Wir brauchen eine sozialdemokratische Partei – nach meiner Erinnerung war es Richard Rogler, der Kabarettist, der hinzufügte: „..selbst wenn sie CDU heißt.“ Man tut beinahe 70 Jahren zeitgeschichtlicher und Parteienforschung nicht Unrecht, wenn man sie so zusammenfasst, dass die CDU je nach Bedarf konservativ, marktwirtschaftlich, sozialpolitisch oder liberal sein kann. Flexibilität als Erfolgsrezept. Ganz anders die SPD, deren Flexibilität sehr viel früher an Grenzen stößt: Friedensnobelpreisträger – so fühlten sich ja die meisten Genossinnen und Genossen in den 70er und 80er Jahren – bauen keine Raketen und ziehen nicht in den Krieg! In der Wolle gefärbte Sozialpolitiker und Gerechtigkeitskämpfer schaffen keinen Niedriglohnsektor! Tun sie es doch, zerreißt es die SPD und ihre Regierungszeit geht recht bald zu Ende.
Obwohl das berühmte Godesberger Programm der SPD mit dem pathetischen Hinweis „Das ist der Widerspruch unserer Zeit..“ beginnt, gehört das Ertragen von Widersprüchen nicht zur Stärke der Sozialdemokraten. Sie können, überspitzt formuliert, an Widersprüchen leiden, von deren Existenz der robuste Christdemokrat womöglich noch gar nichts bemerkt hat. Der Stolz auf die historischen Leistungen und Geradlinigkeiten der ältesten Partei schrumpft auf diese Weise und ihre
Mobilisierungskraft schmilzt dahin.
Glaubwürdigkeit und Beharrlichkeit
Heute haben wir es mit einer SPD zu tun, die vom Nutzen ihrer Regierungsbeteiligung nicht überzeugt ist und deren Verankerung in der Gesellschaft gerissen ist. Die Anker müssen aufs neue ausgeworfen werden – und das geht nur mit Glaubwürdigkeit, Beharrlichkeit und klaren Zielen; im Wettbewerb mit den anderen Parteien kommt noch Unterscheidbarkeit dazu.
Immerhin stellte die SPD drei von insgesamt 8 Kanzlern der Bundesrepublik Deutschland und regiert den Bund insgesamt 28 Jahre. Derzeit in der insgesamt dritten Großen Koalition unter Führung der CDU, zwischenzeitlich waren es 12 sozialliberale und sieben rot-grüne Regierungsjahre. Was ist, ist also ohne Einfluss der SPD nicht zu erklären. Selbst als Opposition hat sie die Bundespolitik mitgestaltet, sei es wegen ihres Einflusses über die Länder, sei es, weil es Konsenstraditionen gab ( z. B. bei Renten- und Gesundheitspolitik), sei es, weil sie mit den Gewerkschaften einig war. Gegen die herrschenden Verhältnisse zu opponieren, hieße also auch, gegen die eigene bisherige Politik zu opponieren. Aber: warum eigentlich nicht?
Themen für die SPD gibt es genug
Prekäre Arbeitsverhältnisse, Altersarmut, große, abgehängte und desintegrierte Bevölkerungsschichten, entfesselte Kapitalmärkte, soziale Ungleichheit und geringe soziale Mobilität, „unreife“ Mitgliedsländer in der EU und eine Überlebenskrise der Europaidee und der europäischen Institutionen, neuer Nationalismus und Kriegseinsätze der Bundeswehr – Probleme, an denen sich linke Politik neu orientieren und definieren könnte, gibt es also genug. Die SPD ist allerdings nicht der Ort, an denen die Diskussion darüber stattfindet.
Es ist peinlich, dass ausgerechnet die CSU als erste mit der Feststellung an die Öffentlichkeit tritt, dass die Riesterrente gescheitert und die gesetzliche Rente unterfinanziert ist – jedenfalls wenn die Verhinderung von Altersarmut ihre Aufgabe sein soll. Es ist aber auch ein Beleg dafür, wie nahe die großen Parteien beieinander sind, denn die Bundesarbeitsministerin hatte das Gesamtsystem der
Alterssicherung bereits auf den Prüfstand befohlen.
Uwe-Karsten Heye erinnert (hier im Blog) an das nun schon über 30 Jahre alte Diktum Sir Ralf Dahrendorfs, das sozialdemokratische Zeitalter sei vorbei, denn – alle Ziele seien verwirklicht – Tod durch Erfolg gewissermaßen. Natürlich war die SPD mit ihrem Ableben nicht einverstanden und feierte tatsächlich 16 Jahre nach ihrem Ausscheiden aus der Bundesregierung eine beeindruckende Renaissance. Von da an ging es bergab – und so geht es immer noch. Was Dahrendorf nicht ahnen konnte, waren Großereignisse, die die Welt veränderten: die Auflösung des Ostblocks, der Siegeszug des Internet und sogenannter sozialer Netzwerke sowie die Entfesselung des Finanzkapitals. Im Ergebnis bedeuten diese Ereignisse eine weitgehende Revision der sozialdemokratischen Erfolge. Was politisch und sozial durchgesetzt schien, löst sich wieder auf.
Gleichheit vor dem Gesetz
Manchmal ist es auf der Suche nach neuer Orientierung sinnvoll, zurück zu blicken. Eine Interpretation der Verdienste der SPD und der Arbeiterbewegung lautet: Parlamentarische Demokratie, Gleichheit vor dem Gesetz, Einhegung und Begrenzung des Kapitals durch Gesetze, Betriebsräte, Mitbestimmung, der Versuch, Ungleichheit durch Umverteilung der Zuwächse und bessere Bildungspolitik zu lindern, mehr individuelle Entscheidungsfreiheit und größere Freiheit von Not – kurz: die soziale Demokratie schien erreicht und ein außenpolitisches Konzept war zusätzlich entstanden, dass Frieden, Stabilität und das Ziel nach globaler Verwirklichung der Menschenrechte in ein realistisches Verhältnis gesetzt hatte.
Es gab in Deutschland und in Westeuropa kaum noch jemanden, der „nichts zu verlieren hatte außer seinen Ketten“, was auch mit kluger sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik nach der ersten – aus heutiger Sicht recht harmlosen – Nachkriegskrise Ende der 1960er Jahre zu tun hat. Bis weit in die Ära Kohl hinein konnte man nun glauben, durch anscheinend gerechte Wohlstandsverteilung, durch
bessere Bildungschancen, sei eine leistungsorientierte soziale Mobilität erreicht, eine Art sozialer, menschenfreundlicher und demokratischer Kapitalismus.
Wir wissen heute, dass diese Bilanz allenfalls für eine sehr kurze Zeit gegolten hat. Heute sind alle diese Errungenschaften entweder schon verloren oder wankend. Allen Propaganda- und Rechentricks der Initiative Soziale Marktwirtschaft zum Trotz steht fest, dass die Vermögensungleichheit dramatische Züge annimmt, dass aus dem Versprechen gleicher Bildungschancen nichts geworden ist, dass soziale Mobilität „nach unten“ droht und „nach oben“ kaum zu haben ist.
Viel Aufwand für wenig Einkommen
Der Industrie- und Facharbeiter mit solider Ausbildung, einigermaßen sicherem Job und in Verhandlungs- statt in Befehlsempfängerposition gegenüber den Anteilseignern verschwindet und an seine Stelle tritt ein Zeitvertrags- und Minijob-Prekariat mit und ohne Hochschulabschluss, treten Freiberufler und (Schein-)Selbstständige , die für viel Aufwand wenig Einkommen erzielen, während im sogenannten Finanzsektor Vermögen angehäuft werden können, deren Größe die Vorstellungskraft selbst der Vermögenden übersteigt. An dieser Perversion orientieren sich auch die Einkommen der Vorstände im Produktionssektor und haben ein durch nichts begründbares Supervielfaches der Arbeitnehmereinkommen erreicht, dass auch nach dem Ausscheiden aus der Verantwortung für Großunternehmen wie etwa VW in beträchtlichem Umfang weitergezahlt wird. Das ist leistungsloses Einkommen!
Die Zahl der Menschen, die bis zur Intervention eines ehemaligen SPD-Vorsitzenden zur „Unterschicht“ gehörten, seitdem (wohl damit sie selbst es nicht verstehen, denn es ist begrifflich nicht logisch) „abgehängtes Prekariat“ heißen und nichts anders sind, als das marxsche „Lumpenproletariat“, steigt unaufhörlich; wir haben in Deutschland und Europa ein enormes Armutsproblem. Wohnen wird zum Luxusgut; es gibt inzwischen eine Stadtflucht der älteren Generationen, weil man sich die Mieten in den Ballungsräumen von der Rente nicht mehr leisten kann.
Wir brauchen eine kräftige Sozialpolitik
Vor diesem Hintergrund wäre die Wiederentdeckung einer kraftvollen Sozial- und Wohnungspolitik und einer wirksamen Umverteilungspolitik schon ein Schritt in eine linke Richtung. Eine verlässliche, den Lebenstandard angemessen erhaltende Sicherheit bei Krankheit, Erwerbsarbeitsunfähigkeit und im Alter sind Kern sozialer Demokratie. Dass sie in Gefahr sind, ist längst Gemeinplatz. So hatte zuletzt der Privatisierungswahn – zufällig regierte gerade ein SPDKanzler – sogar die Rente der Privatwirtschaft ausgeliefert, womit sie keineswegs sicherer wurde. Inzwischen ist gelernt, was den Kritikern von Anfang an klar war: „riestern“ lohnt sich nicht.
Die Absenkung des Rentenniveaus auf unter 50% des jeweiligen letzten Nettolohnes ist für viele Lohngruppen nicht zumutbar und Ursache für zunehmende Altersarmut. Denkbar ist, dass es im Zuge prekärer Arbeitsverhältnisse, häufig nicht versicherungspflichtiger Erwerbslebensphasen, Zeiten ganz ohne Erwerbsarbeit Altersarmut in 30 Jahren ein Massenphänomen sein wird – manche Auguren sind sich dessen sogar sicher.
Das Gesundheitswesen ist ohnehin dem Gewinnstreben der Privatwirtschaft vollkommen ausgeliefert, denn dort laufen die Gewinne auf, die die versicherten als steigende Beiträge erleben. Es gibt hier allerlei „sozialdemokratische“ Produktkontrollen und Zulassungsvoraussetzungen etwa für Medikamente, die Kostensteigerungen für die Versicherten hat das bislang nicht aufhalten können. Die Pflege – für immer mehr Menschen der Normalfall in der letzten Phase eines Lebens, dass aller bisherigen Generationen an Dauer übertrifft – ist schon jetzt für Normalrentner unbezahlbar, obwohl das Pflegepersonal höhere Löhne verdient hätte, als es erhält.
Felder für Solidaritätspolitik
Hier liegen also offene Arbeitsfelder für Solidaritätspolitik, wahrscheinlich sind tiefgreifende Systemänderungen erforderlich – wie beispielsweise die völlige Steuerfinanzierung dieser Systeme und etwa eine individuelle, vertragliche Zusicherung des individuellen Vermögens, das durch die Rentenbeiträge und Anrechnungszeiten entsteht und die soziale Ausgleichsfunktion übernimmt. Leistung muss sich wieder lohnen Solidarität entstammt als „Brüderlichkeit /fratérnité“ den Freiheitsideen der Aufklärung und der französischen Revolution; sie ist ein Begriff für gemeinsamen Kampf für gemeinsame Ziele aber auch für die Übernahme von Verantwortung für diese Ziele. Sie ist ein Begriff aus der Arbeitswelt, wo Leistungsverweigerung unsolidarisch gegenüber denjenigen ist, die sie durch Mehrarbeit ausgleichen müssen. Solidarität ist eine Zusage auf Gegenseitigkeit, aus der es in einer freiheitlichen Gesellschaft keine Ausnahmen geben sollte. Angesichts der
Leistung muss sich wieder lohnen-Für Arbeiter
Managereinkommen und der ungeheuren Kapitalakkumulation bei Spekulanten einerseits und der immer dünner gesäten sozialen Aufstiegschancen andererseits wäre ein alter Leitspruch der Liberalen geradezu ein Fanal linker Politik, nämlich: Leistung muss sich wieder lohnen! Das wäre der Slogan für eine zukünftige Gesellschaft, in der ehrliche Leistung durch gute Entlohnung, soziale Sicherheit und soziale Aufstiegsoptionen gewürdigt wird und den Unterschied ausmacht zwischen höherem oder niederem Wohlstand. Leistungsorientierung ist das demokratische, nicht an die soziale Herkunft gebundene Vehikel sozialer Mobilität, mit dem unser aktueller Neofeudalismus, wo die Lebensläufe vom Status und vom Reichtum der Eltern geprägt werden, wieder überwunden werden kann.
Liberalität und Freiheit
Freiheit ist – so Willy Brandt in seiner „Vermächtnisrede“ – „das Wichtigste“. Aber die Freiheit hat ein Kommunikationsproblem. Sie ist als Begriff sehr abstrakt und als Realität hierzulande so normal, dass erst ein Mangel an ihr auffiele. Freiheit ist vielfach bedroht und übrigens von innen, aus der Zivilgesellschaft heraus eher mehr als durch terroristische Outcasts oder fundamentalistische Religiöse. Im Zusammenhang mit den jüngsten Terroranschlägen von Paris und Brüssel war vermehrt von „unseren Werten“ die öffentliche Rede – allerdings nannte sie niemand beim Namen und niemand diskutierte die Folgen ihres Verlustes.
Manche Äußerungen deuteten an, dass es das Ausgehen ist und das Konsumieren, was wir uns von Terroristen oder Fundamentalisten nicht nehmen lassen dürften, was – mit Verlaub – ein heruntergekommener Begriff von Freiheit ist.
Sie auf die Konsumfreiheit zu reduzieren, ist genau das Verständnis, das die neuen Konzerne sich von uns wünschen. Nach linker Tradition ist Freiheit zweierlei, nämlich Freiheit von Not und Unterdrückung und Freiheit zur eigenen, individuellen Willensentscheidung, die nur zwei Grenzen kennt: die Freiheit der Anderen und die Verantwortung für „das Ganze“, die auch Teil dessen ist, was Sozialisten Solidarität nennen.
Freiheit reduziert sich nicht darauf, abends und an Wochenenden öffentlich Alkohol zu trinken und aus einem so gut wie unbegrenzten Warenangebot auswählen zu dürfen; Freiheit ist, sein Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten zu dürfen und zu können. Mit großem oder kleinem Ehrgeiz, mit Gott oder ohne Gott, allein oder Familien oder Gemeinschaften, entsprechend vorhandener Fertigkeiten und Vorlieben, kinderreich oder kinderlos, sesshaft oder ständig auf der Suche nach Neuem, mit diesen, jenen oder gar keinen Spielarten der Sexualität, mit geschützter Privatsphäre und frei von Diskriminierung, aber auch mit Geheimnissen, die man für sich behält – man könnte einfach die ersten 19 Artikel des Grundgesetzes aufzählen und dazu für Nichtjuristen erläutern, was sie konkret im Alltag bedeuten und ermöglichen. Das macht aber niemand und deshalb ist es eine Aufgabe der Linken!
Herkunft, Rasse, Lebensstil
Die extremere und die extreme Rechte gefährden die Freiheit, weil sie völkisch denken, weil sie die Menschen in das Prokrustes-Bett ihrer rechten politischen Vorstellungen zwingen wollen und ihnen individuelle Freiheiten nichts gelten. Religiöse Fundamentalisten mit ihren Kleidungs-, Fasten-, Essens- und Sexvorschriften sind den Völkischen darin gleich. Das bedeutet in dem einen Fall Verfolgung und Diskriminierung aus Gründen von Herkunft, Rasse und Lebensstil, im anderen aus Gründen von Religion und Lebensstil.
Noch gefährlicher als Fundamentalismus und Rassismus sind die Weltverbesserungsideologien aus dem Silicon Valley. Man hat eine klare Vorstellung davon, was „besser“ ist und richtet die technischen Möglichkeiten darauf aus. Wenn es besser ist, wenn alle gesund leben, dann sollen alle sich entsprechend verhalten, ihre diesbezüglichen Daten offen legen und für die „richtige“ Lebensweise belohnt, die „falsche“ bestraft werden. Viele tragen bereits freiwillig diese Armbänder und Uhren, mit denen Google oder facebook mit den einschlägigen Daten versorgt werden. Besser ist, wenn es mehr Sicherheit gibt und weniger Risiken eingegangen werden (müssen); deshalb übernehmen Maschinen die Routinefunktionen und üben sie unerbittlich aus. Besser ist, was bequemer ist, weshalb die Konzerne wissen sollten, was jeder gerne kauft, wohin jeder gerne geht oder reist, denn dann können sie jeden mit einem abgestimmten – also begrenzten – Angebot von Waren und Informationen versorgen – was ein jeder kennen und wissen soll, entscheiden jedenfalls andere.
Gegen Freiheitsberaubung
Man kann diese Aufzählung weiter verlängern – die Blackbox für Autofahrer, die darüber entscheidet, wie hoch die Versicherungsprämien sind oder das ferngesteuerte Haus, dessen – beispielsweise – Rauchmelder auch den Energieverbrauch messen und weitermelden oder die Abschaffung des Bargeldes gehören dazu – das Fazit bleibt gleich: Opfer dieser Art von Weltverbesserung ist stets die individuelle Freiheit. Gegen das scheinbare Zuckerbrot von Unterhaltung und Bequemlichkeit – Linsengerichte! – werden zuerst die Mittel an Frau und Mann gebracht und dann wird sich die Schlinge durch Boni, Strafzahlungen oder Schlimmeres zuziehen. Eine funktionierende Sozialdemokratie würde nach dem CO2-Besipiel vorgehen: Produkte, die die Atmosphäre zerstören oder krank machen, dürfen nicht mehr produziert werden. Wer mit der Zerstörung der Lebensgrundlage oder der massenhaften Erkrankung anderer Menschen sein Geld verdienen will, hat einfach ein falsches un d schließlich illegales Geschäftsmodell. Und illegal müssen auch solche Geschäftsmodelle und Produkte sein, deren Konsequenz die Freiheitsberaubung ist!
Regeln einhalten
Die deutsche Linkspartei plakatiert: „Freiheit stirbt mit Sicherheit“ – auch wenn man ahnen kann, was gemeint ist, handelt es sich um hanebüchenen Unsinn. Freiheit stirbt mit Sicherheit nicht, wenn genug Menschen ihre Freiheit nutzen! Während für viele Menschen soziale Sicherheit eine Voraussetzung für ihre Freiheit von Not und zu eigener Lebensgestaltung ist, bereitet das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und der Sicherheit vor Kriminalität und Terror erhebliche Probleme. Es wäre eine große Aufgabe einer Partei mit der Tradition der SPD, dieses Spannungsverhältnis darzustellen, auszuhalten und die notwendige Balance immer wieder herzustellen. Die Einhaltung der Regeln, die das friedliche und freiheitliche Leben in der Massengesellschaft ermöglichen sollen, muss linker Politik am herzen liegen!
Niemand versteht, wieso es keine erkennbare sozialdemokratische Innenpolitik gibt, die sich um Gewalttaten, zunehmende Wohnungseinbrüche, die Gesetzestreue von Bankern (sie schienen doch seriöser, als sie noch Bankiers genannt wurden) bis hin zur Befolgung der Straßenverkehrsordnung sorgt und aufs Neue vermittelt, welche Tugenden (z.B. Rücksichtnahme und Ehrlichkeit) und welche Ziele (z.B. Risikobegrenzung, Unfallvermeidung, Durchsetzung der Grundrechte) dahinter stecken.
Handwerkszeug der Politik
Die Aufgaben für eine Politik der „Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität“ liegen also auf der Straße und sind leicht zu benennen. Möglicherweise werden sie aber deshalb nicht angepackt, weil die Macht anders verteilt ist als noch Ende des letzten Jahrhunderts. Politik kann immer noch viel bewirken, ihr Primat über die Wirtschaft – besser über das Kapital – hat sie aber weitgehend eingebüßt. Dass Finanztransaktionen in Höchstgeschwindigkeit und oft ohne menschliches Zutun ablaufen, dass deren Kontrolle also – wenn überhaupt – nur global gelingen könnte deutet die wichtigste Schwäche der Politik an: sie ist viel häufiger als früher auf internationale Gemeinsamkeit angewiesen, und die lässt sich nicht einfach und schon gar nicht rasch herbei verhandeln. Viele Instrumente der staatlichen Gestaltung und Kontrolle haben die demokratischen Staaten freiwillig aus der Hand gegeben in dem Irrglauben, anonymes, intransparentes Marktgeschehen führe zu besseren Ergebnissen als bewußtes, begründetes politisches Handeln.
Der altbekannte Gegensatz von privatem Reichtum und öffentlicher Armut hat inzwischen monströse Ausmaße angenommen und die Ideologie der „schwarzen Null“ verschärft die so geschaffene Unfähigkeit des Staates, seine Aufgaben ordentlich zu erfüllen, zusätzlich. Das Aufgeben der Vermögenssteuer, das Ausbleiben einer Erbschaftssteuerreform und vor allem der Satz zur Kapitalertragssteuer „25% von X sind besser als 40% von Nix“ sind die Kapitulationsurkunden des Staates vor den Reichen und dem Finanzkapital. In gewisser Weise könnte man das Arbeitsverweigerung des Staates nennen.
Strategien, Konzepte, Wege
Die gemachten Fehler und die neuen Machtstrukturen – Globalisierung, Internationalisierung und Neoliberalismus/Schwächung des Staates – verlangen von linker Politik also nicht nur eine neue Vergewisserung auf ihre Ziele, sondern auch neue Konzepte, Strategien, Wege wie diese Ziele erreicht werden können.
Möglich, dass das die SPD überfordert, möglich, dass es alle überfordert. Trotzdem muss man sich an diese Aufgaben wieder heranwagen, sonst wird das nichts mehr mit linker Politik und wir torkeln auf einen Zustand hin, wo die da unten nicht mehr wollen und die da oben nicht mehr können. Aber selbst eine Revolution würde die europäischen Linksparteien derzeit wohl überfordern.