„Der tiefe Riss“, überschreibt die Sonntagsausgabe des Berliner „Tagesspiegel“ die Berichterstattung über den Zustand der Partei „Die Linke“. Dass die Partei, die aus der SED und dann der PDS hervorgegangen ist, vor der Spaltung sei, ist leicht untertrieben. Der Laden ist längst gespalten. Man fragt sich, wofür die Linke eigentlich steht. Im Zentrum des innerparteilichen Streits steht wieder einmal Sahra Wagenknecht, die Frau von Oskar Lafontaine. Man kann gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sein, weil man den Fokus lieber auf Diplomatie legen will, auf Verhandlungen mit Russland, um den Irrsinn des Krieges zu beenden, das Töten und Zerstören. Man kann der Auffassung sein, dass Waffen Kriege nur verlängern, dass Kriege am Verhandlungstisch beendet werden. Das war fast immer so in der Geschichte. Aber dann die Grenze nach Rechts nicht einzuhalten, sondern auch um Querfront-Anhänger und andere aus der rechten Ecke für eine Demonstration in Berlin werben zu wollen, quasi im Stil der AfD, das geht zu weit. „Diese antifaschistische Partei gibt es nicht mehr“, wenden sich einstige Linke von ihrer Partei ab. Und nicht nur deswegen gibt es den Bruch.
Unumstritten muss doch sein, dass Klarheit herrscht über Täter und Opfer des Krieges Russland gegen die Ukraine. Wie wirr muss es im Kopf von Leuten sein, dass sie hier keinen messerscharfen Trennschnitt vornehmen. Wladimir Putin hat die Ukraine überfallen, es ist ein völkerrechtswidriger Krieg, zu dem der Kreml-Diktator den Marschbefehl gegeben hat. Massenhaft wurden seit Februar letzten Jahres Menschenrechte mit Füßen getreten, Frauen vergewaltigt, Kinder verschleppt. Opfer waren die Ukrainerinnen und Ukraine, Täter russische Soldaten. Das kann man doch nicht einfach so abtun mit Bemerkungen, wie sie Frau Wagenknecht geäußert hat: So sei das eben im Krieg. Dazu kommt die planmäßige Zerstörung der Infrastruktur der Ukraine, so von Krankenhäusern, Wohngebäuden, Straßen, Kirchen, Kindergärten, Schulen, von Heizungs- und Elektroanlagen, um das Land unbewohnbar zu machen.
Wegen der Haltung der Linken zum Ukrainekrieg gebe es gerade eine Massenflucht aus der Partei, zitiert die Autorin des lesenswerten und kenntnisreichen Zeitungs-Beitrags den einstigen Linken, Jan Werner(22) aus Ravensburg, der im Februar 2023 die Partei verlassen hat. „Es sind die Jungen, die gehen“, erklärt Jan Werner. Der Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider(54), ist nach eigenen Worten einst der Linken beigetreten aus Sorge um das Erstarken der AfD. „Diese Täter-Opfer-Umkehr, das Diskreditierende und Diffamierende in ihrer Sprache(gemeint Sahra Wagenknecht) hat mich abgestoßen.“ Deshalb sein Austritt. Gestört hat Ulrich Schneider, dass Wagenknecht populistisch aufgetreten sei, nicht weit entfernt von der Sprache der AfD, dass sie die „deutsche Bundesregierung als dümmste Europas bezeichnet“ habe. Schneider kann nicht nachvollziehen, dass Wagenknecht „in ihrem Manifest keine Abgrenzung nach rechts zieht.“
Im Berliner Tagesspiegel werden weitere Linke oder Ex-Linke zitiert. Steffen Bockhahn, Sozialsenator aus Rostock(44), hat demnach gerade die Partei verlassen. Er sagt: „Heute schafft „Die Linke“ es nicht, den faschistischen Diktator Putin als solchen zu benennen und zu ächten. Es gelingt ihr nicht, ihn klar zum Täter zu machen und die von ihm zu verantwortenden Kriegsverbrechen in der Ukraine anzuprangern.“ Helin Evrim Sommer(52) aus Berlin ist im Mai 2022 aus der Links-Partei ausgetreten. Als Gründe nennt die in der Osttürkei geborene: Statt Solidarität mit der kurdischen Selbstverwaltung in Rojava zu zeigen, unterstützten Teile der Partei das syrische Terrorregime von Baschar al-Assad. “ Als weitere Enttäuschung nennt sie die von „Sowjetnostalgie geprägte Russland-Politik der Partei“. Ungeachtet der „repressiven Innenpolitik und der imperialen Expansionspolitik des Putin-Regimes wird stets dem Westen die Schuld gegeben.“ Einseitig würden die Interessen des Kreml unterstützt, kritisiert die frühere Linken-Politikerin. „Selbst jetzt geben Teile der Partei der NATO entweder eine Haupt- oder eine Mitschuld für Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine.“
Der 1967 in Ostberlin geborene Historiker und Publizist Ilko-Sascha Kowalczuk(sein Großvater war ukrainischer Freiheitskämpfer) beklagt in einem Interview, das der Tagesspiegel mit ihm geführt hat, dass die Linke sich „als schärfste Kritikerin des westlichen Systems“ sehe. Sie habe sich darauf verständigt, „dass die USA das größte Übel ist, die NATO zu überwinden sei und Russland von seinen Feinden verleumdet werde.“ Ja, so klingt das Narrativ des Kreml, wie man neudeutsch formuliert, wobei die Linke als Sprachrohr Putins dient und lediglich eine Minderheit der Linken „die Diktatur in Russland schon vor dem 24. Februar vergangenen Jahres(Tag der Invasion in der Ukraine) ablehnte“. Nach Kowalczuk der kleinere Teil der Linkspartei.
„Viele Ostdeutsche erinnern sich an die DDR als friedlichen Staat“, sagt Kowalczuk, angesprochen auf ein Streit-Gespräch, das er mit dem Kabarettisten Uwe Steimle geführt habe. Und Steimle habe gesagt: „In der DDR lebten wir im Frieden.“ Tatsächlich wurden früher Besucher der DDR mit entsprechenden Parolen auf Spruchbändern und in Reden mit solchen Sprüchen überhäuft. Ich habe als Schüler und später als Student in West-Berlin über so einen Quatsch nur gelacht. Kowalczuk betont dazu, der ganze Alltag in der DDR sei militarisiert gewesen, „das fing schon in der Schule an. Ich wollte mit zwölf Jahren Offizier der NVA werden. Mit 14 begriff ich, was das System veranstaltete. Ein System, das ein ganzes Land in Vorbeugehaft nimmt und jedem, der abhauen will, in den Rücken schießt, ist kein Friedensstaat.“
Das Problem ist aber, folgt man Kowalczuk, dass manche sich nur noch an den „Friedens-Tauben-Kitsch erinnern.“ Die Aufarbeitung der DDR-Diktatur sei in bestimmten Teilen der Gesellschaft nie wirklich angekommen. Sagt Kowalczuk. Da muss ich nun wirklich tief durchatmen. Haben denn diese Leute die Mauer nicht mitbekommen, Stacheldraht, Todesstreifen, Schießbefehl, Mauer-Tote, keine Meinungs-, Presse-, keine Versammlungsfreiheit. Das Stasi-System, die SED-Einparteien-Diktatur. Aber folgen wir noch Kowalczuk. „Die meisten Leute wissen gar nicht, was sich in Russland abspielt.“ Lesen sie keine Zeitung, hören kein Radio, sehen nicht fern, nehmen nicht die Lage der Flüchtlinge wahr, nicht die zerbombten Ukraine-Städte? Und dann kommt die „Metathese“ des Historikers Kowalczuk: „Die Solidarität mit den Russen in Teilen Ostdeutschlands, sogar in Teilen Europas, bedeutet vor allem eine Ablehnung des westlichen Wertesystems.“
Sahra Wagenknecht argumentiere reaktionär, sagt Kowalczuk. Sie habe in den 90er Jahren die Niederschlagung der ungarischen Revolution 1956 und des Prager Frühlings 1968 durch sowjetische Truppen verteidigt. Reaktionär, wenn das reicht. Der Tagesspiegel fügt der ganzen Geschichte über die Linke Zitate von Sahra Wagenknecht an. Im Juli 1994 sagte sie in der ZDF-Sendung Kennzeichen D: „Ich hätte natürlich 1000-mal lieber mein Leben in der DDR verbracht als in dem Deutschland, in dem ich jetzt leben muss“ 2004 sagte sie in der Günter-Gaus-RBB-Reihe „Zur Person: „Ich hoffe, auch noch mal eine Gesellschaft zu erleben, in der ich nicht Dissident sein muss.“ Jeder echte Dissident wird laut gegen solche Vereinfachungen protestieren. Am 20. Februar 2022 sagte sie in der ARD-Talkrunde Anne Will: „Wir können heilfroh sein, dass der Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird, nämlich als durchgeknallter russischer Nationalist, der sich daran berauscht, Grenzen zu verschieben. Denn wäre es tatsächlich so, dann wäre wahrscheinlich Diplomatie hoffnungslos verloren, und ich möchte mir eigentlich nicht ausmalen, wie lange Europa noch bewohnbar wäre.“ Und am 8. September 2022 erklärte Sahra Wagenknecht im Deutschen Bundestag: „Das größte Problem ist Ihre grandiose Idee, einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen.. Verhandeln wir mit Russland über eine Wiederaufnahme der Gaslieferungen.“
Übrigens hat sich Frau Wagenknecht entschieden, bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr für die Linke zu kandidieren. 2021 führte sie die NRW-Landesliste der Linken an, ihre Partei kam auf 3,7 vh. Ob sie eine neue Partei gründen wird, ist offen. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Kantar“ im Auftrag der Zeitschrift „Focus“ hätte eine Wagenknecht-Partei ein Wähler-Potential von 19 Prozent, die meisten Anhänger kämen aus der AfD-Ecke.
Daran ist doch nun wirklich nichts neu. Die Linke, ebenso wie ein großer Teil der SPD-Linken und erhebliche Teile der Grünen-Basis, war schon immer antiwestlich eingestellt. Amerikakritisch bis antiamerikanisch, der NATO gegenüber ablehnend und mit viel – vorsichtig ausgedrückt – „Fehlertoleranz“ gegenüber Russland, China, den arabischen Ländern und früher der DDR. Wieso sollte das plötzlich anders sein? In ähnlicher Weise sind weiter Teile der Union reflexartig pro-amerikanisch (selbst bei völkerrechtswidrigen Angriffskriegen wie u.A. im Irak), pro-israelisch (auch hier selbst bei offenkundigen Völkerrechtsverstößen) und kategorisch antirussisch und antichinesisch. Sind alles noch alte Grabenlinien aus dem Kalten Krieg, die sich bis heute nicht wirklich verändert haben.