Die NRW-SPD war einmal der Stolz der ältesten deutschen Partei und ist heute noch, wenn auch geschrumpft, mit 91000 Mitgliedern der stärkste Landesverband der Sozialdemokratie in Deutschland. Sie gewann über fast 40 Jahre die Wahlen an Rhein und Ruhr, sie stellte mit Heinz Kühn und Johannes Rau namhafte Ministerpräsidenten, sie holte überragende Wahlsiege, stürzte dann, müde und ausgebrannt, nach den kurzen Regierungszeiten unter Wolfgang Clement und Peer Steinbrück ab, kam überraschend schnell mit Hannelore Kraft wieder an die Spitze des Landes, aber nach nur sieben Jahren war der Platz an der Sonne wieder weg. Es folgte Thomas Kutschaty als Fraktions- und dann als Landeschef der SPD, der gerade seinen Rücktritt erklärt hat. Zunächst als Landesvorsitzender der SPD und ich sage nicht zu viel voraus, wenn ich davon ausgehe, dass er auch den Fraktionsvorsitz verlieren wird. Die SPD muss sich neu aufstellen. Und wieder aufstehen. Wer liegenbleibt, ist k.o.
„Hat dich der Rücktritt überrascht? fragte ich einen alten Freund, der die SPD gut kennt. „Nein“, sagte er postwendend. „Der Kutschaty ist doch in NRW nie richtig angekommen“. Was stimmt. Er hat die Partei nicht geführt, ihr keine Orientierung gegeben. Er ist ein Mann ohne erkennbare Ausstrahlung, blass. Er stand, wofür eigentlich? Ich weiß es nicht. Die NRW-SPD war immer die Partei, die sich kümmerte um die vielen kleinen und größeren Sorgen der Tausenden von Arbeitnehmern im Lande. Ich habe dieses Image bei der SPD zuletzt vermisst. Das Wir-Gefühl, in den Rau-Jahren entwickelt, muss mit der Basis der Partei und den Sympathisanten wieder entwickelt werden.
Der Fall Renesse
Für mich kommt bei der Bewertung des Falles Kutschaty hinzu: Ich habe dem einstigen Justizminister Kutschaty nicht vergessen, wie er den Sozialdezernenten von Renesse einst stoppte, als dieser die Renten von Holocaust-Überlebenden anheben wollte. Dass dieser Streit am Ende beigelegt wurde, geschenkt. Es hatte so viele Proteste jüdischer Organisationen gegeben, Berichte in nahezu allen Zeitungen, auch die internationale Presse zeigte sich empört über einen SPD-Minister, der bei einem solchen Verfahren auf der falschen Seite stand. Ein Sozialdemokrat, aus der Partei eines Willy Brandt und eines Johannes Rau. Es war zum Fremdschämen.
Kutschaty hat es nicht geschafft, dieser SPD ein neues Gesicht zu geben, einen Inhalt, der auf die Partei und die Menschen zugeschnitten war, die die SPD brauchen. Weil sie in Not sind, bedrängt werden, Hilfe benötigen. Gerade heute. Wo steht die SPD in NRW? Ich weiß es nicht, weil sie unter Kutschatys Führung nicht stattfand. Er hätte liefern können und müssen, der amtierende Ministerpräsident ist nun gewiss kein Leuchtturm.
Gremien übergangen
Wie kann es passieren, dass ein Landes- und Fraktionschef eine Personalie vorschlägt, die vom Präsidium einstimmig abgelehnt wird? Hat Kutschaty nicht mit denen gesprochen? Immerhin geht es um die neue Generalsekretärin und dafür hatte Kutschaty eine gewisse Magdalena Möhlenkamp aus Bonn vorgeschlagen. Über ihre Qualitäten will und kann ich mich nicht äußern. Ich kenne die Dame nicht. Sie sei weithin unbekannt, lese ich, was aber nicht gegen sie sprechen muss. Auch sämtliche Regionalvorsitzenden der NRW-SPD hätten Frau Möhlenkampf einstimmig abgelehnt. Warum macht Kutschaty das, warum übergeht er die Gremien der Partei?
Aus Landesvorstandskreisen hieß es, Kutschaty habe keine „Führungsqualität“ bewiesen. Was man so sagt, wenn man eine solche Personalie ablehnt. Es heißt dann weiter, Kutschaty habe das Nein der SPD-Spitzen-Gremien zur Kenntnis genommen und habe dann quasi im Programm fortfahren wollen, also den Leitantrag für den Parteitag im Mai zu erörtern. Was nun wirklich ein schlechter Witz ist. Wenn ein Vorsitzender mit einer solchen Personalie, die mit seinem Amt verbunden ist, scheitert, muss er Konsequenzen ziehen, gehen. Das mit dem Leitantrag kann nicht mehr seine Sache sein. Er ist nicht mehr der Chef.
Der/die neue Generalssekretär/in muss die SPD in NRW in die nächsten Wahlkämpfe führen, er muss zusammen mit der neuen Spitze der Landespartei eine Mannschaft zusammenbauen, die die SPD wieder kampfbereit macht. Es müssen Wunden heilen, die entstanden sind durch den Amtsinhaber und seine Politik, sein Verhalten, sein Nicht-Zuhören, Nicht-Hinsehen. Der Blick muss nach vorn gehen. Der SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz ist auf eine geschlossene SPD in NRW angewiesen, will er erfolgreich sein. Eine geschlossene und entschlossene SPD in NRW wird bei allen Landtagswahlkämpfen gebraucht, bei der Europa-Wahl, 2025 findet die nächste Bundestagswahl statt, 2 Jahre später geht es um die Macht am Rhein. Innerparteilicher Streit wäre die falsche Motivation, um Wählerinnen und Wähler für die SPD zu gewinnen.
Erleichterung nach Abtritt
Für die neue Führung werden Namen genannt, das ist so üblich. Marc Herter ist der eine, er ist Oberbürgermeister von Hamm. Und das ist er gern, wie es heißt. Herter hatte den Machtkampf um die Fraktionsspitze damals verloren gegen Kutschaty, der von Hannelore Kraft gefördert worden war. Und Kutschaty hatte dann Sebastian Hartmann um das Amt des SPD-Landesvorsitzenden gebracht. Kutschaty trat 2021 gegen Hendrik Wüst an und verlor kläglich das Ministerpräsidenten-Rennen gegen den umstrittenen CDU-Amtsinhaber. Es war für die SPD ein historisches Tief: 26,7 Prozent, neuer Minus-Rekord für die einstige Regierungspartei SPD in Nordrhein-Westfalen. Und was mich nach der hochkantig verlorenen Wahl am meisten überraschte, war, dass Kutschaty einfach weitermachte, als wäre nichts gewesen. Und es war ja wohl auch so, dass er beim nächsten Mal, 2027,wieder antreten wollte. Zumindest hörte man das aus Düsseldorf.
Das ist nun vorbei. Es macht sich Erleichterung breit in SPD-Kreisen, dass Kutschaty freiwillig den Hut nimmt und den Weg freimacht. Die SPD wird sich neu aufstellen, ob mit einer Doppelspitze, wird man sehen. Genannt werden auch zum Beispiel die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal, sie ist Bundestagsabgeordnete aus Bonn. Auch der Name von Michelle Müntefering fällt, die Frau des früheren SPD-Chefs und Vizekanzlers Franz Müntefering. Es bleibt abzuwarten, wer sich in dieser schwierigen Frage zutraut, Parteichef der SPD in NRW zu werden. Die SPD sitzt in Düsseldorf in der Opposition, anders die Lage in der Hauptstadt Berlin, wo die SPD mit Scholz den Kanzler stellt. Also was zu sagen und nicht nur zu kritisieren und zu fordern hat. Das ist eine völlig andere Hausnummer. Es ist kaum anzunehmen, dass einer aus der ersten Reihe im Bund die Chefrolle in NRW anstreben wird. Und zur Doppelspitze ist anzumerken: Was bei der letzten Bundestagswahl erfolgreich war, muss an Rhein, Ruhr, Lippe und Emscher nicht unbedingt funktionieren. Gesucht wird auch ein/e neuer/e Generalsekretär/in. Die SPD braucht eine Mannschaft mit Frauen und Männern, die in der Lage ist, den Tanker SPD wieder flott zu machen.
Vertrauen zurückgewinnen
Der Zeitpunkt von Kutschatys Rücktritt ist für SPD gut, weil er ihr die Zeit gibt, die sie dringend braucht, um all die Veränderungen einzuleiten und umzusetzen, die Personalien wie die politischen Botschaften. Leicht wird das nicht, weil man Vertrauen zurückgewinnen muss, Glaubwürdigkeit, die verlorenging, Anstand, weil man soziale Gerechtigkeit nicht mehr pflegte. Aber die SPD hat bei der letzten Bundestagswahl gezeigt, dass es geht. Auch damals schien sie abgeschlagen, doch dann schaffte das neue Führungs-Duo Norbert Walter-Borjans/Saskia Esken und SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil-heute SPD-Chef- das Wunder, die SPD geschlossen hinter dem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz zu versammeln, man überließ der Union die Bühne für ihren Streit zwischen Laschet und Söder. Das Ergebnis ist bekannt.
Zu einer erfolgreichen Politik gehört Demut, den Bürgern zuzuhören, auch wenn es wehtut, gehört Bodenhaftung statt Arroganz. Dazu gehört, den Menschen die Politik zu erklären, nicht im Seminarstil, sondern so, dass sie verstehen, warum dies gemacht werden muss und anderes nicht. Beispiel: Klimawandel ist heute längst unumstritten, aber er darf kein Schlagwort bleiben, wie das heute Usus ist. Es wäre schön, wenn die Politik das den Bürgerinnen und Bürgern vor Augen führt. Und: Es muss bezahlbar sein. Auch und gerade vom sogenannten kleinen Mann. Das gehört zum Kern der SPD. Wer den vernachlässigt, hat verloren.
Lesenswert zum Thema Kutschaty auch der Beitrag im Blog der Republik NRW-SPD – Neuanfang im Westen? vom 4. März 2021