Aufklärung bleibt wichtig, ebenso Widerstand gegen die Rechtspopulisten und der konsequente Einsatz des Rechtsstaates, aber zentral ist, dass die demokratischen Kräfte über eigene positive Erzählungen für die Zukunft verfügen und in der Gesellschaft verankern.
Nach den Landtagswahlen in den 3 ostdeutschen Bundesländern und den hohen Stimmenanteilen für die AfD (und dem Wagenknecht-Unternehmen) herrscht große Enttäuschung und Entsetzen, vor allem aber bewegt die Frage, wie die zu erreichen und umzustimmen sind, die in Kenntnis der rechtsextremen, rassistischen und populistischen Positionen ihre Stimmen der als gesichert geltenden rechtsextremen Partei geben. Offensichtlich reichen Argumente, Aufklärungsartikel in allen Medien und Kanälen allein nicht. Sie kommen teils gar nicht an die Zielgruppen, weil die in anderen Kanälen unterwegs sind. Oder sie bleiben bei der Entlarvung und Empörung stehen.
Größere Teile der Wählerschaft der AfD befinden sich emotional und gedanklich in einer anderen Welt. Alle Ereignisse werden ins Negative verkehrt, übertrieben, übersteigert, verzerrt. Neue Entwicklungen, insbesondere Krisen, Kriege, schlechte Nachrichten aus der Wirtschaft werden dem herrschenden „Parteien-Kartell“, den „Systemparteien“ angelastet.
Wie aber kommen Millionen auf solche Gedanken und Einstellungen?
Sicher würde eine gute Politik der demokratischen Parteien, insbesondere der Regierung, helfen, potentielle Anhänger der AfD für die Demokratie und den Rechtsstaat zu gewinnen. Zugespitzter kann auch begründet werden, dass dies für ein Rollback der AfD unabdingbar ist. Zugleich ist aber festzustellen, dass eine solche positive Regierungsarbeit von den Wählergruppen der AfD nur noch selten wahrgenommen wird. Die Abkehr vom demokratischen Rechtsstaat und den demokratischen Parteien hat tiefere Gründe.
Eine Grundlage ist die Erfahrung von Verlusten und Enttäuschungen, die nicht verarbeitet werden. Es sind kollektive und individuelle Erlebnisse, so die Art und Weise der Sicherung der westdeutschen Vorherrschaft nach der Wiedervereinigung, das Ausbleiben einer ständigen Wohlstandsmehrung und eines sicheren sozialen Aufstiegs. Stattdessen steigen Befürchtungen vor wirtschaftlichen Krisen, obwohl die große Mehrheit zugleich betont, dass es ihr persönlich gut geht. Hinzu kommen Umstellungsängste und Zumutungen durch die Veränderungen der Gesellschaft: die Tatsache einer Einwanderungsgesellschaft durchlöchert kulturelle Gewohnheiten; ebenso unterminiert der berechtigte Gleichberechtigungsanspruch der Frauen die traditionelle Vorherrschaft der Männer.
Wenn dann die vorherrschenden Sozialisierungserfahrungen durch autoritäre Strukturen und Diktaturen geprägt sind, besteht – nicht nur in der ehemaligen DDR, aber dort stärker verankert – die Gefahr des Abdriftens in eine erfundene, nicht reale Welt. In ihr werden Krisen, wirtschaftliche und soziale Veränderungen, der Klimawandel und Kriege mit dem einfachen Wunsch nach Rückkehr zu scheinbar Bewährtem beantwortet: Klaren Ansagen und Regeln, starke Anführer und starke Männer, Frauen zurück an den Herd und verantwortlich für die Kinder, Schluss mit der „Durchmischung“ der Gesellschaft durch Flüchtlinge, überhaupt den „Ausländern“, Rückzug auf den Nationalstaat, weg aus internationalen Verpflichtungen,
Dieses Gemisch, befeuert durch die Berieselungs- und Propagandamaschinerie in sozialen Medien, ist die Grundlage für die AfD-Erfolge.
Wirksam und erfolgreich wird diese politisch-kulturelle Reaktion aber erst, wenn es Anknüpfungspunkte bei den traditionellen Parteien sowie den Medien gibt. Nur wenn die Brücken der Negativ-Propaganda zur Mehrheitsgesellschaft gesprengt werden, gibt es eine Chance der dauerhaften Zurückdrängung der AfD-Politik. Das ist Aufgabe der demokratischen Parteien, Verbänden und der Medien, besonders der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.
Die Erfahrung der letzten Jahre ist jedoch eine andere:
Das betrifft insbesondere den Umgang mit der Migration und die Beförderung des Rassismus. Die AfD hat diese Thematik und Haltung tief in der Gesellschaft verankert. Jetzt braucht sie nur die Zuspitzungen und Übertreibungen weiterführen, die sie aus den Reihen z. B. aus Teilen der Union, mancher FDP-Leute und der Wagenknecht-Partei vernimmt.
Ein ebenso die AfD beförderndes Phänomen sind die Sprache von Politikern und der Umgang mit den politischen Konkurrenten. Politische Gegner werden zu Feinden. Politische Vorhaben von Konkurrenten werden nicht nur kritisiert, sondern in den Bereich von Krankheitsbildern gerückt. Kompromisse werden als Verrat klassifiziert. Notwendige Kritik wird ins Negative übersteigert und der eigene Zynismus gepflegt. Selten werden eigene Alternativen angeboten und emotional ansprechende Botschaften verbreitet. Dieses Herangehen hilft der AfD.
Ein Beispiel ist der Umgang mit dem sogenannten Heizungsgesetz. Hier ist nicht zu beanstanden, dass scharfe Kritik an dem Vorhaben und dem Vorgehen geübt wird. Aber mit welchem Vokabular die Regierung, der zuständige Minister angegangen worden sind, steht außerhalb eines demokratischen Diskurses und einer der Demokratie dienenden Auseinandersetzung. Es gab kaum Informationen zur Begründung eines solchen Gesetzes. Was am Ende des Verfahrens von der Regierungsmehrheit beschlossen wurde, auch welche Förderungen festgelegt wurden – kaum ein Thema vieler Oppositionspolitiker. Denn das hätte der Hetze den Boden entzogen. Auch manche Medien haben sich an dieser Kampagne teils wissentlich beteiligt und ständig einseitig verzerrte Wahrnehmungen reproduziert. Bei diesem Thema hat sich die Meinungsbildung nicht an der Realität orientiert.
Ähnliche Erfahrungen gibt es in der Diskussion mit der Energieversorgung und den Energiepreisen sowie der Wirtschaftslage Deutschlands. Nicht das negative oder problematische Entwicklungen thematisiert, kritisiert und diskutiert werden, ist in Frage zu stellen, sondern die Übertreibung, die Missachtung der Realitäten, der Zynismus, die Hetze und Verunglimpfung der politischen Konkurrenten im demokratischen Spektrum, alles unterstützt und getrieben durch gut organisierte Kampagnen in den (sozialen) Medien. So werden stets Nährstoffe für populistische, rechtsextreme Kräfte produziert, die am Ende auch liberale oder konservative Parteien schwächen.
Ein anderer Umgang miteinander, auch die Mitarbeit in demokratischen Parteien und den Kompromiss fördernden Ansatz, ist eine Bedingung, um Wählerinnen und Wähler der AfD, besonders Jugendliche, zur Umkehr zu bewegen.
Wesentlich ist eine weitere Aufgabe – die Entwicklung und Darstellung der eigenen Politik. Das ist keineswegs nur ein Problem der Kommunikation. In einer Situation, die von zahlreichen Krisen und dadurch ausgelösten Unsicherheiten geprägt ist, werden klare und wahrhaftige inhaltliche Positionen verlangt, die nachvollziehbar und mit dem Lebensalltag verbunden sind. Die einfache Fortschreibung bisheriger Denkmuster und Vorschläge ist unzureichend. Technokratische Ansätze und formelhafte Sprachbilder erreichen keinen und schrecken ab. Erwünscht und erforderlich sind politische Angebote, die Menschen auch emotional erreichen, auch Politiker, die das ohne Kraftmeierei und Phrasendrescherei verkörpern. Der „Kanzler-Sprech“ und die arroganten Merz-Sprüche sind das genaue Gegenteil.
Gerade um Jugendliche von rechtsradikalen Haltungen abzubringen, müssen demokratische Politiker positive Werte leben und konkrete Erzählungen anbieten können, die von einer erreichbaren besseren Welt handeln. Sie müssen Emotionen erreichen und Menschen bewegen.