Es scheint so, dass die Kalten Krieger zurückgekehrt sind. Es ist die Rede von Kriegsgefahr, die natürlich, so urteilen viele Medien im Westen, allein von Russland, von Wladimir Putin ausgehe. Deutschland, so fordern sie, müsse mehr Abschreckung liefern, Muskeln spannen, Moskau in die Schranken weisen. Putin müsse spüren, dass der Westen es Ernst meine mit harten Sanktionen, falls er in die Ukraine einmarschieren sollte. Was niemand weiß, auch die Medien im Westen nicht. Aber es wird Putin unterstellt. Hier wird seit Wochen verbal aufgerüstet. Und immer sind die Russen die Bösen, ist Russland das Reich des Bösen, um es mit der Sprache des früheren US-Präsidenten Ronald Reagan zu formulieren. Der Feind schlechthin also.
Man darf in diesem Zusammenhang an die Erfolgsgeschichte der Ostpolitik des SPD-Kanzlers Willy Brandt und seines engsten Beraters Egon Bahr in den 70er Jahren erinnern, an Wandel durch Annäherung, an die Bereitschaft Bonns, ständig den Dialog mit Moskau zu suchen, die Versöhnung. Brandt versuchte, die Argumente der anderen Seite zu verstehen, indem er sich in die Nöte der Sowjets hineinversetzte. Verständnis für Russland, das ist das, was wir vor Jahrzehnten von Michail Gorbatschow gehört und gelernt haben, etwas mehr Verständnis des Westens für den östlichen Nachbarn. Helmut Kohl wusste das und schaffte es, eine vertrauensvolle Basis zu seinem damaligen sowjetischen Gesprächspartner Gorbatschow zu schaffen. So gelang es, Bedenken gegen die deutsche Einheit, gegen ein zu großes Deutschland abzubauen. Es waren ja nicht nur Verträge, die damals unterschrieben wurden, zu den schriftlichen Vereinbarungen gehörte der Geist der Gespräche. Und dieser sorgte dafür, dass der „Gorbi“, wie die Menschen ihn nannten und feierten, die Panzer und die in der DDR stationierten Soldaten der Roten Armee in den Kasernen ließ. Es fiel nicht ein Schuß, als die verhasste Berliner Mauer in sich zusammenbrach. Alte Geschichte, ich weiß, daran zu erinnern besteht gerade jetzt wieder Bedarf, weil vergessen wird, was um 1990 und den Jahren danach geschah.
Das Erbe von Genscher
Es ist keine Erfindung sogenannter Putin-Versteher-das sind die, die ihn nicht einfach verteufeln wollen). Wenn man daran erinnert, dass es keine Osterweiterung der Nato geben sollte. Nein, das steht in keinem Vertrag, da haben Journalisten des Berliner Mainstreams Recht, aber sie greifen zu kurz, wenn sie den Geist, der die Gespräche prägte, einfach ignorieren. Ich werde auch nicht aufhören, daran zu erinnern, was der langjährige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher(FDP), der damals dabei war, wenige Wochen vor seinem Tod 2016 in einem Interview den westlichen Politikern zurief: Geht auf Putin zu, gebt ihm die Hand. So lautete eine der letzten Bitten des Staatsmanns, wer will kann Bitten durch Ratschläge ersetzen. Oder vom Erbe des Freidemokraten reden. Erhört wurde der große FDP-Außenminister leider nicht.
Wer nicht in den verbalen Krieg gegen Putin zieht, wie das SPD-Kreise tun, wie das Bundeskanzler Olaf Scholz tut oder der erfahrene SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi, der sich gerade in einem Buch über die Entspannungspolitik geäußert hat, der wird in die Ecke gestellt, wird als verantwortungslos gescholten. Wie damals, könnte man sagen, als Brandt und Bahr die ersten vorsichtigen Schritte in Richtung Moskau unternahmen. Sie galten als Verräter, gegen Brandt startete die Union ein Misstrauensvotum, um der Ostpolitik den Garaus zu machen. Zum Glück scheiterte das Unternehmen, Rainer Barzel verlor. Und Willy Brandt wurde mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Entspannung und De-Eskalation
Wir brauchen eine Sicherheit mit Russland, nicht vor Russland, hat vor einigen Wochen der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, der frühere deutsche Botschafter in Washington, Wolfgang Ischinger, in einem Gastbeitrag für die SZ gefordert. Vor kurzem haben ehemalige deutsche Generäle und Diplomaten in einem Appell für eine Politik der Entspannung und der De-Eskalation plädiert. Es müsse in jedem Fall ein Krieg verhindert werden. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat gerade in einem Interview das langfristige deutsche Ziel der Außenpolitik genannt: Eine europäische Sicherheitsordnung jenseits der Blöcke.
In jedem Fall muss der Konflikt entschärft werden. Dazu gehört, wie ich in einer Kolumne der Neuen Westfälischen (Bielefeld) las, dass alle Beteiligten wieder lernen, zuzuhören und nicht vorzuführen. Die russischen Argumente seien nicht nur falsch und die des Westens nicht nur richtig. Es gibt immer zwei Seiten einer Medaille. Vielleicht schaut man auch mal in die Charta von Paris(21. 11. 1990). Da steht geschrieben zum gemeinsamen Haus Europa-ein Begriff von Gorbatschow, der in diesem Haus gern ein Zimmer gehabt hätte: „Das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung Europas ist zu Ende gegangen. Wir erklären, dass sich unsere Beziehungen künftig auf Achtung und Zusammenarbeit gründen werden.“ Dann ist da weiter die Rede von beispielloser Reduzierung der Streitkräfte, die „unser Verständnis von Sicherheit in Europa verändern und unseren Beziehungen eine neue Dimension verleihen. “ Kein Wort von Konfrontration oder Aufrüstung, sondern man spürt eher den Willen von Vertrauen.
Man darf ferner an die Kuba-Krise 1962 erinnern. Damals fühlte sich Washington durch die UdSSR bedroht, die auf der Karibikinsel- 90 Meilen entfernt von Florida- atomare Raketen stationiert hatten. US-Präsident John F. Kennedy fürchtete einen sowjetischen Atomschlag gegen Amerika. Die USA verhängten eine Blockade der Insel, die Raketen wurden wegverhandelt. In einem Leserbrief der SZ finde ich den Satz: „Dass die Freiheit eines souveränen Staates dort endet, wo sie zur Bedrohung eines Nachbarstaates führt.“ Die weitere Osterweiterung der Nato um die Ukraine würde die Ostgrenze des atlantischen Bündnisses um 1000 Kilometer nach Osten verschieben, Nato und Russland hätten plötzlich eine gemeinsame Grenze. Wir sollten uns in die Lage Putins versetzen. Die Nato ist ein Militärbündnis und nicht die Caritas. Wer will, kann auch mal die um das Vielfache höheren Kosten der Nato für das Militärische mit denen Russlands vergleichen.
Rote Armee befreite das KZ Auschwitz
Warum die Dämonisierung Russlands? Das Land wurde in der Geschichte zweimal überfallen: einmal von Napoleon 1812 und 1941 durch Hitler-Deutschland, das gegen die UdSSR und auch gegen die zur Sowjetunion gehörende Ukraine einen wahnsinnigen Vernichtungskrieg führte. Man wollte viele Menschen vernichten, den Rest versklaven. Zwischen 25 und 27 Millionen Menschen wurden allein im Bereich der UdSSR getötet. Die Rote Armee als Teil der Alliierten befreite Deutschland vom Hitler-Faschismus. In wenigen Wochen gedenken wir der Befreiung des KZ Auschwitz durch Soldaten der Roten Armee am 27. Januar 1945. Wir dürfen das nie vergessen und die damit zusammenhängende deutsche Verantwortung vor der Geschichte.
Wir müssen mit Putin reden, nicht ihm drohen, wie ich gerade las. Er weiß um die Stärke des Westens. Die Gaspipeline Nord Stream 2 gegen mögliche russische Aggressionen ins Feld zu führen, bringt nichts, hilft niemandem, schadet aber vielen, verhärtet die Fronten, vergiftet das Klima. Lassen wir das verbale Getöse. Wir brauchen den Dialog mit Putin, die stille Diplomatie, wie das Ischinger genannt hat. Reden ist besser als Schießen. Auch wenn das dauert und viel Geduld erfordert. Für einen dauerhaften Frieden darf keine Mühe zu aufwändig sein