Früher hätte man vom Kanzler erwartet, ja gefordert, er müsse auf den Tisch hauen, um seine Führungsstärke zu unterstreichen. Früher, das war zu Zeiten, da es starke Volksparteien wie die CDU und die SPD gab, heute wollen sie zwar noch Volksparteien sein, sind es aber aufgrund ihrer gerupften Wählerschaft kaum noch. Sie sind -mit der Ausnahme der CSU in Bayern- nicht mehr dominant, sie können den anderen Parteien nicht mehr sagen, wo es langzugehen hat, sie müssen schauen, dass sie Partner finden, die ihnen die nötige Mehrheit verschaffen für eine Regierung. Und im aktuellen Fall sind das auf Bundesebene eben zwei Parteien, die der SPD mit Olaf Scholz zu einer Koalition verholfen haben, weil sich anderes kaum noch rechnete. Regieren auf Augenhöhe heißt das, Rücksicht auf den anderen zu nehmen, weil man einander braucht. So geht Dreier-Koalition.
Der Kanzler Olaf Scholz hat qua Amt die Richtlinienkompetenz(Artikel 65 GG), was bedeutet, dass er die Richtlinien der Politik bestimmt und dafür die Verantwortung trägt. Und er hat, wenn seine Ministerinnen und Minister sich streiten in wichtigen politischen Fragen, das letzte Wort, von den Medien gern als Machtwort formuliert. Wobei ich gern einschränke, wenn Du keine Muskeln hast, solltest Du sie auch nicht vortäuschen wollen. Und natürlich wird jeder Kanzler/jede Kanzlerin sich zunächst um eine gemeinsame Entscheidung seiner/ihrer Regierung bemühen, weil Dauerstreit jede Regierung zum Scheitern und damit zum Auseinanderbrechen führen wird. Und das sogenannte Machtwort, das mit der Richtlinienkompetenz wird man nicht täglich einsetzen können, weil es dann wirkungslos wäre.
Die Ampel-Koalition besteht aus ungleichen Partnern, die sich nicht mögen. Man konnte die Schwierigkeit eines Dreier-Bündnisses schon unter Angela Merkel beobachten, als CDU(CSU), Grüne und FDP eine sogenannte Jamaika-Koalition schmieden wollten, was kurz vor der Ziellinie dann von Christian Lindner vereitelt wurde mit dem bekannten Satz: Lieber nicht regieren als schlecht regieren. Und womit der Liberale das Verhandlungsfeld verließ. Er fühlte sich schlecht behandelt von Merkel, die seinem Eindruck nach mehr die Grünen umworben haben soll als die Freidemokraten. Aber so ist das mit drei Parteien. Da kann es ganz schnell zu einer Gegnerschaft unter den zwei kleineren Partnern kommen. Woraus dann auf längere Sicht keine echte Zusammenarbeit wird, sondern eher Neid, den man überspielen kann, der aber ausbrechen wird, wenn zwei der drei Partner mit ihrer Mehrheit die Sache entscheiden. Wirkliche Harmonie erwächst daraus nicht, die Spannungen bleiben. Was man in dieser Ampel spürt.
Kanzler haut nicht auf den Tisch
So kam es zu dem Fall, wie gerade geschehen, dass die Ampelfrauen/männer über 20 Stunden am Stück beieinander saßen und im Grunde nichts zustande brachten. Auch wenn sie nachher einen anderen Eindruck vermitteln wollten. Einigkeit sieht anders aus, als das, was SPD, Grüne und FDP als ihre Politik vermitteln. Der Kanzler, eher ein Freund der leisen Worte, wenn er überhaupt spricht, haut nicht auf den Tisch, er wird auch die Streithähne aus Grünen und FDP nicht zusammenstutzen, denn er will ja weiterregieren-möglichst über 2025 hinaus. Hat er gesagt. Gemeinsame Politik kann man das, was wir zum Beispiel im Verkehrsbereich erleben, nicht nennen. Die FDP verhindert ein Tempolimit, was man ansonsten überall in Europa findet, ob die Bahn ausgebaut wird, wann und in welchem Tempo und was mit den Autobahnen passiert, darüber wird gestritten. Man liegt nicht falsch, wenn man dahinter Ideologie vermutet. Die Grünen sind eher staats- und steuerungsorientiert, die Liberalen treten solchen Gedanken eher skeptisch entgegen, setzen auf das Individuum, bloß keine höheren Steuern, der schlanke Staat soll es richten. Interessant, dass Grüne wie FDP bei Jüngeren viele Anhänger finden: bei der letzten Bundestagswahl stimmten Wählerinnen und Wähler unter 25 Jahre mehrheitlich entweder für die Grünen oder die FDP.
Die FDP tritt als Partei der Freiheit-ein großes Wort- auf, will nichts verbieten und weist deshalb mit dem Finger Richtung Grüne. Die wiederum den Liberalen vorhalten, wirklichen Klimaschutz zu verhindern, der ja mit weniger Auto- und mehr Schienenverkehr und so weiter beginnt, mit der Zukunft oder dem Ende für den Verbrenner, Elektroautos oder von Wasserstoff angetriebene Fahrzeuge. Eine Diskussion, die sich fortsetzt in der Frage, wie unsere Städte den Verkehr bewältigen, wie sie sauberer werden, ob Autos aus ihnen verbannt werden, der Nahverkehr verstärkt wird. Wie wir künftig unsere Häuser beheizen. Damit habe ich noch kein Wort darüber verloren, welchen Sinn es macht, die restlichen drei Kernkraftwerke in Deutschland jetzt vom Netz zu nehmen(wie zuvor beschlossen), aber 19 Kohlekraftwerke(extrem klimaschädlich) weiter laufen zu lassen. Und das muss man dem Robert Habeck schon unter die Nase reiben, dass es weniger verständlich ist für das gemeine Volk, wenn man hier im Lande die AKWs auslaufen lässt, aber es in Ordnung findet, wenn „diese Dinger“ in der Ukraine weiter am Netz bleiben. Dort, wo Krieg herrscht, wo die Anlagen beschossen werden, es mit der Sicherheit also nicht zum Besten steht. Während die deutschen Meiler weltweit einen mehr als guten Ruf genießen. Und damit will ich auch nicht in die Debatte über das nicht vorhandene Endlager für atomaren Müll eingreifen. Das bleibt ein Armutszeugnis für die ganze Republik, da kann sich auch Herr Söder von der CSU und Herr Merz von der CDU nicht rausreden. Söder, der in seinem schönen Bayernland kein Endlager will. So ist das mit dem Florians-Prinzip: Verschon mein Haus, zünd andere an. Wie steht es eigentlich um den Ausbau der Windenergie im Freistaat Bayern, Herr Söder?
Zurück zum Thema Koalitionen. Man geht trotz allen Streits zur Zeit nicht zu weit, wenn man behauptet, zur Ampel gebe es heuer keine Alternative. Und auch wenn Friedrich Merz über die Regierung Scholz, Habeck, Lindner lästert, er muss damit leben, dass seine Union zur Zeit nicht regierungsfähig ist. Mangels Partner. Niemand würde Merz jetzt zum Kanzler wählen, auch nicht die Grünen und auch die FDP nicht. Und Merz sollte auch nicht übersehen, dass in der Regierungszeit der Union mit Merkel- es waren immerhin 16 Jahre- vieles liegengeblieben ist. Die Infrastruktur in Deutschland ist nicht erst seit dem Amtsantritt von Scholz marode und das mit dem fehlenden Atommüll-Endlager hatten wir schon erwähnt. Man könnte auf die Bundeswehr verweisen, die nicht verteidigungsfähig ist, weil sie 16 Jahre von der CDU-Kanzlerin und ihren Verteidigungsministerinnen- und ministern von der CDU und der CSU vernachlässigt wurden. Angesichts dieser Kritik werden CDU-Leute gleich aufheulen und darauf verweisen, dass Merkel ja 12 von 16 Jahren mit der SPD zusammen regiert habe. Stimmt, aber gilt das mit der Richtlinienkompetenz und das mit dem Machtwort, das man von Scholz fordert oder es bei ihm vermisst, nicht auch für eine CDU-Kanzlerin?
Bunte deutsche Demokratie
Im übrigen darf man herausstreichen, dass fast alle Parteien in Deutschland, die in den Parlamenten vertreten sind, miteinander koalieren können- mit der Ausnahme der rechtsextremen AfD, mit der niemand regieren will. Und das ist auch gut so. Die Brandmauer muss halten, solange diese Partei von Leuten wie Höcke dominiert werden, einem AfD-Mann, den man laut Gerichtsbeschluss einen Faschisten nennen darf. Aber all die anderen können miteinander reden und regieren, was sie ja auch tun, wenn man in die Länder blickt. In Berlin wird wohl die bisherige Rot-Rot-Grüne Koalition von einer Großen Koalition abgelöst, die so groß nicht mehr ist. Da muss die Basis von CDU, dem Wahlsieger in der Hauptstadt, und der SPD(hier gibt es viel Gegenwind) noch befragt werden. Im Freistaat Thüringen regiert mit Bodo Ramelow der einzige Linke(zusammen mit SPD und den Grünen) als Ministerpräsident, der aber aus dem Westen stammt(in Osterholz-Scharmbeck geboren). In NRW regiert die CDU unter Hendrik Wüst mit den Grünen, in Rheinland-Pfalz hat Malu Dreyer ein Bündnis ihrer SPD mit den Grünen und der FDP, in Hessen haben die Grünen der CDU zur Mehrheit verholfen, in Baden-Württemberg sitzt mit Winfried Kretschmann der einzige Grüne in der Staatskanzlei, die früher eine Domäne der Union war, die aber seit Jahr und Tag Juniorpartner der Grünen ist. In Niedersachsen haben SPD und Grüne das Bündnis von SPD und CDU abgelöst, Hamburg wird wie so oft von einem Sozialdemokraten geführt, Erster Bürgermeister ist Peter Tschentscher, der löste Olaf Scholz vor Jahren ab. Die SPD bildet zusammen mit den Grünen eine Koalition. In Schleswig-Holstein regiert Schwarz-Grün mit dem ehrgeizigen Daniel Günther, der als möglicher Kanzlerkandidat der Union für die Wahl 2025 gilt wie auch der NRW-Chef Hendrik Wüst. In Düsseldorf wie in Kiel flog die FDP aus der Landesregierung.
im Saarland gibt es seit der letzten Landtagswahl die einzige SPD-Alleinregierung mit Anke Rehlinger als Chefin, aber das Saarland ist ein kleiner Fleck in Deutschland mit weniger Einwohnern(990000) als Köln, vergleichbar etwa mit dem kleineren Bremen(569000), wo der SPD-Politiker Andreas Bovenschulte gestützt wird von einer Mehrheit aus SPD, den Grünen und der Linken. In Bayern gibt es eine konservative Koalition aus CSU und Freien Wählern, die Zeit der absoluten CSU-Mehrheiten scheint vorbei zu sein. In Mecklenburg-Vorpommern sitzen SPD und die Linke am Regierungstisch von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig(SPD). Der Freistaat Sachsen hat mit Michael Kretschmer einen CDU-Mann als Regierungschef, der sich auf ein Bündnis von CDU, den Grünen und der SPD stützt, im benachbarten Sachsen-Anhalt regiert der Ministerpräsident Rainer Haselhoff(CDU) mit der SPD und der FDP zusammen, in Brandenburg regiert traditionell die SPD unter Dietmar Woidke, seiner Koalition gehören ferner die CDU und die Grünen an.
Es sieht politisch in der Republik sehr bunt aus, Rote mit Schwarzen und Grünen und Gelben und Roten in welcher Reihenfolge auch immer. So geht Demokratie. Was auch bedeutet, dass gestritten wird in Koalitionen, Krach gehört zum politischen Alltag in Hamburg wie in Berlin und Stuttgart. Ohne Bündnisse, in denen sich politische Gegner(nicht Feinde) zusammenfinden, würde es keine Mehrheiten und keine Regierungen geben. Was auch heißt, dass es neben Gegensätzlichem grundsätzliche Gemeinsamkeiten geben muss, ohne die man sich nicht einigen könnte. So stabil das bundesdeutsche politische System wirkt, so unsicher ist die Zukunft für manche Parteien- vor allem, wenn man das neue Wahlrecht zugrunde legt, gegen das die Union und die Linke vors Verfassungsgericht ziehen werden. Die FDP musste schon oft um ihre Existenz kämpfen, weil die Fünf-Prozent-Hürde im Bund wie in den Ländern immer mal wieder verfehlt wurde. Das gilt auch für die Linke, die selbst im Osten der Republik um ihre Wählerinnen und Wähler zu kämpfen hat. Aber zu kämpfen haben ja auch CDU und SPD, die weit entfernt sind von ihren früheren Wahlergebnissen, die damals oft genug bei 40 Prozent und mehr lagen, zuletzt war die CDU abgesackt auf 24,1 Prozent, während die SPD mit ihrem Kandidaten Olaf Scholz 1,6 Prozentpunkte mehr gewinnen konnte. Auch kein strahlender Sieg, aber ausreichend für diese Koalition aus SPD, den Grünen und der FDP.
Die Zukunft der Ampel
Ob die Ampel eine Zukunft hat, sei dahingestellt. Flöge die FDP aus dem Bundestag, wäre das Bündnis schon beendet. Es wäre auch beendet, wenn die Grünen bei der nächsten Wahl vor der SPD landen würden, was möglich wäre. Auch könnten die Grünen vor der Union liegen, solche Umfragen gab es schon mal. Und wer sich die heutigen Umfragen vor Augen führt, sieht die CDU unter Merz bei 30 Prozent, während die SPD zwischen 18 und 21 Prozent der Stimmen erhalten würde, wählte man jetzt. Was damit zusammenhängt, was ich oben beschrieben habe: der Kanzler führt nicht, oder besser, er erklärt seine Politik nicht, die aber so schlecht nicht ist und die sich mit Problemen herumschlagen muss wie keine Regierung vor ihm. Der Krieg Putins gegen die Ukraine stand nicht auf seiner Agenda und alle die damit zusammenhängenden Schwierigkeiten wie die Energieversorgung des Landes, die Inflation, die gestiegenen Preise für Lebensmittel, Waffenlieferungen an die bedrängte Ukraine, die um ihre Existenz kämpft. Und wer weiß, welche militärischen Ziele Putin noch ins Auge fasst.
Und doch kann man, muss man betonen, dass diese Regierung besser ist, als die Opposition sie pflichtgemäß schlecht beurteilt und schlecht über sie redet. Das gehört dazu wie der politische Schlagabtausch. Die Bundesrepublik ist trotz des Bergs von Problemen, trotz eines unheimlich anmutenden Krieges des russischen Potentaten Putin, der sich zwischen Zar und Stalin sieht, ziemlich gut über den Winter gekommen, nichts ist zusammengebrochen, die Gasspeicher sind gut gefüllt. Es bleibt noch viel zu tun, damit in der nicht allzu fernen Zukunft erneuerbare Energien die fossilen Energieträger ersetzen und der Klimawandel endlich die zentrale Rolle in der Politik erfährt, die lebensnotwendig ist. Auch wenn sie streiten die Ampelfrauen und -männer, die Scholz´, Habecks und Lindners, die Ampel muss keine Liebesheirat sein, sie müssen nicht miteinander in Urlaub fahren, sondern nur das Land regieren. So regieren, dass die Menschen verstehen, was gemacht werden muss, was ihnen gelegentlich zugemutet werden muss, weil Veränderungen auch Verzicht bedeuten. Bisher kann sich die Bilanz der Koalition sehen lassen. Aber zammegezählt, wie das eine schwäbische Freundin mal formulierte, wird am Schluss. 2025.
Eine OB-Abwahl in der Provinz
Eine Schlussbemerkung, nur am Rande, aber: Das bundesweite Umfragetief der Sozialdemokraten setzt sich auch unterhalb der Bundesebene durch. So wurde vor vier Wochen in der Kreisstadt Waldkirch im Breisgau der amtierende SPD-Oberbürgermeister abgewählt. Und das, obwohl er weder große Fehler gemacht hat oder man ihm Eskapaden vorwerfen konnte. Vor 8 Jahren wurde er noch mit über 72 Prozent ins Amt gewählt. Waldkirch ist eher eine behaglich bis konservativ geprägte kleine Stadt, in der die SPD seit 40 Jahren den OB stellte und in der sich die SPD bei der letzten Bundestagswahl zur Überraschung vieler knapp vor den Grünen und der CDU als stärkste Fraktion behaupten konnte. Lange stand gar nicht fest, ob angesichts des populären Amtsinhabers überhaupt ein Gegenkandidat zur OB-Wahl antreten würde, die jetzt mit dieser dicken Überraschung endete. Notizen aus der Provinz, die das Willy-Brandt-Haus in Berlin alarmieren müssten.