Wenn man den Kanzler Olaf Scholz so beobachtet, kann man den Eindruck gewinnen, dass er selbst die schlechtesten Nachrichten mit stoischer Ruhe und Gelassenheit aufnimmt. Zumindest lässt er sich nichts anmerken, wenn er eine Meldung wie diese liest, dass die SPD gerade noch auf 16 Prozent der Stimmen käme nach einer neuen Umfrage, würde jetzt gewählt. Zehn Prozentpunkte weniger als bei der Bundestagswahl vor zwei Jahren, viel weniger als die CDU, die knapp unter 30 Prozent liegt, und auch hinter der rechtsradikalen AfD, die auf 22 Prozent kommt. Ja, die SPD fällt damit auf einen Wert zurück, den sie über Monate vor der Bundestagswahl 2021 hatte und dann plötzlich die Kurve kriegte. Generalsekretär Kevin Kühnert erinnerte daran und betonte, er „werde um den richtigen Weg streiten“ und setzt dabei auf „ursozialdemokratische Themen“. Und wenn es gut sei für die richtige Sache, dürfe es auch mal knirschen, so Kühnert. Ursozialdemokratisch, das ist das Soziale, das Menschliche, das Tolerante. Gerade nahm OIaf Scholz an einer Feier im Bonner Museum König teil. Da hatte sich die Spitze des Staates mit Scholz, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und dem Ex-Bundespräsidenten Joachim Gauck versammelt, um die Arbeit des Parlamentarischen Rates zu würdigen, eines Gremiums aus 65 Personen, das am 1. September 1948 die Beratungen aufgenommen hatte, die dann im Mai 1949 zur Verkündung des Grundgesetzes führten. Gauck erinnerte daran, dass der 1. September im Nachbarland Polen mit einem anderen Problem verbunden wäre, dem Überfall von Nazi-Deutschland auf Polen und dem Beginn des 2. Weltkrieges. Der Zivilisationsbruch 75 Jahre ist das nun her. Damals war Deutschland geteilt in West und Ost und bestand aus vier Zonen. Vieles war zerstört durch den Krieg und die Menschen waren zusätzlich moralisch beladen durch die Nazi-Zeit, den Zivilisationsbruch, die Verbrechen der Braunen. Das Land der Dichter und Denker war zum Land der Henker geworden, sechs Millionen Juden waren ermordet worden, in den Konzentrationslagern hatten sich abscheuliche Gräuel abgespielt, der von Deutschland verursachte Krieg hatte über 55 Millionen Tote gefordert, die Nazis und die Wehrmacht hatten im Osten auch gegen die Sowjetunion einen Vernichtungskrieg unvorstellbaren Ausmaßes geführt. Wer hätte damals geglaubt, dass dieses kaputte Land einen solchen Aufstieg nehmen würde? Dass es einen solchen Wohlstand geben würde in der Bundesrepublik? Dass das Grundgesetz, dieses Provisorium, zu einem Aushängeschild des neuen Deutschlands in der Welt würde? Haben das alle vergessen, die heute jammern über fehlendes Wachstum? Wird ignoriert, dass es dem Großteil der Bürgerinnen und Bürger gut bis sehr gut geht? Damals, 1948, mussten viele Menschen ums Überleben kämpfen, man ging nicht einfach zum Italiener, weil es den nicht gab und die meisten auch nicht das Geld dafür gehabt hätten. Wer weiß noch, wie bescheiden man damals gewohnt hatte? Mit Plumsklo hinterm Haus. Kohleofen statt Zentralheizung. Wer einen Garten hatte, war froh, denn dann hatte er auch Kartoffeln und jede Menge Gemüse, Möhren, Erbsen, Bohnen, Wirsing. Tabak wurde angebaut. Fleisch war eine Mangelware und teuer obendrein. Der Sonntagsbraten war nicht so üppig, ein Bier am Abend oder gar zwei, das war Luxus. Jammern auf hohem Niveau Und heute? Wird gejammert auf hohem Niveau, fürchtet man Einbußen und wendet sich ab von der Ampel-Regierung, die die Mehrheit (der abgegebenen Stimmen) damals, vor knapp zwei Jahren, gewählt hatte. Olaf Scholz verliert an Zustimmung, SPD, Grüne und FDP könnten heute rechnerisch keine Regierung mehr bilden. Ja, es gibt Armut im reichen Deutschland, es gibt vier Millionen Alleinerziehende, zumeist Frauen. Der Mittelstand ist zumeist wohlhabend, bitte nicht aufheulen. Dagegen müssen viele Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit ihrem Verdienten schon umsichtig umgehen, um über die Runden zu kommen. Man darf die Frage nach dem Kanzler stellen, was er die ganze Zeit so macht. Die einfachste Antwort könnte lauten: „Regieren natürlich.“ Aber das wäre zu billig. Denn die Leute wollen natürlich wissen, was des Kanzlers Regierung und Olaf Scholzens Partei, die SPD, dagegen oder dafür tut, damit es auch den kleinen Leuten besser gehe. Dass sie sich einen Urlaub leisten können, eine gute Wohnung. Dass sie auch mal ein paar Euro auf der Seite liegen haben, um sich nebenbei etwas zu leisten. Mal zum Essen zu gehen, ins Kino. Wer das als natürlich abtut, hat keine Ahnung, wie es in manchen Stadtteilen, in Arbeitervierteln und Brennpunkten zugeht. Es fehlt ihm an Empathie Wer seit Monaten sich Gedanken darüber macht, was Olaf Scholz sich unter Regieren vorstellt, der kommt schon mal ins Grübeln. Der Kanzler müsste sich draußen, vor Ort, in den Vierteln, wo das Geld knapp ist, mal sehen lassen. Den Menschen zeigen, dass er sich kümmert, sorgt. Dass er auch für sie Politik macht. Mancher vermisst bei Scholz die Empathie, empfindet seine Auftritte als ziemlich kalt, ja als arrogant. Ich weiß, dass Scholz und Sigmar Gabriel nicht gerade Freunde sind, dennoch muss nicht alles falsch gewesen sein, was der frühere SPD-Chef, Ministerpräsident, Bundesminister, seiner Partei mal empfohlen hatte: Dorthin zu gehen, wo es brennt und stinkt, wo es wehtut. Ja, Herr Bundeskanzler, da draußen werden sie vermisst. Die würden sie gern mal sehen, mit ihnen reden, Ihnen ihre Sorgen mitteilen. Übrigens staubt da die AfD die meisten Stimmen ab, nicht weil sie ein Konzept hätte, den Menschen etwas bieten könnten, nein, es reicht, auf die Politik der sogenannten Altparteien zu schimpfen und diese als unsozial und ungerecht zu bezeichnen. Und ich höre aus Berlin und anderswo, dass sich auch SPD-Abgeordneten so ihre Gedanken machen. Denn der Eindruck ist der, dass im Grunde nur die FDP und Christian Lindner sowie Robert Habeck und die Grünen regieren. Und die SPD kaum vorkommt. Nun muss das mit Lindner und Habeck nicht das Schlechteste sein, weil man ja weiß, dass die beiden nicht miteinander können und sich regelmäßig in die Haare kriegen. Aber: Streit in der Ampel, so lautet inzwischen das Regierungsprogramm. Und das geht den Leuten auf die Nerven. Die Nabelschau ist kein Regieren, das dient nur der eigenen Selbstdarstellung, Wie Olaf Scholz gestrickt ist, wird er darüber maximal leicht schmunzeln. Nur sollte er nicht der Hoffnung unterliegen, dass diese ewige Käbbelei zwischen Liberalen und Grünen nur den Grünen und der FDP schadet. Und dass dieser Lindner die Ampel dominiert, wird einem normalen Sozialdemokraten überhaupt nicht recht sein. Und wenn man nach der Kabinettsklausur von Meseberg gehofft hatte, nun werde alles besser, harmonischer, die Ampel werde als Mannschaft Politik machen, gemeinsam und nicht gegeneinander, sieht sich jetzt schon wieder getäuscht. Die Liberalen haben ein Ende sozialpolitischer Regierungspolitik gefordert und ganz nebenbei noch die Wiederbelebung der Atomenergie. Man fasst sich an den Kopf. Ich bin ein Gegner des Auf-den-Tisch-Hauens. Aber Scholz darf sich den Dirigentenstock auch nicht aus der Hand nehmen lassen. SPD kriegt viel von dem Ärger ab Die SPD kriegt von dem Ärger der Wählerinnen und Wähler über den Streit zwischen Grünen und FDP jede Menge ab. Weil sie den Chef, den Kanzler stellt, und der kommt draußen kaum noch vor. Kommunizieren ist eh nicht seine Sache, eher lächelt er in sich hinein, verdruckst wirkt er dabei, Fragen von Journalisten werden schon mal nicht beantwortet. Merkwürdig, dass die CDU unter einem nun wirklich nicht überzeugenden Friedrich Merz so weit enteilt ist. Würde morgen gewählt, hätte dieser Merz den ersten Zugriff aufs Kanzleramt. Ich will mir gar nicht ausmalen, was im nächsten Jahr in den neuen Ländern passieren kann. In Sachsen hat die AfD gerade in einer neuesten Umfrage einen Zustimmungswert von 35 Prozent erhalten. Die SPD kommt dort auf etwa 9 Prozent, die CDU auf 29. Arbeitsminister Heil als Vorbild Ein Pfund ist Arbeits-und Sozialminister Hubertus Heil. Wie der gerade im ZDF-Interview die soziale Politik der SPD vertrat, als Achse der ältesten deutschen Partei, das war große Klasse. Heil ist präsent, erklärt Sozialpolitik und wehrt sich gegen Kürzungen bei Sozialleistungen: die Löhne und Gehälter müssten steigen, nicht die sozialen Leistungen des Staates an die Bedürftigen sinken, damit es Abstände gebe zwischen Arbeit und Wohlfahrt. Aber dass es Heil allein wippen kann zum großen Wumms, um es mit Scholz zu sagen, ist fraglich. Da müsste der Kanzler selber seinen Versprechen öffentlich mehr folgen als bisher. Hatte er nicht zugesagt, dass es mehr soziale Gerechtigkeit geben werde unter einem Kanzler Scholz? Anerkannt ist auch noch Verteidigungsminister Boris Pistorius, weil der tut, was seines Amtes ist, der ist bei den Soldaten, redet mit ihnen, hört ihnen zu, und sie verstehen ihn. Der könnte Scholz noch gefährlich werden, wenn die Unzufriedenheit mit der Politik des SPD-Kanzlers anhält. Es ist nahezu Halbzeit in Berlin, die erste Hälfte der Legislaturperiode vorbei. Zieht man Bilanz, so fällt sie nicht gut aus. Für Olaf Scholz. Sein Ansehen ist im Keller, aus heutiger Sicht ist an eine Wiederwahl nicht zu denken. Ich teile weiter sein behutsames Vorgehen im Ukrainekrieg, bei Waffenlieferungen, finde es richtig, dass er deutlich macht, dass Waffenlieferungen nicht mal eben so über den Schreibtisch gehen. Da tut er sich schwer, zu Recht. Der Krieg darf nicht ausgeweitet werden, immer mal wieder muss mit Russlands Kriegsherr Putin geredet werden, ob es eine neue Lage gibt, vielleicht ein Zeitfenster für einen Waffenstillstand. Damit das Sterben und Zerstören aufhört. Und ich teile auch seine Aussage: Russland darf den Krieg nicht gewinnen. Er will Moskau nicht demütigen, Russland ist eine Nuklearmacht, unser Nachbar. Irgendwann muss es doch wieder friedlich zugehen in Europa, auch zum Nutzen der Ukraine. Der Westen hat viel verspielt Scholz Bemühungen um frühere Dritte-Welt-Staaten ist zu begrüßen. Seine Reise-Diplomatie ist ja darauf aus, Ländern wie Indien, Brasilien und Südafrika auf Augenhöhe zu begegnen und nicht aus der hohen Warte einstiger Kolonial-Mächte. Sie wollen mitreden, nicht mehr nur dafür da sein, uns ihre Rohstoffe zu einem möglichst niedrigen Preis zu liefern. Die Brics-Länder, zu denen bald auch Argentinien gehören, Ägypten, Saudi-Arabien, sind eine Macht und wollen als solche anerkannt werden. Auch die EU, viel kleiner als Brics und leider keine Einheit, verlangt viel Aufmerksamkeit, weil kleine Länder wie Ungarn allzu nationalistisch agieren und den Zusammenhalt gefährden. Wie auch Polen, das zwar gern die Hilfsmittel aus Brüssel kassiert, um Straßen und Brücken zu bauen, das aber auch immer wieder demokratische Grundsätze ignorieren möchte. Europa wird kämpfen müssen, um sich zu behaupten, der Westen hat seine Rolle in der Welt eingebüßt.
- September 2023. Gewählt wird in gut zwei Jahren. Es kann noch viel passieren. Aber wie will denn der Kanzler diese Wende einleiten und womit? Mit Schweigen und Lächeln? Fortschritt, ein Begriff, mit dem diese Koalition mal verbunden war, ist nicht zu erkennen. Von einem Mehr an sozialer Gerechtigkeit ist angesichts von winzigen Verbesserungen z.B. beim Mindestlohn wenig zu spüren. Stattdessen belastet das Thema Armut, Kinderarmut zunehmend die Stimmung im Lande. Die Antworten zur Kinder-Grundsicherung, wie sie die Grünen-Ministerin Lisa Paus im ZDF-Interview gab, waren eher beschämend. Als Zuschauer fühlte ich mich auf den Arm genommen. Die Veränderungen sind nur in sprachlicher Form vorhanden. Was soll das? Glaubt irgendjemand in der Ampel-Koalition, dass man damit Erfolge feiern kann, punkten beim werten Publikum? Meinen Sie wirklich in Berlin, die Leute merken das nicht?