Ein Abend für die UNO-Flüchtlingshilfe. Was passt da besser zusammen, als wenn man Werke des weltberühmten Cellisten Pablo Casals im Kammermusiksaal des Beethovenhauses spielen lässt. Der Künstler, der immer zuerst Mensch sein wollte und der anders als manche seiner Künstler-Kollegen den Ausbruch des 1. Weltkriegs nicht feierte, weil er ahnte, dass Krieg immer mit Tod und Zerstörung zu tun hat. Ein Mann, der musikalisch für das freie Katalonien kämpfte, was ja seine Heimat war, der sich für die spanische Republik engagierte, der gegen die Nazis in Deutschland war mit ihrem hässlichen Rassismus und Antisemitismus, der spielend gegen Atomwaffen auftrat, der das kommunistische Regime in Russland ebenso ablehnte wie den spanischen Diktator Franco, dessen Diktatur er als Tragödie seines Lebens empfand, und der deshalb einen großen Teil seines Lebens im Exil verbrachte, zunächst in Prades in den französischen Pyrenäen und dann in Puerto Rico, wo er 1973 starb.
Ein Mann mit Haltung, der sich weigerte in Ländern aufzutreten, die das Franco-Regime nicht nur tolerierten, sondern mit ihm Geschäfte machten. Auch die Bundesrepublik stand auf seiner Boykottliste- doch der Künstler machte hier eine Ausnahme: Wegen seiner Liebe zu und Verehrung für Ludwig van Beethoven trat er in Bonn auf, nur hier in der Geburtsstadt des großen Musikers. Einmal 1955, wo er das Geburtszimmer und den Garten besichtigte und auf Beethovens Violoncello spielte. Auch trug er sich in das Ehrengästebuch ein. Der zweite Besuch war dann im September 1958 mit zwei Konzerten. Casals sah das Beethovenhaus als „neutralen Boden“ an, deshalb die Ausnahme. Welch eine Ehre für die Bundesstadt, die kleine Stadt am Rhein. Der noch junge Kritiker der SZ, Joachim Kaiser, feierte das Konzert „als das vielleicht bemerkenswerteste des Jahres“.
Damals musizierte man in den bescheidenen Räumen des Beethovenhauses, Zuschauer mussten teilweise von draußen der Musik des Cellisten lauschen. Heute hat man den kleinen, aber feinen Kammermusiksaal mit seinen über 200 Plätzen. „Ein Jahrhundertkünstler in Bonn“, jubelte zu Recht der „Bonner Generalanzeiger“ in seinem Vorbericht auf einen Konzertabend, den die Freundinnen und Freunde der Flüchtlingshilfe als „bewegend“ empfanden. 110 Millionen Flüchtlinge gebe es zur Zeit, berichtete die Vorsitzende der UNO-Flüchtlingshilfe, Ricarda Brandts, und erinnerte an das Leid dieser Menschen. „Niemand flieht freiwillig“.
Deshalb ist es meiner Meinung nach angeraten, die Diskussion über das Asylrecht, eine Verschärfung dieses Menschenrechts und die mögliche Abschiebung dieser in Deutschland lebenden Menschen behutsam zu führen. Bedenken wir das Leid der Flüchtlinge weltweit und schauen nicht nur auf die Wahlerfolge der Rechtsradikalen von der AfD, die mit dem Leid der Menschen Politik machen, ohne Rücksicht auf Menschlichkeit.
Unter den Gästen befand sich auch der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer. Beklemmend für ihn und beschämend für uns Deutsche, dass auch in Bonn der Antisemitismus zunimmt, dass es Schmierereien gibt. Schlimm, dass Menschen jüdischen Glaubens sich hier nicht mehr sicher fühlen können, dass jüdischen Kindern geraten wird, auf das Tragen der Kippa zu verzichten, damit man sie nicht mehr als Juden erkennt. Wer hätte geglaubt, dass es wieder so etwas gibt. „Schon wieder“ im Land der Täter, muss man konstatieren. Wo bleibt der Widerstand der deutschen Zivilgesellschaft? Warum lassen wir zu, dass sich wieder barbarisches Verhalten breit macht gegen Menschen, weil sie Juden sind? Haben wir denn alle Auschwitz vergessen, das Synonym für die Nazi-Verfolgung und Ermordung von Millionen Jüdinnen und Juden?
Das Schöne bewahren, eine Vision von Frieden und Freiheit teilen, so war es im Programm dieses Konzertabends zu Ehren von Pau Casals zu lesen. Und der Musikabend lieferte das Schöne, ließ aber auch das Zerstörerische anklingen, das nun einmal jeder Krieg mit sich bringt, sowohl der Überfall Russlands auf die Ukraine wie der Überfall der Terror-Organisation Hamas auf Israel. Tausende von Toten sind zu beklagen, Millionen weiterer Flüchtlinge, Häuser und Wohnungen liegen nach Bombenanschlägen in Schutt und Asche. Das Leid der Flüchtlinge, auch das der Palästinenser, Krieg und Leid in aller Welt in einem Konzert zum Thema zu machen, ein bewegender, Abend, den man als aufrührend empfinden konnte.
Der Cellist Philipp Schupelius, preisgekrönter Musiker mit seinen gerade mal 20 Jahren, hatte in seiner Erklärung der folgenden Musik von Alfred Schnittkes erster Sonate für Violoncello und Klavier erläutert, dass man das Rattern und Knattern der Panzer heraushören würde, das Dröhnen der Flugzeuge und die Explosion der Granaten, eben das Zerstörerische der Kriege. Als Zuhörer zuckte man dann mehrfach zusammen, weil man die Verzweiflung der Menschen meinte mitzubekommen, mit der Schupelius und Neumann die Musik darboten.
Pablo Casals, der sich am liebsten Pau nennen ließ, was so viel heißt wie Frieden. Zeit seines Lebens sein Thema. Auch die Flucht gehört hierhin, weil sie oft Folge von Krieg ist. Noch einmal Ricarda Brandts, die erste Vorsitzende der UNO-Flüchtlingshilfe, deutscher Partner des Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen(UNHCR): „Dank der großartigen Unterstützung der Zivilgesellschaft und Unternehmen konnten wir im vergangenen Jahr rund 81 Millionen Euro an den UNHCR weiterleiten. Die jüngsten Krisen in Armenien, Libyen, Sudan und der Krieg in der Ukraine zeigen uns, dass der Hilfsbedarf weiter wächst. Wir dürfen die Menschen auf der Flucht nicht allein lassen.“
Am Ende des Konzerts bat Katja Dörner, die Grünen-OB der Stadt Bonn, in den Gobelinsaal des alten Rathauses. Sie bedauerte die Schmierereien am Bonner Stadthaus und in der Altstadt. Sie bedauerte, dass Juden in Deutschland wieder in Angst leben müssten. Sie setze darauf, so die Hoffnung der Grünen Politikerin, dass die Deutschen Haltung im Alltag zeigten. Gemeint wir alle. Antisemitismus dürfe nirgendwo im Land einen Platz haben. So ähnlich hatte es der Bundespräsident bei einer Veranstaltung am Brandenburger Tor gesagt. Und Bundeskanzler Olaf Scholz hatte bei der Einweihung der ersten Synagoge in Dessau seit dem Nationalsozialismus gemahnt: „Es wird Hass gesät, wir müssen alles dagegensetzen.“ Es ist unglaublich und unerträglich.
Aber lassen wir noch einmal den gefeierten Cellisten Philipp Schupelius hören, um Casals zu würdigen an seinem 50. Todestag. „Casals kämpfte musikalisch für seine Ziele. Verbittert war er nicht. Er liebte das Leben- trotz allem. Und lebenszugewandt war Musik für ihn insofern, als dass sie in dem ihr eigenen Freiraum auch in dunklen Zeiten all das bewahrt, was am Menschen, am Menschsein gut ist und schön. Und was nicht schön ist, – wird durch Musik zumindest für den Moment empathisch nachvollziehbar“. So der Musiker in einem Interview . All das sollte in der Musik im Kammermusiksaal deutlich werden, so Schupelius, der zugleich hoffte, dass durch das Konzert auch die UNO-Flüchtlingshilfe unterstützt wird, „eine Organisation, die sich für Menschen auf der Flucht einsetzt und versucht, ihnen Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Das wäre sicher im Sinne Casals.“