Zwei Tage lang stand in der Hamburger Kulturfabrik Kampnagel das Thema „Europa“ im Mittelpunkt. ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius hatte am 26. und 27. April zum EuropaCamp geladen. Um es vorweg zu nehmen: Das Camp war ein voller Erfolg. Spannende Panels, Diskussionen, Workshops und die offene Form von Kampnagel boten zahlreiche Möglichkeiten der Begegnung, Diskussion, Vernetzung und Teilhabe. Und dazu gab es ein beachtliches Kunst- und Kulturprogramm. Ganz so, wie es die Intendantin von Kampnagel, Amelie Deuflhard, bei der Eröffnungsveranstaltung betonte: „Kunst ist identitätsstiftend. Demokratie braucht Kunst“.
Das EuropaCamp zielte vor allem auf Jugendliche, aber das Altersspektrum der Teilnehmer reichte, zumindest gefühlt von 9-99. Angebote wie „Heute bis DU Minister/in“ oder Workshops wie z.B. „Brexit – Neuanfang nach dem Rosenkrieg“ und „Planspiel „Offene Gesellschaft – geschlossene Außengrenzen“ waren insbesondere an Kinder und Jugendliche adressiert und luden zur aktiven Teilhabe ein.
Sehr anregend und lebendig startete das Camp mit dem Panel „Wie diskutieren wir Europa? Wie lässt sich Politik besser erklären“ . Vor allem Ulrike Guérot brachte das Elend der aktuellen Europa-Debatten auf den Punkt: „Wir diskutieren Europa sehr von unserem Selbstbefinden aus“. Das verstellt uns in Deutschland natürlich den Blick für Probleme, die die Menschen in Rumänien, Bulgarien oder Ungarn erleben. Hier haben die offenen Grenzen in den letzten Jahren zu einer nur schwer verkraftbaren Abwanderung gut ausgebildeter junger Menschen geführt. Das speist die skeptische und in Teilen stark ablehnende Haltung gegen die EU. Und natürlich ist das ganz genau die nur schwer vermittelbare Frage, warum sollen wir mit Begeisterung am 26. Mai zum 9. Mal ein Parlament direkt wählen, das nicht über die Machtmittel verfügen darf, die in einer Demokratie den Volksvertretern zusteht. Hier hat die EU ein zentrales Demokratiedefizit, das die nationalen Regierungen der EU-Mitgliedsstatten weder hinreichend erklären noch verändern wollen.
Ein weiteres Beispiel für die vielen fruchtbaren Anregungen des EuropaCamps bot das Panel „Populismus in Europa- Wie reden mit EU-Gegner/innen?“. Mit Astrid Séville, Wolfgang Schmale, Johannes Hillje und Michel Friedmann vielversprechend besetzt, zeigte es jedoch auch, wie schwierig es ist, Populismus zu definieren, identifizieren und auch zu bekämpfen. Den wichtigsten Rat gab Michel Friedmann: „Wieder mehr streiten, seien wir doch nicht mehr so gepflegt“.
Ein Höhepunkt des Camps war das „Europa-Battle: Who Has the best Ideas for Europe?“ zwischen dem Mitglied des Europäischen Parlaments für Bündnis 90/Die Grünen, Sven Giegold, und Yanis Varoufakis, dem Spitzenkandidaten der „Bewegung Demokratie in Europa 2015“. Die Zuhörer kürten Varoufakis knapp zum Debattensieger. Wie intensiv diskutiert wurde, sah man daran, dass das Ende der auf 75 Minuten geplanten Veranstaltung um mehr als eine Stunde überzogen wurde
Bei den spannenden Panels und Diskussionsveranstaltungen kam die Diskussion mit den Teilnehmern etwas zu kurz. Viele kritische Fragen, beispielsweise beim Panel zum Thema „Fake-News“ an den Facebookvertreter zur Verantwortung der großen Plattformen zu den aktuellen, demokratiegefährdenden Manipulationsskandalen wie beim Brexit oder der amerikanischen Präsidentschaftswahl 2016, den schwerwiegenden Verletzungen von gesetzlichen Bestimmungen zum Datenschutz, Persönlichkeits- oder Urheberrecht, oder die Frage, warum Facebook so wenig gegen Hatespeech, Rassismus oder Nazi-Accounts tut, blieben auf der Strecke. Das EuropaCamp mit den vielen jugendlichen Teilnehmer wäre dabei genau das richtige Forum gewesen.
Insgesamt aber eine wirklich überzeugende Veranstaltungsform mit vielen spannenden Diskussionen. Im Hinblick auf die Diskutanten wäre etwas mehr „Reibung“ wünschenswert gewesen. Bei den Moderatoren etwas mehr Mut, die Zuhörer stärker zu beteiligen. Aber das könnte ja ein drittes EuropaCamp umsetzen. Zumindest wäre es wünschenswert, diese innovative und in ihrer Zusammensetzung einmalige Veranstaltung der ZEIT-Stiftung fortzusetzen. Unser Europa wäre es wert!