Er wurde auch schon als „lupenreiner Unsozialdemokrat“ bezeichnet. Schillernde oder changierende Persönlichkeit, einer der begeistern, irritieren und abstoßen konnte – das alles war Wolfgang Clement in seiner aktiven Zeit. Uninteressant oder langweilig war er nie. Jetzt wird er 80.
Imponierende Persönlichkeit schon als stellvertretender Chefredakteur der „Westfälischen Rundschau“. Sein trockener Humor, seine keckernde Lache, vor allem aber seine brillanten Analysen fielen auf und beeindruckten. Und ein volles Glas Bier konnte der Mann aus dem Revier so schnell kippen wie Normalbürger ein Gläschen Korn: „Du brauchst nur das Zäpfchen im Hals zurückzuklappen, Bier reinschütten und dann klappst Du das Zäpfchen wieder hoch.“
1981 wurde er SPD-Sprecher unter Willy Brandt, ein Parteisprecher, wie ihn sich die Journalisten auch heute nicht besser wünschen könnten: Kein bloßer Phrasendrescher, keine Kommunique-Maschine, sondern einer, der die Souveränität hatte, auch Defizite zumindest anzudeuten; einer, von dem die Bonner Hauptstadt-Korrespondenten offen und ehrlich bedient wurden. Typisch für Clement sein Ende als Parteisprecher 1986: In einer Sitzung der Parteiführung in der „Bonner Baracke“ (SPD-Zentrale) bekam er den Eindruck, dort werde die Krise der Partei nicht ernst genommen, sondern weggelächelt. Er verließ den Raum, nahm seinen Mantel vom Haken und verschwand grußlos – für immer und ohne berufliche Rückfall-Position. (Nebenbemerkung: Was damals SPD-Krise war, wären heute wahrhaft paradiesische Zustände.)
Ende der achtziger Jahre spektakuläres wie kurzes Zwischenspiel als Chefredakteur der chronisch notleidenden „Hamburger Morgenpost“. Sein Vorhaben, selbstbewusst formuliert: „Ich kriege die Kiste hoch.“ Das klappte nicht, und so durfte er froh sein, dass der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau seinen Duzfreund Wolfgang erstmal als Staatssekretär in die Düsseldorfer Landesregierung holte. Ab 1995 nordrhein-westfälischer Minister für Wirtschaft, Mittelstand, Technologie und Verkehr. Sehr schnell galt er als „Kronprinz“ von Johannes Rau, konnte dessen Abgang nicht abwarten, drängte und drängelte, was seinen vormaligen Förderer enttäuschte und verbitterte. Im Mai 1998 wurde Clement Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes.
Auf bloße Effizienz getrimmt – oder das, was er dafür hielt – legte der neue Ministerpräsident das Justiz- und das Innenministerium zusammen, eine verfassungsrechtliche Unmöglichkeit. Protesten von Richterbund, Anwaltskammer, dem Verdikt des NRW-Verfassungsgerichtshofs und dem wachsenden Druck des Koalitionspartners, Die Grünen, musste er sich schließlich beugen und machte diese Ressort-Fusion rückgängig. Ein anderer Flop seiner Amtszeit als Ministerpräsident: das Technologie Zentrum Oberhausen. Das Filmstudio was als Leuchtturmprojekt des Landes gedacht, sorgte aber mit groß angelegtem Subventionsbetrug für Schlagzeilen. Schaden für den Steuerzahler 100 Millionen DM bei gerade mal 25 Mitarbeitern.
Nach der Bundestagswahl 2002 wird Clement Superminister für Wirtschaft und Arbeit im Bundeskabinett von Gerhard Schröder. Er agiert als „Hardliner“ der „Agenda“-Politik des SPD-Kanzlers. Dass die Proteste gegen die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe als „Montagsdemonstrationen“ tituliert werden, empfindet Clement als „Missbrauch der Geschichte“. Deregulierung und Niedriglohnsektor, Ausweitung der Leiharbeit sind mit seinem Namen verbunden. Er setzt sich für Privatisierungen etwa von Flughäfen ein, plädiert für niedrigere Einstiegslöhne bei der Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen und eine Absenkung der Lohnnebenkosten. Bezeichnend, dass von Clements Ministerium eine Broschüre rausgebracht wird mit dem Titel: „Vorrang für die Anständigen – Gegen Missbrauch, Abzocke und Selbstbedienung im Sozialstaat“. Öffentlich behauptet Clement eine Missbrauchsquote von zehn und dann gar 20 Prozent bei Hartz IV, was der Paritätische Wohlfahrtsverband schnell widerlegen kann. Später spricht er sich explizit gegen einen gesetzlichen Mindestlohn aus.
Schon längst nicht mehr Bundesminister warnt Clement mit Blick auf die hessische Landtagswahl 2008 vor einer Stimmabgabe für die SPD. Einen Rausschmiss aus der Partei wehrt er ab, um dann – auch wieder typisch Clement – Ende 2008 von sich aus auszutreten. Der „Sozialdemokrat ohne Parteibuch“ – so bezeichnete er sich selbst – nennt die FDP die „einzige Fortschrittspartei Deutschlands“, tritt öffentlich mit Christian Lindner auf und unterstützt dessen Partei in den Bundestagswahlkämpfen.
Die Posten in der Wirtschaft, die Clement nach seinem Abschied aus der Regierungspolitik einnahm, sind nicht mal an zwei Händen abzuzählen, darunter im Aufsichtsrat der RWE Power AG und im Personalausschuss eines großen Zeitarbeitsunternehmens.
Im Rückblick auf Clements prall gefülltes Politiker-Leben drängt sich einem die Frage auf, ob dessen langjährige Liaison mit der SPD nicht ein einziges großes Missverständnis war.
Bildquelle: Wikipedia, La Granja, CC By-SA 3.0
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