Zu den politischen Unwägbarkeiten des heraufziehenden Wahljahres gehört die Frage, ob die AfD zu den Gewinnern oder Verlierern zählen wird. Kann 2017 zu einem „ Jahr der Ängste“ werden, wie allgemein gemutmaßt wird, oder werden die Rechtspopulisten zu einem Faktor der Verunsicherung, der auch ihren Wahlerfolgen Grenzen setzt? Gehören die Petrys, Höckes oder Gaulands trotz Trumps Wahlsieg zu den Gewinnern, obwohl das politische Drehbuch des US-Präsidenten berechtigte Ängste provoziert? Könnte sogar Erdogans Anlauf zu einem türkischen Präsidialregime auf Wähler in Deutschland abschreckend wirken, die sich bisher zur AfD bekannten und jetzt plötzlich nachdenklich werden?
Gewiss sind jene Zeiten, in denen ökonomische Stabilität die politische garantierte, für deutsche Wähler lange vorbei. Was aber niemand für möglich hielt, ist fast wie durch ein kleines Wunder eingetreten: In diesen dramatischen Zeiten, wo sich die meisten Deutschen nach Konsens und Sicherheit sehnen, ist die Routine des lähmenden Konsensbetriebes aufgebrochen worden. Plötzlich weht der Wind des Wechsels und Wandel bahnt sich an. Zu dieser Veränderung gehört, dass ausgerechnet die halb tot gesagte und immer wieder gebeutelte Sozialdemokratie die Schlüsselrolle bei jenen Paradigmenwechsel übernahm, der die sorgfältig austarierte Parteienlandschaft durcheinander brachte: Weil der umsichtige und verantwortlich handelnde SPD-Vorsitzende Siegmar Gabriel Verzicht übte und mit Martin Schulz einen Hoffnungsträger nominierte, der sich bereits als glaubwürdige Alternative zur Kanzlerin profiliert, müssen nicht nur Linke , Grüne und die FDP , sondern auch siegestrunkene AfD-Populisten um Landtags-und Bundestagsmandate bangen.
Wo liegen die Gründe? Der aggressive Rechtspopulismus habe dazu geführt, dass viele Menschen glauben, es sei an der Zeit, Haltung und Bekennermut zu zeigen, heißt es bei der SPD. Tatsächlich beweisen fast alle Meinungsumfragen, dass man die AfD-Rechtsextremisten auf Abstand halten kann, sobald der Konsensbetrieb mit glaubwürdigen Alternativen durchkreuzt wird.
Auf Klappstühlen und mit geschmierten Stullen
Vieles hat sich verändert und alle Prognosen darüber, wie sich die AfD tatsächlich entwickelt, hören sich am Beginn dieses Wahljahres fragwürdig an. Das ändert nichts daran, dass der Aufstieg dieser Partei die Kräfteverhältnisse in Deutschland bereits nachhaltig verändert hat. Aber was will die AfD ? Auf diese Frage gibt ein Buch Auskunft, dass kürzlich im Münchener Pantheon Verlag erschienen ist. Der Autor Justus Bender zählt zu jener selten gewordenen Gruppe von Journalisten, die noch der Wahrheit auf den Grund gehen und sich mit Allerweltprosa nicht abfinden wollen. Der Journalist verbrachte für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, die FAZ, viele Stunden auf Parteitagen der AfD. Manchmal war er der einzige Beobachter, der sich unter die Delegierten mischte. „Da waren keine Übertragungswagen oder Tribünen für Live-schalten nach Berlin. Es gab Klappstühle und geschmierte Stullen. Mitglieder brachten selbstgebackene Kuchen mit“.
Bender hatte das Notizbuch immer dabei. Das hat sich gelohnt. Denn es ist die solide Recherche des Autors, die bei dieser Darstellung über eine schillernde Partei, die auch immer noch Bewegung sein will, ganz besonders fasziniert. Es gibt keine sperrigen Fußnoten oder altkluge Verweise auf Sekundäres; alles wird in knapper Reportersprache beschrieben, wobei der Autor seine Kenntnisse in Philosophie nicht verbergen kann. Sein Kapitel über „ platonische Triebe“, wo er die Gespräche zwischen Sokrates und Glaukon in die Gegenwart überträgt, ist ein Höhepunkt des Buches und ein Glanzstück analytischer Beschreibung.
Die „ Alternative für Deutschland“ wird aus Benders Perspektive als äußerst heterogene Partei analysiert , die sich meist aus der Kloake anonymer und rechts stehender Netzwerke füttert, das repräsentative Parteiensystem in der Regel mit Spott überzieht, sich sogar unter allgegenwärtiger Unterdrückung wähnt und nicht nur das System, sondern auch deren Repräsentanten mit einer Semi-Diktatur vergleichen möchte. Vor allem spricht die AfD gern mit zwei Zungen, zeigt bewusst ein Doppelgesicht und versucht immer wieder, die liberale Öffentlichkeit für ihre Ziele einzuspannen. Und die spielt leider immer wieder mit.
Höcke repräsentiert ein Drittel der AfD-Mitglieder
Das zeigte sich kürzlich bei einem überfüllten Pressetermin in Berlin, als man das Wahlprogramms präsentierte, das Ende April in Köln verabschiedet werden soll. „Manches, was die AfD in ihrem Wahlprogramm fordert, lädt zu einer Doppellektüre ein“, schrieb die FAZ und verwies darauf, dass sich der aktuelle Entwurf eines Wahlprogramms erheblich von einem vertraulichen Strategiepapier unterscheidet. Der Programmentwurf sage, was man vordergründig fordere. Das Strategiepapier aber, welche Hintergedanken die Funktionäre tatsächliche habe.
„Ich weise dieser Partei einen langen und entbehrungsreichen Weg. Aber es ist der einzige Weg, der zu einem vollständigen Sieg führt und dieses Land braucht einen vollständigen Sieg der AfD.“ So heißt es beispielsweise in der, durchaus an die Propaganda eines Josef Goebbels erinnernden Rhetorik eines Björn Höcke. Der thüringische Rechtsaußen repräsentiert über ein Drittel der AfD- Mitgliedschaft und ist immer wieder vom Parteiausschluss bedroht. Das wirft die Frage auf, welcher Flügel die AfD tatsächlich repräsentiert. Das bleibt bis auf weiteres ihr Geheimnis. Diese Partei will offenbar in weiten Teilen keine politische Mäßigung, lebt häufig vom Dagegen-Sein und verachtet Kompromisse. Träumt man sogar von einem anderen Staat? Dessen Konturen sind nicht ganz klar; aber Umrisse sind in der dauernden Reminiszenz an Friedrich den Großen, Franz von Papen oder Charles de Gaulle in Frankreich zu erkennen- fast alle ihre Vordenker, so wird aus den hier aufgezeigten Gesprächen mit AfD-Ratgebern klar, wollen doch weg vom westlichen Liberalismus und erwärmen sich an Gedanken von einer ethnisch geeinten Nation.
Jeden Regelverstoß skandalisieren
Die AfD lebte stets davon, das Undenkbare zum Programm zu machen und möglichst jeden Regelverstoß zu skandalisieren. Das schaffte Aufmerksamkeit und brachte neue Anhänger. Auch mit ihrer Migrationspolitik bürgerte sie sich jetzt wieder aus dem herkömmlichen Diskurs und bog in das Niemandsland der Rechtspopulisten ein. Aber Dialektik gehört zum Erscheinungsbild dieser Partei, die ohne strategisch geplante Polarisierung nicht auskommen will. Die AfD wird in Justus Benders lesenswertem Protokoll am Beispiel ihrer Diadochenkämpfe, Widersprüche und hasserfüllten Streitereien beschrieben. Nach der Lektüre weiß man genauer, dass diese Partei keineswegs eine Freundesclique, sondern eine verbissene Kampfgemeinschaft ist, bei der es im Ringen um Macht, Pfründe und Vorteile drunter und drüber gehen kann. Deshalb könnte sie auch nach internen Grabenkämpfen irgendwann einmal wie die Piraten schmählich untergehen.
Wer aber bis dahin wissen will, was die Petrys, Höckes und Gaulands tatsächlich umtreibt, mit welchen Brachialmethoden sie nach oben kamen , um unter der Kälte eines Rechtsaußen wie Björn Höcke vielleicht einen noch extremeren Kurs einzuschlagen – der lese dieses Buch.
Justus Bender: Was will die AfD? Eine Partei verändert Deutschland. 205 Seiten , München 2017
Bildquelle: Buchtitel