Vor einiger Zeit schrieb der Romanautor Till Raether ein sehr ernstes Buch über seine Depressionen, ganz im Sinn von Joseph Beuys klugem Rat: „Zeige deine Wunde“.
In seinem neusten Kriminalroman „Die Architektin“ gelingt es ihm, seinen nachempfindbaren Welten-Kummer dermaßen in wirklich ultrakomischen Situationen in Freuds bestem Sinn zu sublimieren. Was habe ich bei der Lektüre laut gelacht, das Lachen der Erkenntnis!
Der Roman spielt im Westberlin der Anfang-Siebziger Jahre, wo sich im schlimmen Beton-Aufbauwahn ganze Riegen von Profiteuren zusammentun, um etliche Millionen bei einem Immobilien-Großprojekt zu kassieren. Die Älteren unter uns erinnern sich quasi nostalgisch wiederkennend – der Steglitzer Kreisel … hier vorsichtshalber „Kegel“ genannt. Ein irrsinniges Spekulations-Desaster, es wurde auf Kosten der Steuerzahler – ja und auch der Steuerzahlerinnen – hemmungslos teuer in den Sand gesetzt.
Wie das nun alles strukturell ja auch heutzutage so zusammenhängt – wer mit wem welche Absprachen veranstaltet, wie die oberste Bau- und anderer Behörden mit den Kommanditisten was vereinbaren, und sich „gestandene Männer“ in merkwürdiger Verzückung von einer eiskalt kalkulierenden Architektin – eine solche Person gab es damals in der Tat in Echt! – zu 6-stelligen Investitionen vereinnahmen lassen – Ja, das ist sooo amüsant zu lesen – und in verheerten Zeiten wie diesen – ein seltenes Vergnügen! Und – es gibt allerhand zu begreifen, wie das damals so rund ging mit den Megaprojekten, und was es dann an Beton-Ruinen voller Hässlichkeit bis heute noch zu ertragen gibt.
Die verschiedenen Aspekte vorsätzlicher Ignoranz – wenn Lokal-Politiker mit lokalen Geschäftsleuten und so einer durchtriebenen Planerin wie der Titelfigur gemeinsame Sache machen – können wir Leser:innen vom auktorialen Erzähler uns als überaus gekonnte Karikaturen schildern lassen. Im Mittelpunkt der Ereignisse versucht Otto Bretz – der gerade 20 Jährige Praktikant vom „Spandauer Volksblatt“ mit gewitzter Recherche Licht ins absichtsvoll verdunkelte Geschehen zu bringen. Sein eher selbstunsicheres Verhältnis zu den angesagten höheren Kreisen entwickelt sich allmählich zu allerhand Stärke …
Ehrlich gesagt – für ein solch bildendes Lesevergnügen würde ich dem Autor zahlreicher gesellschaftskritischer Kriminalromane sogar den Büchner-Preis verleihen, schließlich wurde der geniale Georg Büchner leider nur 23 ½ Jahre alt, und doch war er so ernsthaft in seiner literarischen Analyse der erbarmungslosen Machtverhältnisse, jedoch auch in der Lage, mit absurder Komik die ignoranten Macht-Inhaber schonungslos vorzuführen, ein wahres Vorbild.