Kaum war die Bundestagwahl im Herbst 2021 vorüber und die Ampel-Koalition mit der SPD, den Grünen und der FDP formiert, da rief der neue Bundeskanzler Olaf Scholz auch schon die Zeitenwende aus. Seit dem 24. Februar 2022 herrschte nämlich Krieg auf dem europäischen Kontinent. Russlands Präsident Putin hatte die Ukraine militärisch angegriffen. Den völkerrechtswidrigen Auftakt hatte der Kremlherrscher bereits 2014 mit dem Überfall auf die Krim gemacht. Damals waren die Reaktionen des Westens durchaus zu vernehmen, aber doch recht zurückhaltend. Anders war es dann vor einem Jahr, als die ukrainischen Regionen um Donezk und Luhansk von russischen Truppen okkupiert wurden. Denn es kam mehr und mehr zu Eskalationen, die kaum jemand ahnen konnte und die enorme Grausamkeiten dem ukrainischen Volk brachten.
Putin: Der perfekte Täuscher
Es verwunderte nicht, dass der Krieg in der Ukraine auch die deutsche Außen- und Innenpolitik bestimmte. Dabei wurden zunächst noch einige „Schlachten von gestern“ geschlagen, nämlich dass fast alle Experten hierzulande, aber auch jenseits unserer Grenzen Putin völlig falsch eingeschätzt hatten. Er wollte eben nicht das gemeinsame „Europäische Haus“, in dem die Nationen vom Atlantik bis zum Pazifik friedlich miteinander hätten leben können. Putins Trauma war und ist der Zerfall der einst so mächtigen Sowjetunion. Er wollte wieder vieles zusammenfügen, was aber gar nicht mehr zusammenpasst und auch mit Panzern nicht mehr zu vereinen sein wird.
Die starke westliche Allianz
Alle Versuche westlicher Regierungen, den russischen Angreifer mit diplomatischen Mitteln zum Frieden zu bewegen, schlugen fehl. Selbst „Pilgerfahrten“ von Scholz bis Macron an den übergroßen Marmortisch im Kreml waren ohne jede Wirkung. Die westliche Allianz nahm jedoch die Herausforderung an: Die NATO und die EU rückten enger denn je zuvor zusammen, das atlantische Bündnis funktionierte hervorragend. Der Bundeskanzler wirkte indessen immer wieder zögerlich; dabei ging es ihm insbesondere darum, sich ganz eng mit dem US-Präsidenten abzustimmen und auf keinen Fall Deutschland zur Kriegspartei werden zu lassen. Beides ist ihm gelungen: Deutschland hat der Ukraine auch Waffen geliefert, mit denen russische Angriffe abgewehrt werden können. Ob das alles zu spät geschah, ob das alles zu wenig sein wird, wie es Politiker der Opposition seit langem in Bundestag, in TV-Talk-Shows oder sonstwo zum Besten geben, selbst kluge Experten tun sich mit ihrem Urteil schwer.
Offenes Rennen Richtung Kanzleramt
Manches wäre jedoch besser zu verstehen gewesen, wenn Olaf Scholz seine Strategie der Öffentlichkeit besser aufgezeigt und erklärt hätte. Manche Missverständnisse hätten gewiss vermieden werden können. Einige Dissonanzen in Reihen der Ampel-Koalitionäre wären überflüssig geworden. Und der Bundeskanzler hätte manche Verwirrung der Bürgerinnen und Bürger vermieden, wäre er einfach offensiver in seiner Informationspolitik gewesen. Demoskopische Befunde sind fast immer sehr wechselhaft, doch über 70 Prozent der Befragten bekannten schließlich, Scholz sei mit den zugesagten Leo II-Lieferungen nicht zu zögerlich gewesen. Rund 70 Prozent sind allerdings gegen die Lieferung von deutschen Kampfjets an die Ukraine.
Gut ein Jahr nach der Regierungsbildung haben sich die Ampel und auch die Opposition formiert. Die politischen Schwerpunkt-Themen waren der Krieg in der Ukraine, die Sanktionen gegen Russland, die Energieversorgung, die Stärkung und Ausrüstung unserer Bundeswehr. Dabei ergaben sich große Chancen, sich sowohl in den Debatten des Bundestages als auch außerhalb des Parlaments zu profilieren.
Olaf Scholz hat fast 70 Prozent seiner Anhänger mit seiner Politik überzeugt, Friedrich Merz nur gut 50 Prozent. 27 Prozent sind der Meinung, dass Merz der richtige Unionskandidat für das Kanzleramt wäre, 57 Prozent sehen das anders; lediglich 40 Prozent der Unionsanhänger wollen Merz als Kanzler, halten ihn für sympathisch und vertrauenswürdig. Als andere Kanzlerkandidaten der Union gelten der bayerische Ministerpräsident Söder, die Regierungschefs aus NRW, Wüst, oder aus Schleswig-Holstein, Günther. Bei allen Wählern und Wählerinnen rangiert Olaf Scholz mit 27 Prozent Zustimmung bei der Kanzlerfrage vor Friedrich Merz (23 Prozent) und deutlich vor seiner Außenministerin Baerbock (19 Prozent).
Stabile Mehrheiten: Nicht in Sicht!
Die Ampel ist schon heute eine wackelige Konstruktion. Harmonie der Koalitionspartner sieht gewiss anders aus. Nicht wenige Bruchlinien werden mehr und mehr deutlich sichtbar. Allerdings wären Alternativen zum jetzigen Ampel-Bündnis auch schwierig. Das gilt gleichermaßen für eine Koalition, die von der Union geführt werden sollte. Denn CDU und CSU würden es derzeit auf 28 bis 30 Prozent der Wählerstimmen bringen. Die FDP liegt bei aktuellen Umfragen bei 7-8 Prozent; die Grünen bringen es auf 16-18 Prozent, während die SPD bei rund 20 Prozent liegt.
Die Union (CDU und CSU) sind durchweg dabei, sich auf eine Koalition mit den Grünen einzustellen. In Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Hessen sind die schwarz-grünen Bündnisse bislang erfolgreich. Bei den in diesem Jahr stattfindenden Landtagswahlen könnte die CDU in Hessen die Koalition mit den Grünen fortsetzen. In Berlin, Bremen und Bayern ist es unwahrscheinlich bis fast ausgeschlossen, dass Schwarze und Grüne sich verbünden und gar die FDP noch in eine Jamaika-Koalition einbinden, falls anders keine Mehrheit zustande kommen sollte. Es ist wenig Bewegung im deutschen Parteienspektrum. Zweier-Koalitionen werden immer schwieriger. Der größte Störenfried ist die AfD, mit der sich jede Koalition von vorneherein ausschließt. Alle Versuche von Friedrich Merz, mit harter Rhetorik gegen die AfD-Führung zu schießen, sind bislang gescheitert.
Bildquelle: www.uni-trier.de