Zum ersten Mal seit ihrer Gründung ist die Bundesrepublik in großer Gefahr, Rechtsextremisten, Neonazis wollen die Republik und die Demokratie aus den Angeln heben. Folgt man Umfragen, würde fast jeder Fünfte der deutschen Wahlberechtigten bundesweit die AfD wählen, also den parlamentarischen Arm der Rechtsextremisten. Für die Landtagswahlen im Herbst in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sieht es noch düsterer aus. Dort würde die AfD, wählte man jetzt, stärkste Partei werden mit über 30 Prozent der Stimmen. Der AfD-Chef von Thüringen, Björn Höcke, den man laut Gericht einen Faschisten nennen darf, könnte der erste Ministerpräsident in Deutschland werden. Mit allen Folgen. Was auf uns zuzukommen droht, machte ein Treffen von AfD-Leuten mit anderen Rechtsextremisten in Potsdam deutlich: dort forderten sie unter Leitung des bekannten österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner eine „Remigration“, was nichts anderes heißt als eine massenhafte Ausweisung von Menschen, die entweder keine Deutschen oder Deutsche mit Migrationshintergrund sind. Die Deportationspläne seien aber kein Geheimnis, betonten AfD-Mitglieder, das sei „ein Versprechen“.
Andrea Arcais ist ein solcher Deutscher mit Migrationshintergrund. Der Mann der Ministerin Svenja Schulze ist 1960 auf der italienischen Insel Sardinien geboren, er lebt seit 1964 in Deutschland, Arcais ist Mitglied der SPD, seit 20 Jahren aktiv bei der Gewerkschaft IGBCE und seit 2022 Geschäftsführer der Stiftung Arbeit und Umwelt der IGBCE. Und er hat so einiges erlebt in all den Jahren, in denen er als „Spaghettifresser“ beschimpft, dann auf dem Schulhof mit dem Lied „drei kleine Italiener“ besungen wurde, ehe man ihm bei der Entscheidung, auf welche weiterführende Schule er gehen solle, klarmachte, „für Gastarbeiterkinder gibt es die Hauptschule“ . Das alles hat er einst geschluckt, aber das, was er jetzt hören musste vom Potsdam-Treffen der AfD mit Rechtsextremisten, empört und verletzt ihn zutiefst: Trotz deutschem (und italienischem) Pass soll er wie Millionen andere deportiert werden.
„Ich fühle mich nicht unmittelbar bedroht, aber gemeint“, sagt Andrea Arcais im Gespräch mit dem Blog-der-Republik. „Dieses Pack macht keine Unterschiede. Ich stehe nicht beiseite, ich bin genauso gemeint wie Alle, die auf die Deportationsliste sollen. Ich erwarte von dieser Gesellschaft, von allen Demokratinnen und Demokraten, von uns Allen, egal welcher politischen Überzeugung sie sind, welcher religiösen oder weltanschaulichen Einstellung sie angehören oder zuneigen, gleich welches Geschlecht sie haben oder welche Hautfarbe, dass diesem rassistischen und faschistischem Wahn Einhalt geboten wird.“
Ja, es ist ungeheuerlich, was sich da gerade in Deutschland zusammenbraut, 79 Jahre nach dem Ende des schlimmsten aller Kriege, nach dem Ende der Nazi-Diktatur, die Millionen Juden ermorden ließ, Sozialdemoraten, Kommunisten, Gewerkschafter wie engagierte Christen verfolgen und töten ließ, die weite Teile Europas in Schutt und Asche legen ließ. Und trotz dieser Schrecken sind nationalistische Rassisten im Gewand der AfD auf dem Vormarsch, die unserer Erinnerungskultur mit Hohn begegnen, die ausgrenzen wollen, unsere demokratische Ordnung zerstören, aus der Nato austreten und die Europäische Union zerstören wollen. Der frühere Bundesinnenminister Gerhard Rudolf Baum(91), fühlt sich an 1930 erinnert, als die NSDAP bei den Reichstagswahlen 14,9 Prozent der Stimmen gewannen. Es war der Durchbrauch der Nazis. Heute wird die AfD nach Umfragen als zweitstärkste Partei eingeschätzt, fast jeder Fünfte würde sie wählen. Wo bleibt der Aufstand der Anständigen? Warum sind die demokratischen Parteien nicht alarmierter? Warum blieb auch die SPD, die älteste deutsche Partei, zu lange zu ruhig? Sie war die einzige 1933 in der Berliner Kroll-Oper, die gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt hatte, was Hitler alle Vollmachten gab, die er dann sofort dazu nutzte, um Sozialdemokraten und Kommunisten und Juden zu verfolgen, einzusperren oder zu ermorden.
„Die Rechtsextremisten und Neonazis, vereint in der AfD, wollen nicht nur die Ampel-Regierung sturmreif schießen, sondern den ganzen Laden, unsere Republik. Das sollten alle wissen, die jetzt auf die Ampel und auf Scholz und andere draufhauen“, betont Andrea Arcais im Gespräch mit dem Blog-der-Republik. „Das muss auch CDU-Chef Friedrich Merz wissen, der unaufhörlich die Ampel kritisiert und verhöhnt. Ihm und einer von ihm gebildeten Regierung würde es doch genauso gehen.“ Die Tonlage in den politischen Diskussionen wird immer weiter zugespitzt, demokratische Prozesse, die Diskurs und die notwendige Zeit brauchen, werden als „Gezänk“ diffamiert und das parlamentarische Verfahren als „Hinterzimmerpolitik“ verhöhnt. Das Bürgertum müsse aufwachen, aufstehen gegen die Neonazis, die Angestellten und Arbeiter, alle Menschen dieses Landes müssten sich wehren, in Vereinen, Bewegungen, Parteien, in privaten Kreisen, in der Kneipe, am Arbeitsplatz, in der Straßenbahn, überall. „Der Kampf für diese Demokratie, für diese Republik, darf kein Kampf nur des Bundeskanzlers und der von ihm geführten Regierung sein, er darf auch nicht nur der Kampf von Parteien sein, es betrifft uns alle. Denn es geht ums Ganze.“
Andrea Arcais plädiert für einen Aufruf an alle Demokratinnen und Demokraten im Lande, um ihnen bewusst zu machen, in welcher Gefahr sich die Republik befinde, man dürfe die Verteidigung der Werte des Grundgesetzes nicht delegieren, es sei Aufgabe, ja Pflicht aller Bürgerinnen und Bürger, sich einzumischen und gegenzuhalten gegen die Angriffe gegen unsere Demokratie. Es reiche nicht, von der Politik, der Regierung etwas zu verlangen, was alle betreffe oder etwas bei ihr zu bestellen. „Nein. Wir alle sind gemeint, wir alle müssen mitmachen, ehe es zu spät ist.“ Dabei gehe es nicht um „Revolutionsromantik“. Und, so Andrea Arcais, „Endzeitrhetorik hilft uns nicht. Wir müssen an Brücken für die Demokratie bauen, keine Barrikaden“.
Sicher sei es sinnvoll, gegen eine Partei wie die AfD, die ja nach dem Urteil des Verfassungsschutzes in weiten Teilen als gesichert rechtsextremistisch gilt und als verfassungswidrig, auch alle rechtlichen Mittel, die das Grundgesetz uns gebe, anzuwenden, aber leider reiche die Zeit für ein Verbot nicht mehr aus. Deshalb müsse die Auseinandersetzung so geführt werden, dass man alle demokratischen Kräfte mobilisiere. „Es lohnt sich, diesen Kampf zu führen. Denn wir haben viel zu verlieren, was die Verfassungsmütter und Verfassungsväter einst für uns aufgebaut haben“. Arcais erinnerte daran, dass die Deutschen am 23. Mai den 75. Jahrestag des Grundgesetzes feiern. Einer der Großen dabei sei damals der Sozialdemokrat Carlo Schmid gewesen, und der habe uns die Forderung mit auf den Weg gegeben: „Intoleranz denen gegenüber, die die Demokratie missbrauchen, um sie umzubringen.“ Arcais fügte hinzu: „Wehren wir uns gegen die Verfassungsfeinde!“
Alle Demokraten, egal in welcher Partei oder auch in keiner, sollten sich auf die gemeinsamen Werrte besinnen. Freiheit der Meinungsäußerung und Rechtsstaatlichkeit sind hohe Güter, die zu bewahren sind. Soziale Ungleichheit droht die Gesellschaft zu spalten; das muss verhindert werden. Wenn die gegenwärtige Regierungskoalition sich nicht darauf verständigen kann, sollte sie erweitert oder umgebaut werden. Nicht erst nach Neuwahlen, sondern noch vor dem 75. Jahrestag des Grundgesetzes ist eine Wende herbeizuführen. Schon gar nicht kann man auf gerichtliche Verbotsurteile warten. Sondern durch eine bessere Politik zum Nutzen der großen Mehrheit der Bevölkerung sollen Protestwähler für die Demokratie zurückgewonnen werden. Das ist Aufgabe aller demokratischen Pollitiker, aller demokratischen Parteien, hinter die Partreiinteressen und persönlicher Ehrgeiz zurückzustellen sind. Die Wahlen zum EU-Parlament werden ein erster Test sein und hoffentlich ein ermutigendes Zeichen!