Mehr als 16 Millionen Menschen in Deutschland gelten als von Armut oder Ausgrenzung bedroht. Sie verdienen zu wenig, sind häufiger krank, können in der Gesellschaft nicht mehr mithalten. Rentner können die Arzneien nicht bezahlen, viele kommen kaum über die Runden, besonders betroffen sind auch und gerade die Kinder. Große Sorgen macht den Sozialexperten vor allem die Lage der Alleinerziehenden, in der Regel sind es Mütter und deren Kinder. „Wir dürfen die mehr als 2,5 Millionen Alleinerziehenden nicht reihenweise verarmen lassen“, fordert der Sprecher der Nationalen Armutskonferenz (nak), Dr. Frank Joh. Hensel, in einem Gespräch mit dem Blog-Der-Republik. „Wenn wir hier rechtzeitig ansetzen und all die vielen Talente schon im Kindergarten und dann in der Schule fördern, haben sie gute Chancen, eine Schul- und später Berufsausbildung abzuschließen. Beides sind wichtige Voraussetzungen, um eine Arbeitsstelle zu finden, eigenes Geld zu verdienen und dem Kreislauf großer, lebenslanger Abhängigkeiten zu entkommen – wenn wir das schaffen, leisten wir einen Riesendienst am Einzelnen und an der Gesellschaft.“
Rund 1,9 Millionen Kinder in Deutschland leben in Hartz-IV-Haushalten, so Hensel. Davon gut die Hälfte, genauer 965.000, in alleinerziehenden Haushalten. Und dort fehle es hinten und vorn. Und zu über 90% sind Mütter davon betroffen. Diese, auch wenn sie noch so stark sind, wüssten oft nicht, wie sie das alles stemmen und auf die Beine kriegen sollten, zumal die Hälfte von ihnen kein Geld vom Vater des Kindes bekäme und ein weiteres Viertel nur unregelmäßig. Viele Väter drückten sich vor dieser Pflicht, aber andere könnten nicht zahlen, weil sie selber kein Geld hätten oder krank seien. “Die Alleinerziehenden dürfen wir um des Himmels und der Kinder willen nicht mit ihrem Schicksal allein lassen“, so Hensel.
Unterhaltsvorschuss entfristen
Umso wichtiger sei, so nak-Sprecher Hensel, den bisher geltenden Unterhaltsvorschuss, der auf sechs Jahre und bis zum 12.Lebensjahr begrenzt ist, zu entfristen. Diese bisher geltende Beschränkung sei nicht nachvollziehbar. Denn die Bedürfnisse eines Kindes endeten nicht nach sechs Jahren Trennung der Eltern oder mit 12 Jahren. Hensel: „Wer Chancengerechtigkeit ernst meint, der kann sich einer Verlängerung dieser Leistung bis zum 18. Lebensjahr nicht verschließen.“
Ein entsprechender Kabinettsbeschluss entzweit gerade Bund und Länder. Die Mehrkosten in Höhe von 800 Millionen EURO würden die Länder zusätzlich belasten, den Bund durch Anrechnung auf Sozialleistungen sogar eher entlasten.
Bessere Förderung der Kinder hilft allen
Eine bessere Förderung der Alleinerziehenden und ihrer Kinder käme allen zugute, so Hensel: „Es ist kein Naturgesetz, dass die Hälfte aller Kinder aus alleinerziehenden Haushalten als arm gilt. Dagegen kann man etwas tun. Und es wäre ein großer gesellschaftlicher Fehler, wenn wir diese Mütter und ihre Kinder allein ließen. Ein Fehler, der sich quasi lebenslang auswirkt.“
„Wenn wir wirklich eine solidarische Gesellschaft wollen, müssen wir gerade bei den Kindern anfangen“, betonte Hensel, der selber Mediziner ist. „Wenn wir Kindern eine echte Chance geben, damit sie hineinfinden und aufsteigen können und ihren Platz in der Gesellschaft finden, ist das auch ein Mittel gegen Altersarmut. Diese Kinder haben dann nicht nur eine Chance auf einen guten Schul- und Berufsabschluss, sondern auch auf einen angemessen bezahlten Arbeitsplatz.“
Pro Kind 540 Euro im Monat in bar oder als Sachleistung
Pro Kind sei ein Betrag in Höhe von rund 540 Euro im Monat als Geld- und Sachleistung nötig, damit alle Kinder chancengerecht aufwachsen könnten, so Hensel. Dazu müssten die Kindergärten und die Schulen entsprechend ausgestattet werden, die Kinder dort ein kostenloses Mittagessen bekommen. Nur jedes zehnte Kind aus einer einkommensschwachen Familie schafft beispielsweise heute den Sprung aufs Gymnasium. Hensel: „Wir riskieren, dass sehr viele Kinder nicht entsprechend ihren Begabungen gefördert werden. Das aber dürfen wir uns nicht leisten. Arbeitgeber suchen jetzt schon und wegen zurückgehender Geburtenzahlen gut ausgebildete Leute für fast alle Berufe.
Stichwort: Armut
Absolute Armut, also ein Leben ohne ausreichend Nahrung, ohne ein Dach über dem Kopf, ist in Deutschland eher selten. Relative Armut hingegen ein weitreichendes Problem. Sie zeigt sich in nicht vorhandener Teilhabe und mangelnden Chancen – Menschen sind oder fühlen sich ausgegrenzt. Als von Armut und Ausgrenzung in der EU bedroht gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der gesamten Bevölkerung zur Verfügung hat.
Stichwort: nak
Die NAK ist im Herbst 1991 als deutsche Sektion des Europäischen Armutsnetzwerks gegründet worden. Ihr Ziel ist es, Bedürftigkeit in Deutschland zu minimieren. Mitglieder der NAK sind u.a.: die Arbeiterwohlfahrt(AWO), das Armutsnetzwerk, Armut und Gesundheit in Deutschland, BAG Schuldnerberatung, BAG Wohnungslosenhilfe, Bundesverband Die Deutsche Tafel, der Paritätische Wohlfahrtsverband, Deutscher Bundesjugendring, Caritas, DGB, Rotes Kreuz, Diakonie, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland.
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