Nicht allein die Unsicherheit im Innern, sondern auch die außenpolitischen Entwicklungen bereiten großen Teilen bemerkenswerte Sorgen. Die Zahl der kriegerischen Auseinandersetzungen und der Krisenherde wächst global weiter.
Kriege und Krisen in der Welt
Der Mittlere Osten kommt nicht zur Ruhe, der schreckliche Krieg in Syrien findet kein Ende. In Afghanistan herrscht ein außerordentlich labiler Zustand. Die Blutspur des mörderischen IS zieht sich durch viele Regionen und ist mit den Terrorattacken auch hier im zuvor so friedlichen Europa dauernd zu befürchten. Nahezu täglich erreichen uns Meldungen über Attentate mit einer Vielzahl von Todesopfern aus dem Irak und Pakistan. Die großen Hoffnungen auf den arabischen Frühling haben getrogen und sind längst verflogen. Libyen ist inzwischen ein „failing state“, Tunesien von Terroristen bedroht und Ägypten spielt längst keine Rolle mehr für die Stabilität in der Region. In zahlreichen Staaten Afrikas –von Nigeria bis Mali- wüten Kämpfer der Boko Haram als IS-Ableger.
Ungelöster Ukraine-Konflikt
Hinzu kommt, dass der Ukraine-Konflikt immer noch nicht gelöst ist. Fast täglich gibt es kämpferische Auseinandersetzungen auf dem ostukrainischen Territorium, obwohl die EU-Staaten und Russland auf die Implementierung des Minsker Abkommens drängen. Das Säbelrasseln der NATO an den Ostgrenzen Russlands hat an Lautstärke weiter zugenommen. Es kommt kein intensiver Dialog mit dem Kreml-Herrscher zustande, obwohl der Frieden in Europa nur mit und nicht gegen Russland zu sichern ist. Gewiss war die Einnahme der Krim ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht und gegen früher geschlossene Vereinbarungen, die Grenzen auf unserem Kontinent nicht mehr mit Waffengewalt zu verschieben. Die deswegen gegen Russland von der EU verhängten Sanktionen haben eher zu einer Verhärtung der Positionen des Kremls geführt und bewirken zudem ökonomische Schäden auf beiden Seiten.
Dialog mit Putin suchen!
US-Präsident Obama agiert nur noch als „lame duck“ und hat offenbar die politische Verbindung nach Moskau nahezu eingestellt. Ob sein Nachfolger –ganz gleich ob Hillary Clinton oder ob Donald Trump- mit dem Einzug ins Weiße Haus im Januar 2017 auf Reset umschaltet und eine außenpolitische Offensive für eine wesentliche Verbesserung des russisch-amerikanischen Verhältnisses starten wird, das ist eher unwahrscheinlich. Neue Impulse müssen von den größeren Partnern der EU ausgehen – allen voran von Deutschland und Frankreich, von Merkel und Hollande, die auf Augenhöhe mit Putin verhandeln könnten. Die schrittweise Lockerung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland wäre ein positives Signal, um Putin aus seiner defensiven Ecke zu holen und mit ihm wieder in fruchtbare Gespräche einzutreten. Ebenso sollten die EU-Russland-Konsultationen, der NATO-Russland-Rat und auch der Petersburger Dialog wiederbelebt werden, zumal sich die Russen und alle anderen Europäer in einer Schicksalsgemeinschaft befinden. Vor allem können sie nur gemeinsam –auch mit den USA- die Welt, die zur Zeit wahrlich aus den Fugen ist, wieder friedlicher machen und zusammenfügen.
EU in miserabler Verfassung
Allerdings ist die EU derzeit ebenfalls in einer außerordentlich schlechten Verfassung. Die Brexit-Entscheidung muss von allen verantwortlichen Politikern als ganz besonderes Warnsignal begriffen werden. Auch in anderen Ländern –von den Niederlanden über Frankreich bis Dänemark- sind „Separatisten“ auf dem Vormarsch. Niemand kann die nationalistischen Strömungen übersehen, die inzwischen sogar auch in Deutschland von der AfD gespeist werden. In vielen EU-Mitgliedstaaten herrscht zudem eine politische und wirtschaftliche Labilität; das gilt für Spanien und Portugal ebenso wie für Italien und Frankreich, für Griechenland ebenso wie für andere Länder im Südosten Europas. Nach wie vor zu hohe Schulden, eine wirtschaftliche Stagnation oder gar ein ökonomischer Niedergang, Arbeitslosenquoten von 10 bis 20 %, bei Jugendlichen gar bis zu 50 % – solche Entwicklungen sind kein Qualitätsnachweis für eine europäische Gemeinschaft, die sich Frieden und Freiheit, aber auch Wohlstand für alle auf die Fahnen geschrieben hat. Deshalb gilt es, dass die Führer Europas so schnell wie möglich wirkungsvolle Initiativen starten, mit denen die Volkswirtschaften wieder auf Wachstumskurs kommen, die Arbeitslosigkeit deutlich abgebaut wird und die zum Teil nicht mehr wettbewerbsfähigen Strukturen nachhaltig verbessert werden. Die mehr als 500 Millionen Menschen in der EU werden ihre Europabegeisterung wieder deutlich steigern, wenn positive Ergebnisse sichtbar und für sie spürbar werden.
Noch Chancen für TTIP
Die Ressourcen für eine Renaissance Europas sind durchaus vorhanden. Auf große Unterstützung etwa von den USA sollte nicht gehofft oder gar gewartet werden. Die Europäer haben noch die große Chance, mit den Amerikanern in der allernächsten Zeit zu dem Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) zu gelangen. Immerhin stehen die EU und die USA für 50 % der Weltwirtschaft. Alles, was hier zwischen den beiden im TTIP geregelt wird, daran müssen sich die meisten Player in der Welt orientieren. Mit Präsident Obama zu einem positiven Abschluss zu kommen, das empfiehlt sich, denn mit dem nächsten US-Präsidenten oder –Präsidentin einig zu werden, das dürfte außerordentlich schwierig werden und vielleicht sogar bis zum Sankt Nimmerleinstag dauern. Immerhin wird im Laufe des kommenden Monats grünes Licht für das Freihandelsabkommen mit Kanada, für CETA, erwartet; im Bundestag wird es dazu eine entsprechende Entschließung geben, die dann für die EU-Verhandler verbindlich ist.
Neuer Aufbruch für Europa
2017 wird der 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge gefeiert, mit denen die EWG, also die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, zunächst von 6 Mitgliedsländern gegründet wurde. Ohne Zweifel kann nach 6 Jahrzehnten die europäische Gemeinschaft eine außerordentlich positive Bilanz vorweisen – trotz mancher Rückschläge und Fehlentwicklungen. Freiheit und Frieden sowie demokratische Grundrechte sind inzwischen für alle selbstverständlich. Nach den schrecklichen Weltkriegen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist das ein Wunder. Deutschland ist heute von Freunden umgeben; kein Schuss ist seitdem mehr auf die Nachbarn abgegeben worden. Doch müssen sich nun die Blicke nach vorn richten: Europa ist mehr denn je gefordert, gemeinsam für die äußere und innere Sicherheit der Gemeinschaft zu sorgen, wirtschaftliche und soziale Erfolge zu erreichen, sein Engagement in der Welt –vor allem auch in Krisenregionen- deutlich zu steigern und solidarisch die Herausforderungen mit den in die EU strömenden Migranten zu meistern. Denn das europäische Abendland ist Erbe und Auftrag für alle – für die Politiker und Bürger. Nur eine starke EU kann entscheidende Beiträge leisten, um die Weltordnung wieder zu stabilisieren und zu festigen.
Bildquelle: Wikipedia, Nationalmuseet, Solvognen, sort baggrund, CC BY-SA 3.0