Hendrik Wüst (Jahrgang 1975) ist der neue Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Seine Wahl zum Nachfolger des glücklosen Armin Laschet, der den Übergang, das muss man ihm hoch anrechnen, souverän moderiert und geleitet hat, verschafft Wüst beste Voraussetzungen für die im Mai 2022 anstehende Landtagswahl. Als zweitjüngster Ministerpräsident, den NRW je hatte – der erste gewählte Ministerpräsident Karl Arnold (Jahrgang 1901) war bei seinem Amtsantritt im Juni 1947 wenige Tage jünger und Johannes Rau (Jahrgang 1931) bei seiner ersten Ernennung im September 1978 gut ein Jahr älter -, vervollständigt er die Riege der christdemokratischen Ministerpräsidenten, die in der CDU bundesweit gegenwärtig als Hoffnungsträger gelten können. Das fängt an bei Daniel Günther (Jahrgang 1973), der in Schleswig-Holstein eine Jamaika-Koalition anführt, über Tobias Hans (Jahrgang 1978), der im Saarland eine schwarz-rote, ehemals große Koalition genannte Regierung leitet, bis hin zu Michael Kretschmer (Jahrgang 1975), der in Sachsen eine Kenia-Koalition aus CDU, Bündnis 90/Grüne und SPD hinter sich weiß. Vor allem Günther und Hans werden mit Wüst bis zum Frühjahr 2022 einen engen Schulterschluss praktizieren, denn alle drei haben dann Landtagswahlen zu bestehen. In Sachsen stehen die nächsten regulären Landtagswahlen erst im Herbst 2024 an.
Wenn man die Riege der übrigen Regierungschefinnen und -chefs betrachtet, gehört nur noch Manuela Schwesig (Jahrgang 1974) in Mecklenburg-Vorpommern zu dieser Altersgruppe. Insgesamt ist das keine schlechte Bilanz, und für die Zukunft werden die Genannten noch von sich reden machen, dazu muss man kein Prophet sein. Sie alle sind trotz ihres relativ jungen Alters erfahrene Politiker, von denen sich ihre Parteien viel versprechen. Sie repräsentieren eine neue Klasse von politischen Akteuren: Sie haben inhaltliches Profil, sie sind rhetorisch kompetent, sie verstehen etwas von Kommunikation, sie kommen sympathisch über. In der Medienwelt, in der wir leben, sind das wichtige Voraussetzungen für einen Erfolg.
Wer Hendrik Wüst in den letzten Tagen und Wochen beobachtet hat, kommt nicht umhin zu konstatieren, dass er um seine Verantwortung weiß – und dass er gelernt hat. Seine ruhige Herangehensweise an die anstehende Nachfolge in NRW, seine überlegten Äußerungen zu verschiedensten Landesthemen, seine Orientierung und politische Positionierung in der Mitte der CDU – und damit der Gesellschaft – sind auf den ersten Blick erstaunlich, denn man kannte ihn auch schon anders. Als Vorsitzender der Jungen Union, als junger Abgeordneter im Landtag, als CDU-Generalsekretär oder als Vorsitzender der Wirtschafts- und Mittelstandsvereinigung der CDU in Nordrhein-Westfalen hat er früher nämlich keine rhetorische und inhaltliche Auseinandersetzung gescheut und gerne gezeigt, was man gemeinhin „klare Kante“ nennt, und zwar auf dem eher konservativen Flügel der Union.
Sein Rücktritt als Generalsekretär im Jahr 2010 war für ihn eine persönliche Zäsur. Er hat Verantwortung übernommen und akzeptiert, dass es nicht immer aufwärts geht. Er hat sein damaliges Scheitern als Chance genutzt für etwas, das vielen Jungpolitikern fehlt, ihnen aber dringend zu wünschen wäre, nämlich Berufserfahrung in der freien Wirtschaft zu sammeln. Er trat politisch kürzer und war als Geschäftsführer des nordrhein-westfälischen Zeitungsverlegerverbandes und des Verbandes der Betriebsgesellschaften der Lokalradios in NRW, das kann ich aus eigener Anschauung sagen, ein sachkundiger und effizienter Vertreter der Interessen der Verleger, die zu der Zeit kein klares und einheitliches Bild davon hatten, wohin sie die Digitalisierung führen würde und wie ihre eigene und die Zukunft der Medienlandschaft aussehen könnte. Für Wüst war das kein öffentlichkeitswirksames Agieren, sondern ein mühsames Arbeiten im Hintergrund, aber es hat ihm sicherlich Einblicke, Erfahrungen und Kontakte verschafft, die er als reiner Berufspolitiker niemals gewonnen hätte.
Der grandiose Erfolg auf dem CDU-Landesparteitag in Bielefeld wie auch die glatte Wahl zum Ministerpräsidenten sind das verdiente Ergebnis seiner konsequenten Arbeit an sich und in der Partei. Aber das allein erklärt es noch nicht. Er hat 2017 als Verkehrsminister eine schwierige Aufgabe bekommen, die er, um es wertneutral zu sagen, nicht schlecht bewältigt hat. Man denke nur an die traurige Figur, die der bisherige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer in Berlin abgegeben hat, um zu verstehen, was man in diesem Ressort alles falsch machen kann. Und je mehr Baustellen es gegenwärtig bei Straßen, Brücken, Schienen oder Radwegen in unserem Land gibt, je besser kann der Verkehr in Zukunft hoffentlich fließen. Wüsts Nachfolger als nordrhein-westfälischer Verkehrsminister kann auf jeden Fall dankbar für die Vorarbeit sein, die er geleistet hat.
Natürlich haben all diejenigen Recht, die sagen, die CDU habe bei genauerem Hinsehen gar keine andere Wahl gehabt, als Hendrik Wüst zum Vorsitzenden zu wählen und zum Ministerpräsidenten vorzuschlagen. Ja, er war eben zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle. Und er hatte auch das Glück des Tüchtigen. Er hat aber in seiner politischen Laufbahn bewiesen, dass er Nehmerqualitäten hat, dass er lernfähig ist und dass er sich mit dem nötigen Biss durchsetzen kann. Seine Reaktionen auf das Ergebnis in Bielefeld wie auf die Wahl im Landtag zeigen, dass er auch in der Stunde des Triumphs auf dem Teppich bleibt. Das macht ihn sympathisch. Die Wählerinnen und Wähler werden im Mai 2022 wissen, ob er bis dahin eine gute Figur gemacht hat, inhaltlich und auch sonst. Auf jeden Fall ist die Erneuerung der CDU in Nordrhein-Westfalen auf dem richtigen Weg. Das kann nur gut sein für das gesamte politische System.