Faktisch ein Jahrzehnt hat die SPD ihren Markenkern vernachlässigt. Endlich geht es ihr wieder um die Reform des Sozialstaats, nach dem sie lange zugesehen hat, dass sich die Gesellschaft in Arm und Reich gespalten hat. Fördern und Fordern war ein Leitmotiv für die Gängelung am Arbeitsmarkt, mit der Arbeitslosigkeit bekämpft wurde. Wer sich prekären Jobangeboten verweigerte, wurde die Unterstützung gekürzt und auf Sozialhilfeniveau gebracht, was zu immer mehr prekären Jobangeboten führte. Kein Wunder, dass heute mehr als 40 Prozent der Arbeitnehmer über weniger Einkommen als Mitte der neunziger Jahre verfügen.
Dies führte dazu, dass die SPD in der Wählergunst rapide absackte, und heute mit der AfD konkurriert um den dritten Platz im Bundestagsranking. Eine SPD, die sich ihrer Werte und Geschichte würdig erweist, aber würde dringend gebraucht. Ihre Selbstbesinnung auf den Markenkern sozialdemokratischer Politik, der mit der Verteidigung des Sozialen Rechtsstaates einher geht, kommt daher hoffentlich nicht zu spät. Dazu gehört der überfällige Anlauf zur Reform der Agenda 2010, mit der der letzte sozialdemokratische Kanzler Gerhard Schröder, die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit abbauen wollte. Die Gewerkschaften unterstützen diesen Kurs mit jahrelanger Lohnzurückhaltung, so dass die Arbeitslosenzahlen seit 2005 von fünf Millionen auf jetzt 2,2 Millionen zurückgeführt werden konnten.
Man kann also mit Fug und Recht davon sprechen, dass der wirtschaftliche Aufschwung und die wachsenden Gewinnmargen der Unternehmen wesentlich den Arbeitnehmern zu danken sind, die hinnahmen, dass es seit den 90ern faktisch keine sozialen Fortschritte mehr gegeben hat: Der Trend zu Arbeitszeitverkürzungen endete abrupt. Aus der Fünftagewoche wurde nicht die Viertagewoche, und nicht wenige sind arm trotz Arbeit, während das Prekariat wächst. Es ist also Zeit, dies zu ändern und die hart arbeitenden Menschen am gemeinsam erarbeiteten Wohlstand gerecht zu beteiligen.
Der jetzige Anlauf der SPD, die Hartz-IV-Ära zu beenden und politische Einbettung des Sozialstaates, gar seinen Ausbau nicht weiter von der Zustimmung der DAX-Unternehmen abhängig zu machen, erfordert Mut. Umso notwendiger, als das endlich auch die dramatischen Veränderungen auf den Bildschirm der Arbeitswelt kommen, die mit Digitalisierung und Automatisierung verbunden sind.
Die SPD will wieder als Anwalt der sozialen Gerechtigkeit erkennbar werden. Ob die Fortführung der Großen Koalition dabei in Frage steht, wird zum Jahresende zu beantworten sein, wenn bilanziert wird, welche Forderungen des Koalitionsvertrages erfüllt wurden oder wo nachgebessert werden muss. Auch die Alterssicherung steht dann auf der Tagesordnung. Dann wird sich weisen, ob der Vorschlag, mit einer Grundrente Altersarmut gar nicht erst entstehen zu lassen, beschlossen werden kann Die Sozialstaatsreform der SPD schließt auch die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro und eine Kindergrundsicherung ein.
Ob die SPD den Mut aufbringt, Banken und Konzernen endlich die Rote Karte zu zeigen, und die Schamlosigkeit zu beenden, mit der die Wirtschaftseliten über Boni und Altersrentenansprüchen sich die Taschen füllen. Allein die Vorstandsmitglieder der DAX-Konzerne haben das 60fache des Durchschnittseinkommens des Normalverdieners. So brachte es der Vorstand des Volkswagenkonzerns trotz Dieselgate auf 70 Millionen Euro Gesamteinkommen im Jahr, womit jedes Mitglied des Vorstandes es auf ein jährliches Einkommen von 7.3 Millionen Euro brachte.
Es wird also Zeit, über ein angemessenes System der Einkommensteuer zu entscheiden, und die Reichen an der Finanzierung des Sozialstaats zu beteiligen. Wer jetzt Steuersenkungen fordert, hat nur sich selbst im Blick und nimmt die Zerstörung einer sozial gerechten Gesellschaft in Kauf.
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