Die Zeiten ändern sich, und mit gesellschaftlichen Veränderungen muss eine lebendige Verfassung Schritt halten. Vor Leichtfertigkeit, Überfrachtung und parteipolitischen Ambitionen sei jedoch gewarnt. Die Einfachheit des Grundgesetzes, seine Verständlichkeit und Einprägsamkeit sind um der Akzeptanz willen zu bewahren.
Die Ampelkoalition hatte sich einiges vorgenommen in ihrem Koalitionsvertrag von 2021, zum Beispiel Sport und Kultur als Staatsziele einzuführen, dem Bund Kompetenzen zur Bekämpfung von Cyberkriminalität zu verschaffen sowie die Kinderrechte zu verankern, was 2020 schon beinahe gelungen wäre, am Ende aber doch an der mangelnden Kompromissfähigkeit im Parlament scheiterte.
Für den Artikel 3, der mit der Feststellung beginnt, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich und Männer und Frauen gleichberechtigt sind, sahen SPD, Grüne und FDP gleich zwei Änderungen vor. In Absatz 3 sollten die Diskriminierungsverbote um die sexuelle Identität ergänzt und der Begriff Rasse gestrichen werden. Beides ist nicht in Sicht, und Letzteres hat die Ampel selbst vom Tisch genommen, wie im Februar zu lesen war.
Dabei hatte das Vorhaben viel Zuspruch gefunden, denn es gibt keine Menschenrassen. Aber es gibt Rassismus. Deshalb wurde nach neuen Formulierungen gesucht. An die Stelle von „Niemand darf wegen (…) seiner Rasse (…) benachteiligt oder bevorzugt werden“ sollten Wendungen wie rassistisch, rassistische Diskriminierung, rassistische Zuschreibung, rassistische Gründe oder rassistische Motive treten. Während mehrere Landesverfassungen das inzwischen umgesetzt haben, hat die Bundesregierung sämtliche Reformvorschläge verworfen.
Mehrheitlich hatten Rechtswissenschaftler in einer Bundestagsanhörung 2021 die Änderungsvorschläge begrüßt. Sie seien verfassungspolitisch überzeugend, adressierten ein gesellschaftlich wichtiges Problem und setzten ein wichtiges Signal im Umgang mit rassistischer Diskriminierung sowie mit den Folgen derartiger Diskriminierung. Der bisherige Umgang mit dem grundgesetzlichen Diskriminierungsverbot „wegen seiner Rasse“ erweise sich im Recht insgesamt als nicht besonders entwickelt und weise Probleme auf.
Weil es keine Rassen gibt, kommt es vor Gericht äußerst selten zur Bezugnahme auf dieses Benachteiligungsverbot. Die Formulierung „Rasse“ sei ein unbestimmter und willkürlicher Rechtsbegriff, der nicht konkretisierbar sei und Rechtsunsicherheit hervorrufe. Objektiv könne kein Mensch einen anderen Menschen wegen seiner Rasse benachteiligen, weil es unterschiedliche Menschenrassen nicht gebe. Die Verwendung des Begriffs Rasse führe zu dem Glauben, dass unterschiedliche biologische Menschenrassen existierten. Dies könne zur Förderung rassistischen Denkens beitragen. In die Wertewelt der Bundesrepublik Deutschland passe der Begriff der „menschlichen Rasse“ nicht.
Gegen diese Argumentation erhoben einige Juristen Widerspruch. Es sei ein historischer und auch rechtsdogmatischer Irrtum, aus der Verwendung des Begriffs Rasse im Grundgesetz zu schließen, damit werde die nationalsozialistische Rasseideologie perpetuiert oder gar legitimiert. Das Gegenteil sei der Fall: Der Begriff Rasse im Sinne von Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes antworte auf einen kulturell-sozial bestimmten Rassenbegriff, aus dem ein Überlegenheitsanspruch hergeleitet werde und der prinzipiell durch seine Irrationalität und seine Anfälligkeit für pseudowissenschaftliche Theorien von der Höherwertigkeit oder der Minderwertigkeit bestimmter Menschengruppen gekennzeichnet sei. Um rassistisch motivierten Herabwürdigungen, Benachteiligungen oder Verfolgungen zu begegnen, müsse der Begriff Rasse nicht gestrichen werden. Es bedürfe keiner Schönheitsreparatur mit noch nicht absehbaren Folgen.
Die Streichung wäre Ausdruck von Geschichtsvergessenheit, hieß es in der Expertenanhörung. Artikel 3, Absatz 3 sei auch eine Reaktion auf die Schoa. Die Nationalsozialisten hätten die Rassenideologie zur Entmenschlichung von Juden und Jüdinnen genutzt. Um daran zu erinnern, sei die ursprüngliche Formulierung beizubehalten. Dafür trat auch der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, ein. Das Wort Rasse erinnere an die Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen, sagte er und: „Streichen wir diese Erinnerung aus unserer Verfassung, werden wir sie irgendwann auch aus unserem Gedächtnis streichen.“
Aus gesetzgeberischer Sicht liegt da offensichtlich ein derzeit nicht lösbares Dilemma vor. Der juristische Laie fragt sich mit Blick auf den aktuellen Wortlaut von Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes – „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ – ob es überhaupt einen Grund für Diskriminierung eines Menschen geben kann. Doch für die Rechtssprechung ist eine Konkretisierung notwendig; und ohne Zweifel sind die Bekämpfung von Rassismus und der Schutz vor rassistischer Diskriminierung ein aktuelles und dringliches Anliegen, das jeden erdenklichen Rückhalt verdient.