielleicht auch dem Vorwurf an linke Studentengruppen unterlegt ist, sie bestünden „vorwiegend aus Bürgerkindern“. Andere, wie die anfänglich überforderte Studentin Barbara Blaha, schätzen ihr Engagement im (österreichischen) Verband der Sozialistischen Studierenden, empfanden den Erfahrungsaustausch in der Gruppe zumindest als hilfreich für Klärung der „Sozialhilfekiste“ (in Klassenreise). Positive Stimmen beziehen sich manchmal auch auf universitäres Lernen. „Im Studium habe ich gelernt, mich auszudrücken, zu schreiben, differenzierter zu denken, Inhalte zu kritisieren.“ Bei dem Autor Andreas Posch, Dorfkind aus dem Burgenland, ist das nicht zufällig verknüpft mit seiner Politisierung. Der spätere Soziologieprofessor Jürgen Prott erwirbt solche Qualifikationen bereits in seiner Tätigkeit bei den „Falken“: Referate schreiben und halten, Gruppen leiten, Artikel und Flugblätter schreiben, Ferienaufenthalte organisieren oder vor vielen unbekannten Menschen sprechen können. Menschen meiner Generation ist diese Schulung in linken Schüler- und Studentenorganisationen zuteil geworden und was immer man heute von deren Programmatiken halten mag, ist dies etwas, das bleibt, und uns zumindest in dieser Hinsicht vielen „Bürgerkindern“ überlegen macht, die schon bei der Leitung einer Schulkonferenz hoffnungslos überfordert sind. Wer jemals in einer Fachbereichskonferenz, noch besser: in einer Berufungskommission gesessen hat, konnte Sitzung für Sitzung fühlen, wie sich falsche Ehrfurcht und vielleicht noch vorhandene eigene Beklommenheit nach und nach verflüchtigten. Die politische Arbeit an Schulen und Universität ist auch, solange die Dinge so stehen, wie sie sind, die einzige Möglichkeit, Gegen-Netzwerke aufzubauen, wenn man es nicht bei der Klage belassen will, von den ‚echten‘, karrierefördernden ausgeschlossen zu sein. Wem es nur darum geht, kann man auch gleich einer Burschenschaft beitreten.
7.
Bildungsaufstieg findet in den vorgefundenen Verhältnissen statt. Ihre Stabilität bleibt davon unberührt, mehr noch: sie gewinnen durch den Verweis auf „Chancengleichheit“ und „Bildungsgerechtigkeit“ Legitimation. Mit der ist es hierzulande immer noch nicht weit her, denn nur vergleichsweise wenige kommen von unten nach oben. Daher nennt der Armutsforscher Christoph Butterwegge die Rede von der „Bildungsmeritokratie“ einen „Mythos“. Man kann politische Weichen stellen, wie es 1946 die Verfassungskoalition aus SPD, KPD und CDU in Hessen tat. Im Artikel 59 der Landesverfassung heißt es: „In allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen ist der Unterricht unentgeltlich. Unentgeltlich sind auch die Lernmittel mit Ausnahme der an den Hochschulen gebrauchten. Das Gesetz muss vorsehen, dass für begabte Kinder sozial Schwächergestellter Erziehungsbeihilfen zu leisten sind.“ Damit fallen wichtige Barrieren. Dennoch sind es nur notwendige, keine hinreichenden Voraussetzungen der Bildungsteilhabe. Sie wurden für viele erst wirksam im Zuge der sog. Bildungsexpansion, als auch bis dahin noch intakte Hürden fielen oder niedriger gelegt wurden. Dabei ging es nicht um die Verwirklichung irgendwelcher Bildungsideale. Der Ausbau und die soziale Öffnung der Bildungssysteme folgten schlicht einem ökonomischen Imperativ. Je mehr Produktionsprozesse wissenschaftlich-technisch bestimmt waren, desto mehr gut gebildete Arbeitskräfte wurden benötigt, um die Produktion am Laufen zu halten. Die Selbstreproduktion der vorhandenen Akademikerschicht reichte dazu bei Weitem nicht aus. Dieses Bedürfnis erklärt auch den Rhythmus von Öffnung und Schließung des Bildungssystems. Heute haben 9,2 Millionen Erwerbstätige einen akademischen Bildungsabschluss. Das sind mit 22 % der Erwerbstätigen etwa so viele wie die, die unter prekären Verhältnissen arbeiten und leben müssen.
Während die Bildungsaufsteiger der klassischen Bildungsexpansion den Wind des Fortschritts im Rücken hatten, den nicht nur die linken, sondern auch die wachen bürgerlichen Kräfte der Gesellschaft entfachten, gibt es heute kein klassenübergreifendes Interesse daran, die prekären Verhältnisse abzuschaffen und den Kindern der ‚systemrelevanten‘ Niedriglöhner den Bildungsaufstieg zu ermöglichen oder zu erleichtern. Für diesen simplen Zusammenhang sind die meisten hier herangezogenen Berichte blind. Das Bildungsinteresse der Unteren erfordert mittlerweile ein hartes politisches Aufbegehren gegen diejenigen, die ihre ererbten Privilegien, wie gegen die, die als Gewinner der zurückliegenden Bildungsexpansion ihre erworbenen Privilegien nach „Unten“ verteidigen. Mit Erzählungen von einem erfolgreichen Bildungsaufstieg ist es nicht getan. Aufstiegsmodelle helfen nur in Grenzen.
Es handelt sich auch nicht um eine „Klassenreise“, sondern, wenn es gut geht, um die Reise in die benachbarte Gruppe der lohnabhängigen Intelligenz. Das ist schon etwas, wenn man aus prekären Verhältnissen kommt. Dennoch bleiben, wie vom ‚Eliten‘-Forscher Michael Hartmann mehrfach nachgewiesen, die oberen Etagen nach unten weitgehend dicht. Selbst wenn es nicht so wäre, änderte dies nichts an der pyramidalen Struktur der gesellschaftlichen Klassen. Dass alle aufsteigen können, ist so wenig realistisch wie die Vorstellung, alle Katholiken, gar Katholikinnen könnten Papst werden. Individueller Aufstieg ist noch keine soziale Emanzipation. Organisationen, die soziale Gerechtigkeit auf Aufstiegsmobilität reduzieren, geben damit nicht nur ein Ziel preis, sondern ändern auch, sofern sie erfolgreich sind, nach und nach ihr soziales Profil. Insofern dementieren Maria Barankow und Christian Baron bereits im Vorwort, was der Titel ihrer Anthologie Klasse und Kampf suggeriert. Es geht nicht um Klassenkampf, sondern es geht um den vielfältig schillernden „Lebenskampf“. „We gotta get out of this place“, sang in meiner Kindheit Eric Burdon. Das konnte ich sehr gut verstehen, obwohl ich niemals an einem Platz lebte, zu dem die Sonne nicht durchdrang. Aber diese Sehnsucht hat noch nicht einmal etwas mit der reformistischen Kurve zu tun, die Barankow und Baron nach Ausführungen zum marxistischen Begriff von Klasse und Ausbeutung doch noch kriegen, die Kurve hin zum Glauben, „vielleicht“ lasse sich „eine bessere Welt ohnehin am besten in kleinen Schritten erreichen“. Warum soll es ein kleiner Schritt zu einer besseren Welt sein, wenn die Arbeitertochter einen Konzern leitet oder der Arbeitersohn die Armee? Das Personal ändert sich, sie dürfen mitspielen, aber die Spielregeln bleiben. Die dürfen unter keinen Umständen geändert werden.
Von solcher Engführung scheint Eribons Rückkehr nach Reims Welten zu trennen. Eribons Aufzeichnungen sind nämlich ausdrücklich in politische Fragestellungen eingebettet, die sich nicht nur auf die Ursachen der Schwäche der Linken in Frankreich beziehen, sondern auch darauf, wie die Linke die Rechtswendung auch von Arbeiterwählern korrigieren und wieder in die gesellschaftliche Offensive geraten kann. Dabei sieht er die Kommunistische Partei vor allem als Opfer des mit der Deindustrialisierung des Landes verbundenen sozialen Wandels. Sie habe es versäumt, sich auf diese „soziale Transformation“ einzustellen. Seine Hauptkritik zielt auf die neoliberal gewendete Sozialistische Partei, die unter dem „Vorwand der geistigen Erneuerung“ ihren Wesenskern entleert und sich plötzlich „das alte Projekt des Sozialabbaus“ auf ihre Fahnen geschrieben habe. Allerdings verdeckt Eribon diese Unterscheidung, indem er immer wieder entdifferenzierend von den „Parteien der Linken“ oder der „institutionellen Linken“ redet. Bei ihm mag das einem spezifisch französischen Sprachgebrauch geschuldet sein, der sich bei genauer Lektüre mühelos in notwendige Differenzierungen zurück-übersetzen lässt. Zudem steht seine Kritik in der Perspektive der Rückgewinnung praktischer Handlungsmacht der Linken. Nicht allein durch Aufklärung, sondern vor allem durch die Erfahrbarkeit ihrer Präsenz, an den Arbeitsplätzen und auf den Straßen, sei dies zu erreichen.
Ironischerweise ignorieren die meisten, die sich hierzulande auf Eribon berufen, diese Perspektive, übernehmen aber gerade seine pauschalisierenden Formulierungen und übertragen sie vor allem auf die akademische Linke. Dabei geht es gar nicht so sehr darum, ob man mit Christian Baron linken Studentengruppen ernsthaft eine „Akademisierung des Protestes“ vorwerfen kann oder dass sie eine andere Sprache sprechen als Arbeiter. Auch will ich mit Baron nicht darüber streiten, ob Impressionen von Partys bei linksliberalen Freunden an der Trierer Universität der Nullerjahre eine ausreichende Erfahrungsbasis für den Vorwurf hergeben, „die Linke“ verachte die Arbeiter, oder ob die Rede von „marxistischen Beamtenprofessoren“ (in Deutschland!) und „wohlstandslinken Hornbrillenhipstern“ mehr ist als Ressentiment bzw. berechnendes Marketing. Gewiss gibt es gute Erfahrungsgründe, dem Radikalismus (klein-)bürgerlicher Jugendlicher nicht allzu viel zuzutrauen. Die Gratifikationen, die auf dem Spiel stehen, können schwach machen. Da sollte man lieber auf die Nachhaltigkeit ihres politischen Engagements keine Wetten abschließen. Das gilt aber ebenso für Bildungsaufsteiger.
Entscheidend ist, dass Barons Kritik der akademischen Linken stillschweigend zwei einseitig Grundannahmen Eribons aufgreift und reproduziert. Diese bestehen einmal darin, die Welt wissenschaftlicher Bildung umstandslos dem gesellschaftlichen Oben zuzuschlagen. Ob Jargon oder notwendige Anwendung wissenschaftlicher Begriffe ist seinen deutschen Adepten Jacke wie Hose. Wissenschaft sei angeblich immer schon unlösbar in Herrschaftsverhältnisse eingebunden und wer sich auf sie einlässt, positioniere sich gegen das Leben der Unteren und Gewöhnlichen. Diese Sichtweise ist verknüpft mit der zweiten Grundannahme, wonach die Subjekte immer nur als Effekte von Strukturen zu begreifen sind. Die Einzelnen können zwar den Prägestempel wechseln, niemals aber der Prägung selbst entkommen, dem Geprägt-Werden durch eine Struktur. Wer sich also als Subalterner in die „Kultur der Schule und des Lernens“ begibt, muss sich einer „Umerziehung“ unterziehen, ihm wird „Anpassung“ abverlangt: „Unterwerfung war meine Rettung“, heißt es bei Eribon. Das Subjekt, so das neo-strukturalistische Credo, ist das Unterworfene, ist immer nur eine Variante des ewigen Untertanen. Wie es sich auch dreht und wendet, es bleibt eingeschlossen in Gehäusen der Hörigkeit. Eribon ist hier der getreue Schüler Michel Foucaults.
Es ist keine Zufall, dass unter den vielen autobiographischen Berichten allein ein Professor für Subjektwissenschaft, der kritische Psychologe Klaus Weber aus Bayern, den Finger auf diese Wunde legt: Es fehle diesen Leuten ein Begriff von Subjektivität, der gegenüber den vorgefundenen gesellschaftlichen Formen, in denen die Individuen sich bewegen, auch kritische Handlungsmöglichkeiten in Betracht zieht. Denn nicht immer ist Aufstieg „Klassenverrat“, nicht immer ein „Euphemismus für komplexe Anpassungsvorgänge“ im Blick auf die herrschenden Verhältnisse, wie Barbara Juch und Laura Nitsch in der BdWi-Anthologie meinen. Man muss sich nicht bedingungslos anpassen. Daher sei das Gerede vom „Zwischenmenschen“ in einer „Zwischenwelt“, von „Zerrissenheit“ und „hybrider Identität“ eine „lamentierende Ohnmachtsposition“ (Weber), wenn nicht die melancholische Bejahung des Bestehenden.
Ihr treten in den vorliegenden Anthologien nur wenige entgegen. Neben der Kritik Klaus Webers und der erfrischenden Nüchternheit der Mathematikprofessoren Alois Krieg und Manfred Brill sind das der Germanist Klaus-Michael Bogdal, der sich als „Intellektueller in und aus der Arbeiter*innenklasse und als Arbeiterkind im Intellektuellenmilieu“ versteht, der Arbeitsmediziner Rainer Müller und der Soziologe Jürgen Prott. Ihm haben nach einer Schriftsetzerlehre seine Kollegen den Imperativ mit auf den Weg des Bildungsaufstiegs gegeben: „Mach was aus dir, aber bleib der Alte!“ Nach Prott bleibt diese Paradoxie dann lebbar, wenn man seine „akademischen Meriten in den Dienst der Arbeiterorganisationen“ stellt. Anders gesagt: Es gibt, jenseits von Herablassung und Anbiederei, eine Treue zur Herkunft, die Erfahrung und wissenschaftliches Wissen zusammenschließt. Dafür gibt es seit langem einen Begriff: Klassenbewusstsein.
Besprochene Literatur:
- Riccardo Altieri; Bernd Hüttner (Hg.): Klassismus und Wissenschaft. Erfahrungsberichte und Bewältigungsstrategien. 2. überarb. Aufl., BdWi-Verlag, Marburg 2021 (Reihe Hochschule Bd. 13)
- Betina Aumair; Brigitte Theißl (Hg.): Klassenreise. Wie die soziale Herkunft unser Leben prägt. Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, Wien 2020
- Maria Barankow; Christian Baron (Hg.): Klasse und Kampf. Claassen im Ullstein-Verlag, Berlin 2021
- Christian Baron: Ein Mann seiner Klasse. Claassen im Ullstein-Verlag, Berlin 2020
- Christian Baron: Proleten, Pöbel, Parasiten. Warum die Linken die Arbeiter verachten. Das Neue Berlin, Berlin 2016
- Julia Reuter; Markus Gamper; Christina Möller; Frerk Blome (Hg.): Vom Arbeiterkind zur Professur. Sozialer Aufstieg in der Wissenschaft. Autobiographische Notizen und soziobiographische Analysen. Transcript-Verlag, Bielefeld 2020 (Gesellschaft der Unterschiede, Bd. 54)
Anmerkung: Hans Otto Rößer ist „Erstakademiker“
Die Zeit schien stillzustehen
Ich schrie. Man stillte mich. Päppelte mich auf, bis ich nicht mehr sitzen wollte. Schon bald konnte ich nicht mehr stillsitzen. Sitz still! Sei still! Warum bist du so still? Still konnte ich nicht mehr hören und stillvergnügt war das Letzte.
Mit sechs sollte ich auf neun Jahre wieder stillsitzen, die Schnüss halten, aber um Himmels Willen nicht sitzenbleiben, sondern mich auf den Hosenboden setzen; ohne das nötige Sitzfleisch gehabt zu haben. Steh gefälligst auf, wenn du was sagst! War ich etwa ein Stehaufmännchen?
Mit 19 hieß es plötzlich: Stillgestanden! 15 Monate saß ich fest. Nicht selten hatte ich einen sitzen. Stillschweigende Sitzblockaden oder Aufstehen?
Fest stand, es musste sich was ändern!
Passage aus der erst Anfang 2023 zu schreiben begonnen Autobiographie eines 1955 geborenen erststudierenden, echten Arbeiterkindes „EIN MANN WILL“ von Franz Hallada.
Als gewolltes südwestfälisches Arbeiterkind,
im goldenen Oktober des Aufbruchsjahres 1955 im Ruhrpott,
am Tore zum Sauerlande, hat Mutter mich im Bette ihrer Mutter geboren.
Leider kleinerzogen, absolvierte ich dennoch die 6. Klasse anne Volksschule
als auch die 9. anne höhere Hauptschule – mit eher gutem als befriedigendem Erfolg,
ohne dass mir das jemand hätte einbläuen wollen.
Und natürlich ohne jemals Schullabeiten gemacht zu haben.
Die waren noch nicht abgeschafft.
Eine Eins schrieb ich in Leibeserziehung.
Auffe realen Gymnasien ließ man mich nicht,
und das, obwohl es genug von denen gab.
Schwimmen erlernte ich zum Glück noch vor der Einschullung,
rührig inne Ruhr, zwar mit Wasser inne Löffel, aber mit Spass inne Backen.
Peter Schmiedchen alias Franz Hallada