Sie hatte hoch gepokert, die britische Premierministerin Theresa May, und kräftig verloren. Sie hatte geglaubt, mit Neuwahlen die Position ihrer Konservativen Partei derartig stärken zu können, dass sie mit breiter Brust in die Brexit-Verhandlungen mit Brüssel ziehen werde. Einen harten, im Grunde knallharten Brexit wollte sie, um das übrige Europa zu schocken- zum Vorteil Großbritanniens. Nun steht die Dame, auch wenn die Königin ihr den Auftrag erteilte, eine Regierung zu bilden, ziemlich belämmert da. May Day, lautete der Titel der „Süddeutschen Zeitung“ vom Wochenende, gerade so, als müsste die angeschlagene Regierungschefin den internationalen Notruf im Funksprechverkehr betätigen, weil ihr Schiff in rauher See den Kompass verloren hat. Hochmut kommt vor dem Fall, könnte man Ms. May zurufen. Von wegen eiserne Lady! Sie wackelt und die Rücktrittsforderungen aus den Reihen der Konkurrenz kamen ja nicht von ungefähr. Was nun? könnte, ja muss man Europa fragen, was tun mit Großbritannien? Harter Brexit, fairer Brexit? Gibt es möglicherweise in nicht allzuferner Zukunft ein Return Londons zur EU, den Rücktritt vom Brexit?
Zugegeben, Europa, oder besser die Europäische Union, war nie das Lieblingsprojekt der Briten, oder sollte man besser der Engländer sagen? Andererseits halte ich nichts von Lieblingsprojekten und nichts von Liebesheiraten in der Politik. Es sind immer Zweckbündnisse, die eingegangen werden und die das Ziel haben, dass alle am Projekt beteiligten Partner davon profitieren. Sie waren immer eigenwillig und sind es heute noch, die Briten, weil sie eben Briten sind, auf ihrer Insel leben, ihre stolze Metropole London haben, früher ein Weltreich ihr Reich nannten. Früher war das mit dem Weltreich. Es mag sein, dass der eine oder andere davon träumt. Er sollte das lassen, die Zeiten sind vorbei und kommen nicht wieder. Auch die Sache mit der „splendid Isolation“ ist eine Idee von früher, heute spielt das keine Rolle mehr.
Opportunismus von Theresa May
Dass es immer Stimmen auf der Insel gab, die gegen Europa waren, ist bekannt und auch in Ordnung. Aber dass die Premierministerin Theresa May ins Referendum zog als Pro-Europäerin und nach dem Votum plötzlich eine Brexit-Befürworterin war, kann ich nur mit Opportunismus beschreiben. Nur weil die Nein-Sager die Abstimmung gegen die EU gewannen, schlug sich die Regierungschefin auf deren Seite. Warum hat sie das Nein der Mehrheit nicht akzeptiert und ihren Hut genommen? Das wäre konsequent gewesen. Aber so ist das mit der Macht: Wer sie hat, gibt sie ungern wieder aus den Händen. Und freiwillig schon gar nicht. Da klebt man lieber am Stuhl.
Ich hätte mir noch gewünscht, sie hätte die Lügen-Kampagne der Brexit-Freunde als Lüge offengelegt. Ms. May hätte nach dem Brexit klarmachen müssen, dass die behaupteten EU-Kosten Großbritanniens eine Erfindung der Brexit-Macher waren, dass an den Zahlen nichts stimmt. Ob es dann eine Neuauflage des Votums gegeben hätte, wage ich nicht zu behaupten. Aber es wäre ehrlich gewesen.
Theresa May, das muss man in dieser Deutlichkeit sagen, hat in der ganzen Angelegenheit wahrlich keine gute Figur(Pardon!) gemacht. Und jetzt steht sie da wie eine Verliererin, sie muss versuchen, eine Minderheitsregierung zustande zu bekommen. Ob ein solches Konstrukt von langer Dauer sein kann, ob eine solche geschwächte Regierung die Brexit-Verhandlungen führen kann, steht dahin.
Europa sollte sich nicht zu laut freuen
Das übrige Europa ist gut beraten, die Niederlage von Ms. May nicht als seinen Sieg zu feiern. Wir sollen verhindern, dass nicht noch mehr Scherben zu Bruch gehen. Europa ist zu wichtig für uns alle. Das Votum von Großbritannien sollte zu denken geben. Das Vereinigte Königreich ist tief gespalten, was sich damals beim Brexit-Votum schon gezeigt hatte. Und es gibt viel Misstrauen zwischen London und Brüssel, die potentiellen Verhandlungs- und Gesprächspartner sollten verbal abrüsten, vielleicht ein wenig innehalten. Und die Politiker im übrigen Europa sollten sich den Spott über die Niederlage von Ms. May sparen. Der Staub in Großbritannien müsse sich erst legen, wird EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker zitiert. Der im übrigen ankündigt, was wie ein Versprechen klingt, dass es zwischen Großbritannien und der EU einen fairen Deal geben werde.
Ein erfahrener Mann wie Juncker weiß um die Notwendigkeit der weiteren Zusammenarbeit zwischen Brüssel und London, zum Beispiel in der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Der muss gemeinsam geführt werden, jedes Land in der EU könnte schon bald vom IS oder anderen Terror-Organisationen bedroht werden. Wir brauchen eine gemeinsame Flüchtlingspolitik, die wirklich gemeinsam überlegt und angepackt werden. Die Völkergemeinschaft Europa steht für ein soziales Bündnis, für Kooperation und nicht für Konfrontation, für Integration und nicht für Rassismus, für ein Zusammenleben von Völkern unabhängig von ihrer Religion, Hautfarbe, ihrer sozialen Herkunft. Europa steht für einen Ausgleich zwischen Arm und Reich.
Weniger deutsche Dominanz wäre mehr
Auch wenn Deutschland die stärkste Macht in dieser EU ist, sollte die Dominanz Berlins nicht so spürbar werden, wie es in der jüngeren Vergangenheit der Fall war. Wir brauchen einen sozialen Ausgleich in Europa. Die Menschen in allen Teilen des alten Kontinents müssen das Gefühl bekommen, dass es sich lohnt, für dieses Europa zu kämpfen, ein Europa, in dem es aber gerechter zugehen muss, ein Europa, das für gerechtere Steuern, Löhne und Renten und bezahlbaren Wohnraum steht und das Steuerhinterziehern den Kampf ansagt.
Angela Merkel hat vor kurzem aus Enttäuschung über den USA-Präsidenten Trump gesagt, Europa müsse sich künftig auf seine eigene Kraft besinnen. Mal abgesehen davon, dass die Kanzlerin diesen Satz in einem Bierzelt in einem Münchner Vorort gesagt hat, was ihn im Grunde gleich wieder abwertet. Niemand weiß so recht, was Merkel damit gemeint hat. Denn sie hat bisher jedes inhaltliche Programm vermissen lassen. Merkel spielt wie immer nur auf Halten. Bloss keine Fehler machen, sich keine Blöße geben, die CDU-Chefin will wiedergewählt werden. Das ist ihr Programm. Und dem ordnet sie alles unter. Ob sie damit Europa nach vorn bringt, ob damit aus der Niederlage der britischen Premierministerin Theresa May am Ende ein Sieg für Europa wird, ist offen. Dabei gebe es eine Menge zu tun. Auch im eigenen Land, hier bei uns in Deutschland, regen sich nationalistische Kräfte, wird von einer Partei eine große Religion abgelehnt, gibt es Fremdenfeindlichkeit, ja Rassismus, gibt es soziale Ungerechtigkeiten, Armut, driften Teile der Gesellschaft auseinander.
Auf den Bühnen der Gipfel zu stehen, reicht für ein Foto, ein Programm ist das nicht. Europa braucht mehr.
Bildquelle: Wikimedia, By DonkeyHotey (Theresa May – Caricature), CC BY 2.0