Wie umgehen mit einer Partei, die als verfassungsfeindlich und rechtsextrem gilt, aber dennoch im Umfragehoch liegt? Das ist die ebenso drängende wie quälende Frage. Warum ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht jedenfalls Teil der Antwort sein sollte.
Rechtsextreme im Umfragehoch
Leider wahr: Verfassungsfeindliche, rechtsextreme Parteien sind in Deutschland nichts Neues. Auch sind die jüngsten Enthüllungen um AfD-Vertreter und ihre Geheimpläne nicht wirklich überraschend. Nationalistische und islamfeindliche Haltungen haben seit jeher einen festen Platz in dieser Partei und in ihrer Wählerschaft. Letztere fällt – mit Fedor Ruhose gesprochen – vor allem durch ihre „populistischen Einstellungen zur Demokratie“ auf.
Umso schlimmer ist es, dass sich mit Blick auf aktuelle Umfragen ebendiese Partei im Aufschwung befindet. Und zwar in bisher ungeahntem Ausmaß. Gerade in Thüringen ist es nicht mehr unwahrscheinlich, dass die AfD erstmals zum Wahlsieger auf Landesebene avanciert. Ihre Anhänger jedenfalls träumen bereits von der Macht, während auf den Straßen – endlich – der sogenannte Aufstand der Mitte beginnt.
Uneinigkeit bei den bürgerlichen Parteien
Über ein Parteiverbot wird aktuell viel diskutiert. Das liegt auch am jüngsten Bericht des Recherchenetzwerks Correctiv über ein Treffen, auf dem unter anderem AfD-Vertreter und sogenannte Identitäre die Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland geplant haben. Seitdem werden zunehmend Stimmen aus der gesellschaftlichen Mitte laut, die AfD zu verbieten. Die Politik ist jedoch weiterhin uneins, die Diskussion im Fluss: Während viele in der SPD ein Parteiverbot fordern, kommen von anderen Parteien eher skeptische Töne. So äußerte sich Bundesjustizminister Marco Buschmann am Rande des Dreikönigstreffens der Hamburger FDP wie folgt:
„Würde ein solches Verfahren scheitern, wäre es ein PR-Sieg für die AfD – und das kann, glaube ich, niemand wollen.“
Und weiter:
„Wir müssen uns doch auch in Wahrheit eine andere Frage stellen. Nämlich: Was bringt so viele Menschen dazu, eine solche Partei zu unterstützen? Und möglicherweise müssen wir eine ganze Reihe von Problemen besser und schneller lösen.“
Mich überzeugt das nicht. Zwar kann ich diese und ähnliche Bedenken verstehen. Die AfD in der Opferrolle würde mit Sicherheit von der Partei für ihre Zwecke genutzt werden. Richtig ist auch, dass ein Verbotsverfahren allein weder die verfassungsfeindliche, rechtsextreme Gesinnung vertreibt noch gesellschaftliche Probleme löst. Zudem erinnert man sich an die negativen Erfahrungen aus den NPD-Verbotsverfahren.
Dennoch: Die AfD bleibt eine Gefahr für unsere Demokratie. Und diese Gefahr ist zu groß, als dass man sich ihr allein politisch stellen oder sie – wie von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst gefordert – durch eine „Allianz der Mitte“ in der Migrationspolitik bannen könnte. Vielmehr bedarf es umfassender Maßnahmen zur Gefahrbekämpfung.
Dazu gehört auch die Prüfung eines Parteiverbotsverfahrens. Den Dreh- und Angelpunkt dabei bildet das Bundesverfassungsgericht, das allein entscheidet, „ob eine Partei verfassungswidrig (Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes)“ ist. Antragsberechtigt in diesem Verfahren sind nach Paragraf 43 Absatz 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung. Über den Erfolg eines solchen Verfahrens kann auch hier nur spekuliert werden. Fakt ist jedoch, dass eine vom Deutschen Institut für Menschenrechte herausgegebene Analyse wohl begründet unter anderem zu folgendem Ergebnis (S. 60) kommt:
„Wie aufgezeigt, geht die AfD nicht nur planvoll vor, um ihr Ziel der Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu erreichen. Es bestehen vielmehr auch konkrete Anhaltspunkte von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass die AfD mit der Verbreitung ihres verfassungswidrigen Gedankenguts und den damit verbundenen Zielen Erfolg haben könnte. Die Gefahr, die von der AfD für die freiheitliche demokratische Grundordnung als Schutzgut von Artikel 21 GG ausgeht, ist mittlerweile erheblich. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für ein Verbot der AfD liegen demnach vor.“
Risiken des Parteiverbots
Ein Parteiverbotsverfahren birgt jedoch Probleme. Insbesondere im Erfolgsfall. So wird in der Analyse des Deutschen Instituts für Menschenrechte darauf hingewiesen, dass ein Parteiverbot „als ‚zweischneidige Waffe‘“ Effekte haben könnte, „die dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zuträglich wären. Es könnte insbesondere den davon betroffenen Mitgliedern und Anhängern grundsätzlich oder zumindest in einzelnen Fällen den Impuls zu einer weiteren Radikalisierung geben. Solche Überlegungen sind nicht von der Hand zu weisen.“
Diese Einsicht gilt auch für die Möglichkeit, einzelnen AfD-Mitgliedern, etwa dem Rechtsextremisten und Chef der Thüringer AfD Björn Höcke, im Verfahren nach Artikel 18 Grundgesetz bestimmte Grundrechte zu „entziehen“. Der Berliner Rechtsprofessor Alexander Thiele führt in einem LTO-Artikel dazu ergänzend aus, dass nach Paragraf 39 Absatz 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz „zusätzlich zur Verwirkung des missbrauchten Grundrechts“ auch die Möglichkeit besteht, „das aktive und passive Wahlrecht sowie die ‚Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter‘ abzuerkennen.“ Dennoch kann dieses Vorgehen ebenfalls problematisch sein. Im Artikel heißt es weiter:
„Insofern ist das Verwirkungsverfahren eine personenbezogene Alternative zum Parteiverbot. Strategisch sprechen damit auch ähnliche Argumente dafür wie dagegen. Hinzu kommt laut Thiele allerdings, dass ein Verwirkungsverfahren ohne gleichzeitiges Parteiverbot den Betroffenen nicht daran hindern würde, weiterhin informell Einfluss auf die Partei zu nehmen. Höcke würde womöglich als ‚Märtyrer‘ gefeiert werden.“
Vor diesem Hintergrund erscheint – zunächst – der Ausschluss der AfD von staatlicher Parteienfinanzierung zielführender. Ein geschlossener Geldhahn tut auch weh. Und die Gefahrbekämpfung ist schließlich ein Prozess und nicht mit Einzelmaßnahmen abgeschlossen.
Über den Antrag auf Ausschluss von staatlicher Parteienfinanzierung entscheidet ebenfalls das Bundesverfassungsgericht, sodass es künftig jedenfalls ein Verfahren gegen die AfD vor dem Bundesverfassungsgericht geben sollte.
Die Geschichte lehrt, dass rechtsradikale Parteien in der Vergangenheit hinreichend Sponsoren gefunden haben und auch ohne staatliche Parteienfinanzierung erfolgreich sein können. Die jüngste bekannt gewordene Millionenspende für die AfD ist nur ein Beispiel. Wenn die Risiken aus einem Parteienverbotsverfahren wirklich so groß wie beschrieben sind, sind die Artikel 21 ff. des Grundgesetzes ein totes Rechtsgut. Das Grundgesetz bedürfte dann dringend anderer Schutzmechanismen.