„Wir sind nicht Österreich“. Hat Stephan Weil, der niedersächsische Ministerpräsident und führende Sozialdemokrat in der Sendung “ Markus Lanz“ gesagt. Und deshalb werde Alice Weidel, die Kanzlerkandidatin der rechtsextremen AfD, auch „keine Kanzlerin“. Weil wörtlich: „Da bin ich mir sicher.“ Weidel habe „keinen Partner in der deutschen Politik“. Das mache sie chancenlos bei der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar. Anders in Wien, wo der ultrarechte Herbert Kickl kurz vor der Regierungsübernahme steht.
Weil hat Recht, auch wenn die AfD in Umfragen besorgniserregend zugenommen hat. Möglich, dass sie noch stärker wird, weil der reichste Mann der Welt, Elon Musk, einer der engsten Berater des künftigen US-Präsidenten Donald Trump, Werbung für die AfD macht, ja die Wahl von Weidel empfiehlt. Man schüttelt mit dem Kopf und fragt nach dem Kenntnisstand des Mannes über die Lage in Deutschland, das er am Abgrund sieht, was führende deutschen Ökonomen als Unsinn bezeichnet haben. Aber Vorsicht, es ist in der Welt, der Mann hat Geld, er weiß, wie man Menschen manipuliert. Trump und er haben in Amerika bewiesen, wie ein Straftäter, notorischer Lügner und Frauen-Belästiger Wahlen gewinnt.
Deutschland ist nicht Österreich. Die CDU von Friedrich Merz ist nicht die ÖVP, die ganz offenbar dabei ist, sich dem FPÖ-Mann Kickl zu unterwerfen. Österreichs Bundespräsident Van der Bellen jedenfalls hat Kickl den Auftrag erteilt, eine neue Regierung zu bilden, nachdem Koalitionsverhandlungen zwischen der ÖVP, der SPÖ und Neos gescheitert waren. Zur ÖVP muss man noch einräumen, dass sie zuvor eine Koalition mit der FPÖ ausgeschlossen hatte. Nun ist ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer zurückgetreten, die Nachfolger sind da offensichtlich geschmeidiger. Politischer Opportunismus ist in Wien nichts Neues. Kickl will die Alpenrepublik zur „Festung Österreich“ umbauen, verstärkter Grenzschutz, keine Staatsbürgerschaft für anerkannte Flüchtlinge, Einschränkung des Familiennachzugs, Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern.
Ob die Brandmauer zwischen der Union und der AfD hält? Weil sieht in der gegenwärtigen Situation eine „Chance für die Demokraten“. Die Parteien sollten eine Mehrheitsregierung bilden und „vier Jahre lang wirklich eine überzeugende Politik“ umsetzen. Damit könnten sie den Bürgern zeigen: „Es lohnt sich, den Demokraten auch wirklich zu vertrauen“. Klingt gut aus dem Mund von Weil, der selber ein Politiker ist mit hoher Glaubwürdigkeit, erfolgreich in Niedersachen regiert seit vielen Jahren, aber ich habe Zweifel nach dem Scheitern der Ampel, der destruktiven Art, wie zum Beispiel die FDP ihre Rolle in dieser Koalition gespielt und fast immer den Eindruck erweckt hatte, nur sich selbst zu profilieren, wissend, dass das am Ende nur zum Scheitern des SPD-Kanzlers führen kann.
Warum ist Scholz so leise?
Stichwort SPD. Da würde ich von Stephan Weil erwarten, dass er seinem Kanzler und erneuten Kandidaten für das wichtigste politische Amt in der Republik dringend rät, mal auf die Marktplätze zu gehen und dort laut und vernehmlich zu erklären, was eine SPD-geführte Regierung denn nach der Wahl machen würde. Herr Scholz, durch Schweigen gewinnt man keine Wahl.
Es ist mir zudem rätselhaft, welche Rolle der SPD-Chef Lars Klingbeil spielt. Man muss fast befürchten, dass er erkrankt ist. Jedenfalls höre ich so gut wie nichts von ihm. Warum, Herr Klingbeil, spornen Sie nicht ihre Hunderttausenden von Mitgliedern und Sympathisanten an, für die Ideen der SPD, also eine gerechtere Bundesrepublik, auf die Straße zu gehen? Wo bleibt der Kampf gegen die rechtsradikale AfD? Die Hütte brennt und niemand von der SPD-Führung ruft nach der Feuerwehr. Oder müssen sie zuerst eine Kommission bilden? Im Schlafwagen ist die Macht in Berlin nicht zu verteidigen.
In allen Umfragen rangiert die SPD irgendwo bei 15 Prozent. Und Herr Scholz betont nach wie vor, er wolle und er werde die Wahl gewinnen. Das ist ein Witz. Damit könnte er in jedem Kabarett die Zuschauer zum Lachen bringen. In einer neuesten Umfrage, Herr Scholz, Herr Klingbeil, Herr Miersch,(SPD-Generalsekretär) liegt die SPD nur noch an vierter Stelle. Die Grünen sind vorbeigezogen mit ihrem Märchenerzähler Robert Habeck, der seine politischen Forderungen in Küchengesprächen anbietet und der gerade vorm Siegestor in München als „Bündniskanzler“ lächelte. Wo bleibt die SPD? Herr Habeck fordert sogar, die Verteidigungsausgaben auf 3,5 Prozent des Gesamt-Etats anzuheben, das wären 130 Milliarden Euro. Wo bleibt der Aufschrei der Gesellschaft? Habeck, der Kanzlerkandidat der militärischen Aufrüstungspartei Bündnis 90/Die Grünen? Will er sich einschmeicheln bei der Union, bei Herrn Söder oder sich eine Einladung von Donald Trump besorgen, der inzwischen seine Forderungen an alle Nato-Mitglieder auf fünf Prozent des Verteidigungs-Etats am Gesamt Volumen erhöht hat? Und da ist sicher noch Luft nach oben.
Gesellschaft ist bedroht
Die AfD, las ich vor Tagen in der SZ-Kolumne von Heribert Prantl, „bedroht die Gesellschaft essentiell“. Die Demokraten „müssen jetzt mutig streiten und dürfen nicht in die innere Emigration gehen“. Fordert der Journalist und Jurist Prantl. Es bestehe die Gefahr, dass diese AfD bei der Wahl im Februar zweitstärkste Partei werde. Und dann wachse der Druck bei den anderen Parteien, mit dieser radikal-völkischen Partei „zumindest zu reden“, befürchtet Prantl, um „deren Wähler nicht in eine Ecke zu stellen“. So hat es vor Monaten ein führender CDU-Mann gesagt. Und es macht sich der Gedanke längst breit, man müsse diese AfD „entzaubern“, indem man sie regieren oder mitregieren lässt oder ihr Einfluss auf politische Entscheidungen zugesteht. Und wenn das so kommt, besteht die weitere Gefahr, dass der Widerstand in der Gesellschaft gegen diese „Nazi-Partei“(Hendrik Wüst) nachlässt und die „Verteidiger des liberalen Rechtsstaats und der offenen Gesellschaft sich in einer Art inneren Emigration zurückziehen“.(Prantl)
Nein? Doch nicht bei uns, nicht im Westen, wir sind doch die guten Deutschen. Ja? Und wer hat die AfD denn gewählt, damit sie in allen Landesparlamenten, im Bundestag und im Europa-Parlament vertreten ist? Das können jedenfalls kaum die Deutschen mit Migrationshintergrund sein, die die AfD ja rausschmeißen will aus Deutschland, Remigration nennen die Feinde der Demokratie das. Übrigens das mit dem Entzaubern hatten die Demokraten schon damals 1933 mit Hitler vor, das Ergebnis ist bekannt, das Ermächtigungsgesetz am 24. März 1933 setzte den Rechtsstaat außer Kraft , die gesetzgebende Gewalt übertrug der Reichstag vollständig auf die neue Reichsregierung unter Adolf Hitler. Zumindest die älteren Zeitgenossen sollten das noch wissen.
Ja, ich weiß, Friedrich Merz, der CDU-Chef, hat jede Kooperation mit der AfD ausgeschlossen. Ich kenne keinen führenden Christdemokraten, der mit den Ultrarechten etwas im Sinn hat. Die Frage wird sein, was wird, wenn der künftige US-Präsident Donald Trump ab dem 20. Januar im Weißen Haus sitzt. Macht er dann wie sein Freund und Berater Musk Werbung für Weidel? Anzeigen in deutschen Zeitungen? Musk hatte gesagt, die AfD sei der „letzte Funken Hoffnung“ für Deutschland. 1932 las sich ein entsprechendes NSDAP-Plakat so: „Unsere letzte Hoffnung: Hitler“. Ich habe auch nicht vergessen, wie vor fünf Jahren im thüringischen Landtag der FDP-Mann Thomas Kemmerich letztendlich mit den Stimmen der CDU und der AfD plötzlich Ministerpräsident geworden ist. Linkspartei, SPD und Grünen waren die Verlierer, die AfD mit Björn Höcke, den man offiziell einen Faschisten nennen darf, war der heimliche Gewinner, Kemmerich wäre seine Marionette gewesen. Eine Linke Politikerin warf ihm die Blumen-gedacht für Ramelow, der sah sich aber abgewählt- vor die Füße. Erst das energische Einschreiten der Kanzlerin und der darauf folgende Protest der Parteiführung der CDU ließ Kemmerich einen Tag später zurücktreten. Das war so ein Versuch nach dem Motto: Lasst sie doch mal machen! Es ging gerade noch mal gut. Nicht vergessen, wie Wolfgang Kubicki, der Talkshow-König und Vizepräsident des Bundestags, Kemmerich gratulierte.
Es kann passieren
Es ist passiert und kann wieder passieren. Björn Höcke, der AfD-Mann aus Thüringen, der die deutsche Erinnerungskultur um 180 Grad wenden möchte und das Mahnmal neben dem Brandenburger Tor, das an die Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nazis erinnert, eine Schande genannt hat, sitzt weiter im Landtag in Erfurt. Der Mann hat Remigrationspläne, bei denen sich „menschliche Härten und unschöne Szenen nicht immer vermeiden lassen“. Warum gegen diesen Mann, dessen AfD-Landesverband nach dem Verfassungsschutz „als gesichert rechtsextrem“ eingestuft ist, kein Antrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt wird, um ihm seine Wählbarkeit zu entziehen, ist mir ein Rätsel. Artikel 18 Grundgesetz lässt dies ausdrücklich zu. Auch der große Verbotsantrag-Artikel 21 GG- gegen die AfD wurde lediglich von über 100 Bundestagsabgeordneten aller Parteien unter Führung des CDU-Politikers Wanderwitz gestellt, hatte aber nicht die Unterstützung der Fraktionen. Auch die Bundesregierung hielt sich bedeckt wie eine Landesregierung und der Bundestag. Alle drei Institutionen können einen solchen Antrag beim Bundesverfassungsgericht stellen. Dann wäre es ein Thema, auch im Wahlkampf. Die AfD verbieten, weil sie verfassungsfeindlich ist, weil sie gegen die Würde des Menschen verstößt, die für alle in Deutschland lebenden Menschen gilt, unabhängig von ihrer Religion, Herkunft. Im Grundgesetz ist ein solches Verbot ausdrücklich festgelegt. Es ist ein Gebot, die Verfassung vor ihren Feinden zu schützen. Einer der Verfassungsväter, der SPD-Politiker Carlo Schmid, hat das 1948/49 bei der Diskussion um das Grundgesetz formuliert: Keine Toleranz der Intoleranz. Es ist eine Pflicht der Demokraten, im Notfall die Demokratie mit den Mitteln, das das Grundgesetz bietet, zu verteidigen.
Warum macht die SPD-Führung im Bund und in den Ländern nichts? Die SPD hat doch am eigenen Leib damals erfahren, was den Demokraten passiert, wenn Autokraten und Diktatoren an die Macht kommen. Ich erinnere noch einmal an die Worte des SPD-Chefs im Berliner Reichstag, Otto Wels, kurz vor der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz 1933: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Die SPD war neben der schon verbotenen KPD die einzige Partei, die Nein sagte zu dem Gesetz. Der Historiker Heinrich August Winkler, ein Sozialdemokrat, hat die Haltung der SPD später gewürdigt: „Die SPD kann stolz sein darauf… Die SPD hat damit nicht nur ihre eigene Ehre, sondern die der ersten deutschen Demokratie gerettet. “ Der Notfall liegt vor, schreibt Prantl. Es ist Zeit für die SPD und alle Demokraten, aufzustehen und für die Demokratie zu kämpfen.
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