Nein, ich habe schon am Abend nach der Pressekonferenz mit der Bundeskanzlerin, wo Angela Merkel die Corona-Beschlüsse mit den Ministerpräsidenten erklärte, den NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet nicht verstanden. Deutlich wurde seine Unsicherheit, die er die Fernseh-Zuschauer spüren ließ, die Verunsicherung auch nach all den Monaten, nicht zu wissen, was zu tun ist. Er weiß es nicht, Merkel auch nicht, die anderen sind auch nicht schlauer. Man beschließt, was man sich vorgenommen hatte, also Kneipen, Restaurants, Kinos, Theater, Fitnesscenter, Sportplätze für ein paar Wochen dicht zu machen. In der Zeit sollen also die Infektionszahlen, die in den letzten Tagen in die Höhe geschossen sind, eingefangen, der Anstieg unterbrochen werden. Damit wir fröhliche Weihnachten feiern können. Wer garantiert mir denn, dass die Infektionszahlen, wenn wir alles wieder öffnen, der Betrieb also wieder läuft, nicht erneut nach oben schnellen? Was machen wir dann?
Natürlich hätte der deutsche Bundestag viel früher eingeschaltet werden müssen. Die Proteste seitens der Parlamentarier, zum Beispiel vorgetragen durch den FDP-Abgeordneten Wolfgang Kubicki, gegen diese Art der Politik des Kanzleramts sind verständlich. Wir haben eine parlamentarische Demokratie, keine Kanzleramts-Herrschaft, die Beschlüsse mit den Ländern organisiert und sie dann dem Parlament verkündet. Die Lage ist ernst, sehr ernst, besorgniserregend. Aber gerade weil das so ist, gerade weil niemand den Schlüssel zur Lösung des Problems in den Händen hält, hätte es einer öffentlichen Debatte bedurft. Ich begreife diese Art der Politik nicht, die Themen gehören ins Parlament. Die Debatte stärke die Demokratie, hat Merkel in der nachgeschobenen Aussprache im Bundestag gesagt, ja, aber die Debatte hätte früher geführt werden müssen, nicht erst, nachdem die Beschlüsse von Regierung und Ministerpräsidenten gefasst wurden.
Ob die Maßnahmen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sind, wie das die Kanzlerin gesagt hat? Wer will das wissen? Warum werden die Restaurants geschlossen? Wirte sind in Vorleistung gegangen, haben ihre Tische auseinander gestellt, für Hygienemaßnahmen gesorgt, Plastikwände gekauft, alles für die Katz.Vier Wochen Zwangspause. Man hat zugesagt, die Wirte zu entschädigen, Umsatzeinbußen werden in beträchtlicher Höhe erstattet. Aber dennoch bleiben Fragen: Warum der Italiener an der Ecke, der alles dafür getan hat, der nicht verantwortlich ist für die Ausbreitung des Virus, warum soll er schließen? Oder die Theater, die Opern, die Konzerthäuser, überhaupt die Kultur. Wen wundert, dass die Kulturschaffenden- pardon wegen des sperrigen Begriffs-sich vernachlässigt fühlen. Ich kann deren Klagen verstehen.
Führende Epidemiologen, Ärzteverbände, Viren-Forscher, nicht alle, aber auch nicht wenige, haben wenig Verständnis für die beschlossenen Maßnahmen geäußert. Man solle sich mehr um die Risiko-Gruppen kümmern, die Damen und Herren mit Vorerkrankungen, die Älteren, die Bewohnerinnen und Bewohner von Alten- und Pflegeheimen. Hat man das nicht bedacht, nicht mit den Professoren gesprochen, die jetzt ihre Einwände öffentlich gemacht haben?
Den Anstieg der Infektionszahlen unterbrechen, indem man Kontakte systematisch reduziert, hat Merkel gesagt. Warum haben wir eigentlich kein Masken-Gebot, wenn wir das Haus verlassen? Nicht nur beim Bäcker und in der Tram, warum gibt es kein Masken-Gebot in allen Fußgängerzonen? Wenn die Maske den Gegenüber schützt, der aber auch Maske trägt und damit auch uns schützt. Das leuchtet ein. Aber warum müssen nicht alle, wenn sie sich draußen aufhalten, eine Maske tragen über Mund und Nase? Ich las vor Tagen einen Beitrag einer namhaften Berliner Journalistin, die plädierte dafür, an Wochenenden den öffentlichen Nahverkehr zu schließen, also keine Straßenbahn zum Feiern in die Innenstädte, keine Züge ins Zentrum von Berlin, München, Köln und Hamburg, damit die Menschen eher gezwungen werden, zu Hause zu bleiben und nicht zu den Parties an den angesagten Plätzen überall in der Republik zu fahren.
Manche Debatten verstehen die Leute nicht. Zum Beispiel, wenn in dieser Zeit einer wie Friedrich Merz von Verschwörung des Establishments schwadroniert, das ihn, den großen oder besser langen Friedrich Merz als Parteichef der CDU verhindern wolle, als Kanzlerkandidaten, als Kanzler. Ja, wenn schon einer wie Merz Verschwörer am Werk sieht, warum sollen andere Menschen nicht auch auf den Gedanken kommen, hier sei eine Verschwörung am Werk? Gemeint bei der Pandemie, bei Corona. Die Gedanken gibt es ja schon und diese Menschen, die sie äußern, werden durch solche wirren Attacken eines Politikers aus der ersten Garnitur nur noch in ihren Querdenkereien gestärkt. Motto: Warum soll es diese Verschwörer nur in der CDU geben? Spinnereien?
Jeder trägt hier Verantwortung. Das hat Angela Merkel vor Tagen schon betont. Und da hat sie Recht. Verantwortung und Verzicht, das gehört zusammen, Verzicht auf Kon takte, die nicht zwingend nötig sind. Aber das hätte man besser kommunizieren müssen, auch mit Hilfe des Bundestages. Indem man das Problem am Parlament vorbei diskutiert und Maßnahmen außerhalb des Plenums des Reichstages beschlossen hat, hat man sich eine andere Debatte aufgeladen. Über die Kompetenz des Bundestages. Wolfgang Schäuble, der Präsident des Bundestages, der Älteste im Plenum, hat ebenso darauf hingewiesen wie der gerade überraschend verstorbene SPD-Politiker und Vizepräsident des Bundestages, Thomas Oppermann. Die Debatten gehören ins Parlament. Das ist das Hohe Haus, dort sitzen die Vertreter des Volkes, dort wird Politik debattiert und gemacht. Die Kanzlerin wird dort gewählt, von den Abgeordneten. Sie haben dort das Sagen.
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