Die schreckliche Tragödie vor der ionischen Küste bei Crotone vom 26. Februar 2023 kann uns die gnadenlose Realität der gar nicht einmal heimlichen Immigration über das Mittelmeer nach Italien vor Augen führen, und ist trauriger Anlass, die politischen Reaktionen einzuordnen sowie die mediale Schwerpunktsetzung zurechtzustellen und mit Daten zu kontrastieren.
Es war ein mit etwa 200 Personen asiatischer Herkunft besetztes Fischerboot, das aus Izmir an der türkischen Küste kam, vermutlich von türkischen Schleppern zwischen den griechischen Inseln hindurch gesteuert, die angeblich über 5 Tausend Euro pro Person kassiert hatten.
Es kam also nicht aus Nord-Afrika, von wo aus die überwiegende Zahl der Flüchtenden ablegt, die in Italien registriert wurden. Im Jahre 2022 erreichten rund über 105 Tausend Menschen Italien, davon etwa 40% aus Asien (aus Bangladesch, Pakistan, Afghanistan, Iran, Irak und Syrien), etwa 40% aus Nordafrika (weit überwiegend aus Ägypten und Tunesien) und lediglich 20% aus Afrika südlich der Sahara. Etwa 30 Tausend kamen von Osten her an den apulischen und kalabrischen Küsten des Stiefels an, nicht in Lampedusa, Sizilien oder anderen Inseln.
Das kleine Schiff war nachts in stürmischer See nahe der Küste unterwegs. Angeblich warfen die Schlepper zuerst Menschen ins Wasser, bevor das Holzboot zerschellte. Nach ersten Angaben erreichten 80 Flüchtende schwimmend und mithilfe von lokalen Fischern das Land, 62 Leichen wurden geborgen, weitere noch vermisst.
Ein Frontex-Flugzeug hatte das Fischerboot bereits weit vor der Küste in internationalen Gewässern beobachtet. Eine Patrouille hat angeblich versucht, es zu erreichen, aber bei starkem Seegang abgebrochen.
Von den Rettungsschiffen der Nicht-Regierungsorganisationen (NRO) war keines in der Nähe, einige nicht einmal im Seegebiet. Eines der großen, die „Geo Barents“ der „Ärzte ohne Grenzen“, lag im Hafen von Ancona in der Adria, festgesetzt durch einen Bescheid, da der Kapitän sich vorher mit Rettungsaktionen über ein neues Dekret des Innenministeriums hinweggesetzt hatte. Dieses Dekret wurde erlassen, um den NRO-Schiffen die Arbeit zu erschweren und kostspielig zu machen. Es verlangt, dass die Schiffe nach jedem Rettungseinsatz einen Hafen anlaufen, den die Behörden vorgeben, bis zu tausend Meilen entfernt von den Flüchtlingsrouten. Damit glaubt die Regierung nicht gegen das Seerecht zu verstoßen, was die NRO allerdings bezweifeln. Die „Geo Barents“ hatte trotzdem Menschen von drei Booten aufgenommen, bevor sie zum entfernten Ancona gesteuert wurde. Nun muss sich die Regierung den Vorwurf anhören, dass sie mit ihrem überklugen Vorgehen gegen die NRO-Schiffe das Lebenretten verhindert. Die Regierung wehrt sich massiv und versucht, den Fokus auf die Schlepper und Einschiffungsländer zu lenken.
Die Auseinandersetzung mit den NRO-Schiffen überlagert die Diskussion des Flüchtlingsthemas in Italien seit Jahren. Die Lega Matteo Salvinis, die in der Regierungskoalition wieder den Innenminister stellt, nimmt die NRO medienwirksam aufs Korn, obwohl mit diesen Schiffen 2022 nur etwa 11 von den 105-tausend See-Immigranten ankamen, allerdings aus Seenot Gerettete. Die anderen landeten ohne Hilfe oder sie wurden von der italienische Küstenwache aufgenommen. Trotz der Rettungsmaßnahmen kamen auch 2022 noch 1300 ums Leben. Etwa 20 tausend sollen von der libyschen Küstenwache abgefangen worden sein, wo sich die Unterstützung Italiens mit unter anderem der Lieferung von Schiffen auswirkt.
Nach 2022 werden 2023 voraussichtlich wiederum über 100 tausend übers Mittelmeer in Italien eintreffen, womit die jährliche Größenordnung von vor der Pandemie wieder erreicht wird. Viele Geflüchtete arbeiten in landwirtschaftlichen Betrieben, zu Billiglöhnen. Englischsprachige Flüchtende versuchen sich illegal über Frankreich nach Großbritannien durchzuschlagen.
Italien fühlt sich, nach meiner Meinung zu Recht, von den EU-Ländern in Stich gelassen, die geltende Vereinbarungen zur Abnahme von Flüchtenden nicht umsetzen, die ohnehin schon unzureichend sind. Dass Deutschland nach dem Schwung der aus der Ukraine-Flüchtenden, die in geringerer Zahl auch in Italien aufgenommen wurden, auch wieder viele aus Asien aufnimmt, wird in den italienischen Medien nur nebenher erwähnt. Zweifellos ist jedoch eine Entlastung Italiens durch andere Länder der EU überfällig. Was die übergreifende Politik zur vorbeugenden Vermeidung von Flucht in den Herkunftsländern betrifft, liegt der Blick immer wieder auf Afrika südlich der Sahara. Die Zahlen zeigen aber, dass Nordafrika und Asien, zumindest in Italien, die Haupt-Herkunftsgebiete sind.