„Unerträgliche Schande“, „unauslöschlicher Fleck“, so urteilte der „Corriero dello Sport“ über die Sensation auf dem grünen Rasen des San Siro Stadions in Mailand. Italien, die berühmte Squadra Azurra, hat die Fußball-WM-Teilnahme im nächsten Sommer in Russland verpasst. Zum ersten Mal seit 60 Jahren spielt Italien nicht mit, wenn die besten Mannschaften der Welt um den begehrtesten Pokal kämpfen. Erst 1:0 in Schweden verloren, dann im San Siro nur ein klägliches Unentschieden gegen die Skandinavier erreicht. Aus und vorbei. Italien ist raus. Wie Holland. Im Grunde eine Beleidigung für den Italiener. Viermal haben sie den Weltpokal gewonnen, zuletzt 2006 in Deutschland. Und jetzt das.
„Italien, das ist die Akokalypse“, so der „Gazetta dello Sport“. Schlimmer kann man nicht den Absturz der Kicker vom Stiefel kommentieren. Was nützt da irgendeine Überlegenheit, man ist raus. Nun sind die italienischen Journalisten mit ihren verbalen Vergleichen und Bildern nie zurückhaltend. Aber der Fußball ist ja auch in diesem Land noch wichtiger als anderswo in Europa. Fußball, das ist mehr als Pasta, Pizza, Vino zusammen. Und wenn man da ausscheidet, ist das einer Tragödie gleich, wie eine Katastrophe wird so etwas empfunden.
Buffon mit Tränen in den Augen
Jeder Fußball-Fan auf der Welt kennt den sagenhaften italienischen Torwart Buffon, eine Legende, dieser Gianluigi, ein Vorbild für viele Torhüter auf der Erde. An ihm lag es gewiss nicht, dass man so bescheiden traurig gespielt hatte, dass man am Ende nicht mal das nun wirklich nicht überirdisch gute Schweden ausschalten konnte. Buffon konnte seine Tränen nicht mehr zurückhalten und er erklärte mit seinen 39 Jahren seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft.
Eine Fußball-WM ohne Italien, ist das überhaupt eine richtige WM? Wir sollten uns jeden Hohn über das Ausscheiden Italiens verkneifen. Italien ist und bleibt eine Größe im internationalen Fußball und eine WM ohne die Blauen ist im Grunde keine richtige WM. Aber es stimmt ja auch: Sie haben sich das selber zuzuschreiben. Schon in der ganzen Qualifikation haben sie teils miserabel gespielt. Und jetzt haben sie die Quittung bekommen.
Beckenbauer mit der Armbinde
Und doch: Wer erinnert sich nicht an die Spiele Deutschland gegen Italien, wer von den älteren Jahrgängen vergisst denn den Jahrhundert-Kick 1970 bei der WM in Mexiko, als Deutschland mit Franz Beckenbauer und Uwe Seeler gegen Italien unterlag, in der Verlängerung gewannen die Italiener mit 4:3. Wer erinnert sich nicht an Schnellinger, der in Italien spielte und das Ausgleichstor für Deutschland erzielte. TV-Reporter Ernst Huberty sagte treffend: „Ausgerechnet Schnellinger“. Zugegeben, Franz Beckenbauer musste, weil ein italienischer Abwehrspieler ihn hatte über die Klinge springen lassen, mit einer Armbinde spielen, gehandikapt, wie er war, konnte er das Steuer am Ende nicht mehr herumreißen. Aber das ganze Spiel war atemberaubend, einfach Klasse und zwar in jeder Hinsicht: technisch, spielerisch, kämpferisch, spannend. Als Fan der deutschen Mannschaft war man natürlich mehr als sauer über die harte und hin und wieder unfaire Gangart der Italiener.
Ich vergesse auch nicht die Niederlage der Deutschen gegen die Italiener bei der WM 2006. In Dortmund wurde gespielt, dem größten deutschen Fußball-Tempel. Italien gewann, wieder mal. Dann bei der Europameisterschaft. Italien gegen Deutschland. Deutschland gewinnt 7:6 nach Elfmeterschießen, der Kölner Jonas Hector verwandelte den 18. Elfer und Italien war raus, Deutschland verlor danach gegen Frankreich.
Mailand oder Madrid
Es gibt viele und viele gute Beziehungen zwischen Deutschland und Italien. Bleiben wir noch beim Fußball. Wer hat in den 90er Jahren nicht alles in Italien gespielt, bei Mailand zum Beispiel. Oder nehmen wir den herrlichen Spruch des Dortmunder Spielers Andy Möller: Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien. Völler spielte in Italien wie Reuter Matthäus, Hässler. Mit dem Teamchef Franz Beckenbauer gewannen die Deutschen 1990 das Endspiel um die Fußball-WM in Rom gegen Argentinien.
Italien hätte den Sieg gut gebrauchen können. Die Stimmung im Land ist nicht besonders rosig. Man hat wieder einmal große wirtschaftliche Probleme, an vielen Ecken und Enden hakt es, man muss sich nur die antiken Stätten anschauen, vieles ist ziemlich morsch und bedarf dringender Renovierungen. Einräumen muss man, dass die EU, auch Deutschland, Italien in der Bewältigung der Flüchtlingskrise hat hängen lassen und tut es weiterhin. Solidarität ist für viele Europäer ein Fremdwort, das in ihrem Sprachschatz nicht vorkommt. Gern nehmen sie die Gelder aus Brüssel, um Straßen, Brücken und Schulen zu bauen, aber wenn es darum geht, von den in Italien gestrandeten Flüchtlingen auch nur einen aufzunehmen, wenden sich die Polen und andere ab.
La bella Italia
Italien, das ist nicht die Apokalypse. Das ist und bleibt das Land, wo die Zitronen blühen, wo wir mit unseren Kindern am Strand von Bibione das Leben genossen haben und die sprichwörtliche Gastfreundschaft der italienischen Kellner, die unsere blonden Töchter immer bevorzugt behandelt haben. La bella Italia. Ja klar. Das bleibt auch nach dem blamablen Ausscheiden beim Fußball.
Der Ball ist rund und eigentlich immer ein Freund der Italiener gewesen. Das wird wieder.