Die SPD wird gern in Sonntagsreden als älteste deutsche Partei gerühmt. Am 23. Mai feiert die Sozialdemokratie ihr 160jähriges Bestehen. Darauf kann sie sich etwas einbilden, vor allem auch darauf, was sie alles geleistet hat oder was unter oder mit ihrer Verantwortung alles an gesellschaftlicher Veränderung erreicht wurde. An Freiheit, an sozialer Gerechtigkeit, ein Mehr am Haben und Sagen, wie es ein früherer SPD-Kanzler mal ausgedrückt hatte, als er noch nicht so abgedreht war wie heute. Die Rede ist von Gerhard Schröder. Und wer bei aller Kritik, die dieser Mann heute zu Recht einstecken muss, weil er den Angriffskrieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht verurteilen und wohl wegen seiner längeren Freundschaft mit dem Kreml-Herrscher nicht brechen will, dessen Lebensweg verinnerlicht, der hat einen Teil sozialdemokratischer Geschichte vor Augen. Aus kleinsten Verhältnissen schaffte er den Weg übers Abitur, Jura-Studium(mit beiden Examina) zum Ministerpräsidenten von Niedersachsen, zum SPD-Bundesvorsitzenden und schließlich zum Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Aufstieg durch Bildung, ein Programm aus dem Kopf und dem Herzen von Willy Brandt. Will sagen: Jeder kann es schaffen, egal ob arm oder reich, männlich oder weiblich, die Herkunft sollte nicht mehr entscheidend sein für den möglichen Weg nach oben.
Die Geschichte, auch wenn sie vielfach vergessen wird gerade im Zusammenhang mit dem innerparteilich zu Recht verfemten Schröder, ist wichtig. Denn die SPD wird immer verbunden sein mit sozialer Gerechtigkeit, mit Solidarität, mit Respekt vor jeder Lebensleistung. Dies gilt, auch wenn mancher Zeitgenosse hier Einwände vorbringen mag, weil er andere Erfahrungen mit Sozialdemokraten vorzuweisen hat. Ich habe nicht gesagt, dass jedes SPD-Mitglied von Hause aus heilig ist. Aber das Soziale, das Streben nach Freiheit und Gleichheit, das ist eine der Wurzeln dieser Partei. Der Kampf für diese Rechte brachte in der Vergangenheit manches Risiko mit für jene, die öffentlich selbiges forderten. Die SPD überlebte Bismarck und dessen Sozialistengesetze, mit denen der sogenannte eiserne Kanzler sie verfolgen und einsperren ließ. Sie überlebte den Kaiser, die Nazis und die Kommunisten. Und Sozialdemokraten gehörten wie Christ- und Freie Demokraten zu den Gründervätern dieser Republik. Sie stellte die Kanzler Willy Brandt, Helmut Schmidt, Gerhard Schröder und Olaf Scholz. Die Leistungen in den Bundesländern lassen wir mal beiseite.
Rotes Comeback schon am Ende?
Aber der Blick in die Annalen und die Verbeugung vor den Altvätern darf den Blick auf die heutige Realität nicht verbergen. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ schreibt in seiner neuesten Ausgabe: „Wichtige Landesverbände der Partei sind zerrüttet, Hoffnungsträgerinnen entzaubert- und die Kritik an der Bundesspitze wird lauter. Könnte das rote Comeback schon wieder beendet sein?“ Man darf darauf hinweisen, dass die SPD im letzten Jahr schwere Wahlschlappen in NRW und in Schleswig-Holstein erlitten hat, dagegen stehen Wahlsiege im kleinen Saarland und in Niedersachsen. Im mitgliederstärksten Landesverband NRW steht sie nach dem Rücktritt des blassen Thomas Kutschaty ohne Führung da. In Berlin wackelt Franziska Giffey bedenklich, in Hessen sieht es im Moment nicht danach aus, dass die Bundesinnenministerin Nancy Faeser es schaffen könnte, die CDU in der Staatskanzlei in Wiesbaden abzulösen. Von Bayern gar nicht zu reden, da ist die SPD schon froh, wenn sie ein zweistelliges Ergebnis bei der Landtagswahl im Oktober einfahren würde.
Vor allem die Lage der Partei an Rhein und Ruhr dürfte Scholz und Genossen in Berlin Sorge bereiten. CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst regiert nahezu geräuschlos. Wofür er steht, weiß zwar kaum einer, aber er lässt nichts Negatives an sich heran, sondern ist eher auf schöne Bilder aus, die ihn zeigen zusammen mit Bayerns „neuem König“ Markus Söder, natürlich bei Kaiserwetter unter weißblauem Himmel. Für die schwierigen Fragen hat er seinen Innenminister Herbert Reul, der in der inneren Sicherheit keine Zweifel aufkommen lässt. Reul ist präsent wie einst Otto Schily, der der Opposition kaum Angriffsflächen im Bereich von Kriminalität bot, weil er wusste, dass diese Fragen vor allem Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu schaffen machen. Die Reichen können sich selber helfen.
Auch die SPD-Vorherrschaft in Rheinland-Pfalz, die immerhin seit 30 Jahren andauert, muss nicht von Dauer sein. Die Hochwasser-Katastrophe an der Ahr mit vielen Toten hat das Krisen-Management der Regierung um Malu Dreyer in Zweifel gezogen. Ihr Innenminister musste den Hut nehmen. Der Glanz der Regierungschefin, die gerade ihre zehnjährige Regentschaft feiern konnte, hat Kratzer bekommen. Ähnlich die Lage in Brandenburg, wo Amtsinhaber Dietmar Woidke zu kämpfen hat, wie überhaupt die Lage der SPD in den neuen Ländern sehr zu wünschen übriglässt. Einen Lichtblick wird der Kanzler erkennen: in Bremen regiert die SPD und sie kann bei der nächsten Wahl durchaus mit ihrer Wiederwahl rechnen. Dank des beliebten Andreas „Bovi“ Bovenschulte, Bürgermeister der Hansestadt. In Umfragen rangiert seine SPD vor der CDU. Die SPD hat zum Kampf um Bremen geblasen, Scholz, die Bundesminister, der Parteichefs, alle werden an die Weser fahren, um für Bovenschulte und die SPD zu werben.
Kritik an Scholz
Der überraschende Wahlsieg von Scholz 2021 hat sich bisher nicht ausgezahlt für die SPD. Mitglieder verlassen die Partei, in bundesweiten Umfragen liegt die SPD mit rund 19 vh klar hinter der CDU mit rund 30 vh. Erschreckend das starke Abschneiden der rechtsextremen AfD. Die Grünen können sich irgendwie behaupten mit einem Mittelwert von 16 vh, was aber reichen würde für eine Schwarz-Grüne Regierung, die Lieblingsallianz vieler Leitmedien in Berlin, wenn es für Grün-Schwarz nicht reicht. Scholz wird kritisiert, weil er angeblich nicht führe, nicht auf den Tisch haue. Dabei führt er schon, aber eben anders, leiser, zurückhaltender, überlegter, seine Gegner nennen das eher zögerlich, zaudernd. Strittig bleibt die Kommunikation des Kanzlers, weil er zu selten und wenig erklärt, was er will, was nötig ist, was sein muss in Zeiten von Krieg und Klimawandel. Er nimmt die Menschen nicht mit.
Es sei besser, Wut zu kanalisieren, statt Sorgen zu ignorieren und die Kosten der Energiewende zu scheuen, schreibt Carolin Emcke in der SZ am Wochenende. Die SPD sollte sich endlich als sozialdemokratische Partei verstehen. „Mal angenommen, sie wollte tatsächlich einen programmatischen Kern bewahren(oder entwickeln), die Re-Formulierung der sozialen Frage und der Idee der Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert, aus dem heraus sie ihre politischen Überlegungen speist“. Auch wenn das bespöttelt und bezweifelt würde, lohnte sich doch, diesen Anspruch Ernst zu nehmen und sich zu fragen, was es bedeuten könnte, mit sozialdemokratischen Begriffen die Aufgaben der Gegenwart anzugehen. So Emcke weiter. Denn die Zeit ist günstig, sie könnte kaum günstiger sein für eine Partei, in deren Kern Gleichheit und Solidarität verankert sind, die miteinander verschachtelten Krisen Pandemie, Ungleichheit, Krieg und Klimakatastrophe zu bedenken. Es gibt nicht hier die Klimakrise und dort die soziale Frage der Gleichheit und Gerechtigkeit, ökologische Transformation hier und dort die Frage nach der Würde der Arbeit. Die soziale Frage, so Emcke, „wird hier nicht herangetragen an die Klimakrise, sondern sie ist immanent. Es wäre an den Sozialdemokraten, den erfundenen Widerspruch von Klimaschutz und sozialen Fragen aufzulösen“. Das Thema ist der SPD ja nicht fremd, man darf an Willy Brandts Satz „vom blauen Himmel über der Ruhr “ erinnern zu einer Zeit, da das Ruhrgebiet noch ziemlich verschmutzt und verpestet war.
Erwärmung des Planeten
Im Bonner „Generalanzeiger“ las ich ein Interview mit der Kinder- und Jugendbuchautorin Cornelia Funke. Auf die Frage, wo die Welt jetzt am dringendsten Verbesserung bräuchte, antwortet Funke, die eine Weile in Hamburg als Sozialarbeiterin tätig war: „Die Klima-Katastrophe kennt kein „Das können wir ja morgen machen“. Also steht das Engagement gegen die Erwärmung unseres Planeten an erster Stelle“. Funke weist daraufhin, „wie sehr soziale Ungerechtigkeit mit der Plünderung der Welt Hand in Hand geht. Der reichste Kontinent dieser Welt, Afrika, ist nicht ohne Grund der Ärmste. Und die, die wenig haben, sind nicht die, die zu viel verbrauchen und verschmutzen. Ich fürchte, dass wir Erfolg und Reichtum zu unseren Werten gemacht haben statt Verantwortlichkeit und Mitgefühl.“
Der Kanzler hat gerade Kenia besucht, mitten in Afrika. Es ging wie immer bei solchen Reisen um Geschäfte, Beziehungen, aber auch um Respekt zu zollen vor einem Land, das wie andere Länder Afrikas über Jahrzehnte ausgebeutet, ja geplündert wurden auch von Europäern. Die Deutschen waren da nicht unbeteiligt. Verständnis für Afrika zu zeigen, nicht nur aus der Sicht eines Geschäftsreisenden, sondern auf Augenhöhe, Mitgefühl, aber bitte nicht aus der Warte des großen weißen Mannes, auch Hilfen anzubieten, wo sie erbeten werden.
Soziale Gerechtigkeit hat Scholz schon in seiner Regierungserklärung betont, es wird Zeit, sie und den Klimaschutz zum General-Thema zu machen. Am Ende stelle sich weniger die Frage, so Carolin Emcke in der SZ, „ob der Klimakanzler grün genug ist, sondern ob der Kanzler sozialdemokratisch genug ist“.