Ob Frau oder Mann geeignet ist, eine Regierung in schwierigen Zeiten anzuführen, lässt sich vorab nicht mit Sicherheit sagen. Nicht mal annähernd. Was nicht sicher ist, bleibt eben unsicher. Und was als Voraussetzung für eine Eignung zu setzen ist, bleibt sowieso unklar. Eine Eignungs-Beschreibung setzt voraus, dass Mensch kennt, weiß, welche Eigenschaften erforderlich sind. Wer weiß das? Wer stellt eine solche Aufstellung zusammen? Chefredakteure und –innen? Vielleicht sollte das Fach „Urteilsfähigkeit“ auf journalistischen Schulen eingeführt werden.
Auf was wäre Wert zu legen? Fehlerlosigkeit? Wer Fehler begeht, lernt. Umsicht? Kann auch zu Unbeweglichkeit führen. Erfahrung? Einen Kanzler/innen-Lehrberuf gibt es nicht. Über Fleiß und Loyalität, Verlässlichkeit, Vertrauen und Treue als Voraussetzungen erfolgreicher Kanzlerschaft wird kaum gesprochen. Was ist mit der Fähigkeit, Menschen zu führen und bei der Stange zu halten? Mit der Anpassungsfähigkeit? Was mit dem „auf andere zugehen können“? Sind es Eigenschaften „on top“ oder echte Basiseigenschaften?
Wer auch immer die Bundesrepublik während der nächsten Legislaturperiode führt, hat einen Berg an Aufgaben zu erledigen. Ende der achtziger Jahre lautete ein Stichwort, um die Ära Helmut Kohl abzukürzen: Reformstau. Wenige Jahre später war über das vereinigte Deutschland zu lesen: der kranke Mann Europas. Ein altes Bild – ursprünglich auf die Türkei zum Ende des 19. Jahrhunderts gemünzt: der kranke Mann am Bosporus. Beides trifft heute auf die Bundesrepublik nicht zu. Das liegt an der geleisteten Regierungsarbeit und der der Art und Entstehung der Probleme. Denn es ist heute so: Haben die Problem-Beseitiger, Frauen wie Männer ein Problem gelöst, sind während dessen zwei neue aufgetaucht oder entstanden. Das Bekämpfen der Pandemie ist das beste Lehrbeispiel. Ich muss dies daher nicht einmal eingehender erläutern. Nur: Sisyphos grüßt.
Wer Angela Merkel nachfolgt, benötigt
- Härte gegen sich selbst, die ein Aufgeben nahezu ausschließt.
- Die Fähigkeit, sich energisch durchsetzen zu können. Auch Durchsetzen gegenüber den tragenden Fraktionen.
- Die Fähigkeit, die eigene Wirksamkeit durch Unterstützung aus der Gesellschaft, der Sozialpartner, der sozialen Verbände, der Selbstverwaltung und Wirtschaft und durch einen beträchtlichen Teil der Medien zu erhöhen.
- Die Fähigkeit, sich Gehör und Erfolg gegen zentrifugale politische Kräfte und Regierungen in Europa zu verschaffen.
- Die Fähigkeit, die europäischen Gesellschaften davon zu überzeugen, dass der Kampf gegen eine Klimakatastrophe mit allen zur Verfügung stehenden Techniken und Technologien geführt werden muss.
- Die Fähigkeit, vor allem rechtsextreme Kräfte in die Schranken zu verweisen.
Die Auswahl an Persönlichkeiten, die sich bereithalten für die Nachfolge Angela Merkels ist recht begrenzt. Sie kommen aus demokratischen Parteien, haben sich auf demokratische Weise durchgesetzt. Über die Kandidatin Baerbock vermag ich nichts wirklich Fundiertes zu sagen. Denn die Vermittlung von Wissen über sie ist durch allerlei Albernheiten getrübt. Vom Kandidaten Laschet bin ich enttäuscht, weil ich keine Fähigkeit zusammenzuführen und keinen Willen dazu erkenne. Olaf Scholz traue ich zu, am ehesten den oben beschriebenen Anforderungen gerecht zu werden.
Bildquelle: Frank Schwichtenberg, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons