Mit der kürzlich aufgedeckten Potsdamer Verschwörung zur massenhaften Vertreibung von Menschen aus Deutschland haben die Indizien, dass die AfD eine rechtsextremistische Partei ist, eine neue Qualität. Dem entsprechend nimmt auch die Debatte über ein Parteiverbot wieder Fahrt auf. Wenn es eine Aussicht auf Erfolg gibt, sollte die AfD verboten werden. Keine Frage. Aber die Aussicht scheint trübe.
Aber mit einem solchen Verbot wäre der Rechtsextremismus in Deutschland nicht besiegt. Die Menschen, die die Partei geprägt haben und die bereit sind, sie zu wählen, sind ja auch dann noch da. Und nach allem, was in letzter Zeit zu erleben ist, schreckt der Hinweis auf Verfassungsfeindlichkeit niemanden aus diesen Kreisen von der Unterstützung ab. Die Zustimmung zur AfD in Umfragen – keineswegs nur in Ostdeutschland! – spricht eine deutliche Sprache.
Daraus folgt: Es hat keinen Zweck, mit dem Motto „gegen Nazis“ gegen Nazis zu kämpfen. Die Verfassungsfeindlichkeit ist doch eigentlich ein schweres Geschütz, das da aufgefahren wird; ein anderer schwerwiegender Begriff gegen rechts ist Demokratiefeindlichkeit. Schließlich führen Demokraten noch die Segnungen der Europäischen Union an, die ja von den Rechten abgeschafft werden sollen. Nichts davon kann bislang den Zustrom zur AfD aufhalten. Es wird gemeldet, dass ein Teilnehmer an dem Potsdamer Treffens zur Vorbereitung der „Remigration“ von AfD-Führerin Weidel entlassen wurde; ein ehemaliger Bayer-Manager und
rechte Hand der Parteivorsitzenden. Es trifft keinen Armen. Es ist aber nur einer von vielen, die an diesem und offenbar auch weiteren sehr ähnlichen Treffen teilgenommen haben und „Remigration“ ist längst ein gern genutztes Schlagwort auf AfD-Parteitagen aller Ebenen.
Immerhin weiß die Parteispitze, dass man erfolgreicher wird, wenn man so tut als sei man keine völkische Nazipartei. Frau Le Pen in Frankreich hat dafür den Begriff der Entdämonisierung erfunden. Sie betrifft aber nur die äußere Hülle, nicht den grundgesetzwidrigen Kern der Partei..
Unsere Neonazis tragen inzwischen Anzug statt Glatze. An dieser Stelle sei an das viel gelobte Sachbuch „Wie Demokratien sterben“ der Politikwissenschaftler Ziblatt und Levitsky erinnert. Von der Weimarer Republik bis zu Trump wird darin beschrieben, wie Demokratien von innen zerstört wurden und werden. Zu den Erkenntnissen
gehört, dass Demokratiefeinde, wenn sie erst einmal an die Macht gekommen sind, alles das tun, was sie vorher angedroht haben. Die Autoren schreiben aber auch, dass solche Versuche zur Zerstörung der Demokratie von einer aufmerksamen Zivilgesellschaft verhindert werden können. Aktuell dürfte Polen ein solches Beispiel werden, das in einer Neuauflage des Buchs Erwähnung verdiente.
Meine Sorge und mein Vorschlag ist, die Ebene der Abstraktion zu verlassen und das scheinbar Selbstverständliche immer wieder neu zu sagen. Denn die Bedeutung von „Verfassung“, von „Demokratie“ von „Europa“ sind kein leicht verständliches Allgemeingut. Von „unseren Werten“ zu sprechen und zu meinen, dass ein jeder und eine jede wisse, was sich dahinter verbirgt, ist eine Illusion. Folglich können wahrscheinlich sehr viele Menschen, in deren Wahrnehmung unserer Lebenswirklichkeit der Boden unter den Füßen wankt nicht mit für sie leeren Worthülsen, mit ein paar Abstraktionen überzeugt werden.
Der Boden wankt tatsächlich, aber nicht nur wegen der multiplen Krisen der letzten Jahre: Energiekrise, Teuerung und Krieg in Europa und in Israel/Palästina sowie Kriegsgefahren in China, Korea auch auf dem Balkan. Und über Allem schwebt die Klimakrise. Unterrichtsausfall erleben Eltern hautnah, um einen Begriff von der Bildungskrise zu haben, brauchen sie keine PISA-Studien. Wer von einem Krankenhaus abgewiesen wird, wer keinen Handwerker für den Wasserrohrbruch findet und/oder sich gewohnte Lebensmittel nicht mehr leisten kann, der braucht keine Statistik, um die Probleme zu erkennen. Ungleiche Verteilung von Chancen, Vermögen und Einkommen kennen zu viele Menschen aus ihrem Alltag. Und oft kennen die, die noch nicht selbst jeden Euro vor jedem Einkauf zwei Mal herumdrehen müssen, jemanden, der das muss. Das bedeutet auch, dass nicht Gendern das Problem ist, sondern handfeste Ungleichheit und die daraus folgende Angst vor unverschuldetem sozialen Abstieg.
Eine Umfrage im Bekanntenkreis und unter jüngeren Menschen, mit denen ich das ehemalige Parlaments- und Regierungsviertel in Bonn besucht habe, ergab, dass es den Sekundarschulen immerhin heute gelingt, den Nationalsozialismus im Unterricht zu behandeln (zu meiner Zeit waren zwar viele Lehrer noch nicht pensioniert, die auch im Nazi-Deutschland Lehrer waren, aber umso weniger fand der NS-Staat im Unterricht statt. Da ist man also voran gekommen). Aber die Zeit danach ist offenbar eine komplette Leerstelle.
In diesem Jahr 2024 wird unsere Verfassung 75 Jahre alt. Für junge Menschen ist das eine graue Vorzeit (es gibt ja nicht einmal Farbfotos aus dieser Zeit!), deren Erfahrungen und Schlußfolgerungen schlicht unvorstellbar sind. Kein*e Schüler*in kennt Theodor Heuss oder Konrad Adenauer, von Kurt Schumacher oder Carlo Schmidt ganz zu schweigen. Woher sollen entsprechende Kenntnisse und die Wertschätzung der seither erreichten Freiheit kommen? Was überhaupt steht denn im Grundgesetz und was bedeutet das im Alltag?
Vor diesem Hintergrund ist mein Vorschlag, jeden AfD-Unterstützer zu fragen, ob er wirklich in einem Staat leben will, in dem Meinungen bestraft werden, in dem er sich nicht frei bewegen kann oder wegen seiner armenischen Urgroßmutter oder angeblich ausländischem Aussehen „remigriert“ werden soll. Man muss erklären, dass Demokratie nicht bloß aus dem Mehrheitsprinzip besteht.
Demokratie ohne Minderheitenschutz, ohne Meinungs- und Pressefreiheit ohne Diskriminierugsverbot ist keine. Demokratie ist die einzige Staatsform, deren Zweck die Freiheit des Einzelnen ist, die ihre Grenze nur an der Freiheit der anderen Individuen findet – aber nicht daran, was eine Partei für richtig oder falsch hält.
Die Frage muss lauten, wie willst Du, wie wollen Sie morgen leben? Was nützt das Grundgesetz
und die Demokratie? Welche Freiheit meinen wir?
Medien, die mit schlichter Penetranz immer noch schreiben, dass X früher anders hieß, könnten doch auch immer mal wieder schreiben, was Verfassungsfeinde eigentlich konkret abschaffen wollen. Allein die Programmatik zur Aushöhlung der Europäischen Union sind ökonomischer UND politischer Horror. Die Union wäre in kürzester Zeit ein funktionsunfähiger Papiertiger und Europa zerfiele in über 27 gegeneinander konkurrierende Nationalstaaten, die alle das Programm „Wir zuerst“ befolgen. Der Nationalismus war ideologische Hauptursache von zwei Weltkriegen – nur zu Erinnerung. Selbst der legendär ultrakonservative Bayer Franz Josef Strauß hat zu Lebzeiten
festgestellt, dass der Nationalismus das Unglück Europas gewesen sei. ( Es soll an dieser Stelle nicht unterschlagen werden, dass die europapolitischen Ideen der Sarah Wagenknecht oder des französischen Oberlinken Melenchon dieselbe Zerstörungskraft hätten).
Allerdings müssten die Taten der EU besser erklärt aber auch offener kritisiert werden, wo das nötig erscheint. Immer noch wird die EU von nationalen Politikern als Sündenbock mißbraucht, wenn sie für Entscheidungen keine Verantwortung übernehmen wollen. Dabei gibt es keine EUEntscheidungen ohne Zustimmung der Mitgliedstaaten.
Aber Aufklärung allein dürfte nicht ausreichen. Aktuell ist eine Mobilisierung aller Demokraten von Nöten. Es mögen nur noch sehr wenige mit der Arbeit von Ampelparteien und CDU/CSU zufrieden sein, von der sich selbst zerschlagenden Linke ganz zu schweigen. Wählen gehen und demokratische Parteien – auch taktisch – wählen, ist trotzdem das Gebot der Stunde.
Mittel- und langfristig muss sich grundlegendes ändern. An erster Stelle ist die Ungleichheit zu nennen. Keine der demokratischen Parteien hat ernsthafte Projekte zur Verringerung der materiellen Ungleichheit. Dabei belegen alle einschlägigen sozialwissenschaftlichen Studien, dass eine Vielzahl sozialer Probleme immer dann in Mengen entstehen, wenn die soziale Ungleichheit gewisse Größenordnungen überschreitet. Radikalisierung, Kriminalität aber auch Epidemien vermehren sich in klarer Korrelation zur Weitung der Kluft zwischen Arm und Reich. Sie zu verringern bedarf es keiner Revolution. Der „New Deal“ in USA der 1940er Jahre war kein antikapitalistisches
Programm. Der verstorbene britische Sozialforscher Anthony Atkinson hat eine Liste von 15 Maßnahmen vorgeschlagen, die alle im Rahmen europäischen Rechts umsetzbar sind. (Atkinson,Anthony: Ungleichheit: Was wir dagegen tun können).
Die Ampel-Regierung ist ein anderes, viel kleineres Problem. Die Besonderheit dieser Konstellation ist es ja, dass sie über die politischen Lager hinweg reicht. Um es vereinfacht zu beschreiben: wir waren daran gewohnt, dass es Parteien gibt, die mehr oder weniger streng dem Markt als Ordnungselement der Gesellschaft huldigen und die anderen Parteien gegenüberstehen, die wissen, dass der Markt immer wieder neue Ungleichheit und Ungerechtigkeiten schafft, gegen die staatliche – ergo: politische Maßnahmen ergriffen werden müssen. Die Ampel vereint drei Parteien, von denen die FDP eigentlich auf die andere Seite des politischen Spektrums gehört.
Daraus folgt tagesaktuell leider nicht, dass Brücken über weltanschauliche Gräben geschlagen werden, sondern
mit der programmatisch verunsicherten, schwachen CDU/CSU-Opposition insgesamt der Eindruck von Alternativlosigkeit im Parteiensystem. Wenn der AfD die Stimmen abgenommen werden sollen, die sie nicht wegen ihres Rechtsextremismus bekommt, dann müssen die Unterschiede zwischen den demokratischen Parteien wieder sichtbarer werden. Da aber alles nicht so leicht getan wie gesagt ist: die Versuche der FDP, sich in der Regierung als Opposition gegen die anderen Koalitionspartner zu profilieren, ist dazu nicht geeignet sondern verschafft der Bundesregierung lediglich das niederschmetternde Image, das sie gerade hat.
Leider ist dieses Problem des Parteiensystems dann nur sehr schwer zu lösen, wenn zum Jahresende in mehreren Landtagen Allparteienkoalitionen nötig werden um die AfD von der Macht ferner zu halten. Vielleicht wären in solchen Fällen Minderheitsregierungen sinnvoller. Denn die Befürchtung ist, dass mangelnde Unterscheidbarkeit der demokratischen Parteien die Attraktivität der AfD erhöht (ohne dass diese – wie bisher – großartig etwas tun muss). Der Umkehrschluss ist die Hoffnung, dass klar konkurrierende Lösungen und offene Debatten über Kompromiss, Vertagung oder Mehrheitsentscheidung den Demokraten die Attraktivität zurückbringt, die ihnen eigentlich zukommt.
Wenn schon die Rede ist von Hoffnung: die wirklich großen Demonstrationen gegen Rechts in Leipzig, Essen, Köln und anderswo lassen hoffen. 30%-Zustimmungswerte für die Rechtsextremen in einigen Ländern sind zu viel, es sind aber immer noch 70% dagegen. Und ein Hindenburg und von Papen, die damals, vor gut 90 Jahren, der nationalsozialistischen Minderheit per Koalitionsbildung zu Macht verholfen haben, sind (noch) nicht in Sicht.
Was tun gegen rechts also: deutlich machen, dass Demokrat*innen die Mehrheit sind, wie bei den Demos der letzten Tage gegen rechts, wählen gehen und taktisch wählen, damit viele demokratische Parteien in die Landtage kommen und eine davon stärker ist als die Rechten, Grundgesetz und Demokratie konkret erklären,
die EU entdämonisieren und den manches Ärgernis deutlich überwiegenden Nutzen erläutern,
die Unterscheidbarkeit der demokratischen Parteien deutlich machen – das geht auch ohne Krawall
in der Koalition, wie frühere FDP-Generationen es vorgemacht haben und eventuell über Minderheitsregierungen mit Duldungsverträgen nachdenken, falls tatsächlich Rechtsextreme in einem Parlament größte Fraktion werden.
PS: Ob die Thüringer, die dieses Jahr wählen, wissen, dass sie die erste Landesregierung mit Nazibeteiligung (gewählt) hatten, und dass bei ihnen ein Herr Frick als Innenminister Thüringens schon mal geübt hat, was er später im ganzen „Reich“ anrichtete? Und ob sie Höcke nicht wählen würden, wenn sie es wüssten? Zu hoffen ist es.
PPS: in der Wochenzeitung „Die Zeit“ werden auch einige Grundgesetzänderungen vorgeschlagen, wie z.B. die Verankerung der 2/3-Mehrheit für die Wahl von Verfassungsrichtern, um das Kapern des Verfassungsgerichts durch Verfassungsfeinde zu erschweren. Dem schließe ich mich an