Es ist noch nicht so lange her, dass die neue SPD-Führung um Lars Klingbeil verkündete, der Wahlsieg sei die große Chance, ein sozialdemokratisches Jahrzehnt zu gestalten. Das war am 12. Dezember letzten Jahres, nur wenige Wochen nach dem überraschenden Sieg der Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl. Heute, nur ein paar Monate später, würde wohl kein führender SPD-Politiker den Mund wieder so voll nehmen. Man ist zurück auf dem Boden der Tatsachen angekommen im Willy-Brandt-Haus, in Umfragen kommt die SPD gerade noch auf 17 Prozent, weit hinter der Union(28 vh) und den Grünen(23 vh) auf Platz drei der Beliebtheitsskala. Und in wenigen Wochen wird in Niedersachsen gewählt. Wenn nach NRW und Schleswig-Holstein das dritte Bundesland an die christdemokratische Konkurrenz ginge, wäre das, gelinde gesagt, kein gutes Zeichen für Olaf Scholz, den Bundeskanzler und die von ihm regierte Ampel-Koalition. Scholz´ Führungsqualitäten würden in Zweifel gezogen und das nach nicht mal einem Jahr Regierung.
Es ist ja wahr, dass diese Bundesregierung wie keine vor ihr vor riesigen Herausforderungen steht. Die Corona-Pandemie ist nicht erledigt, vielmehr befürchten Experten einen harten Herbst und einen noch härteren Winter. Der neue Gesundheitsminister Lauterbach ist zwar vom Fach, kann aber auch keine Wunder bewirken. Dazu kommt, dass Scholz, kaum im Amt, von einem Krieg Russlands gegen die Ukraine überrascht wurde, der alle anderen Planungen in den Hintergrund stellte. Ein Krieg, den trotz aller Drohgebärden von Wladimir Putin niemand auf dem Zettel hatte. Ja, es gab Warnungen, die aber beiseite geschoben wurden, weil man hoffte, der russische Diktator werde doch nicht die Grenzen verschieben wollen und einfach das Nachbarland, mit dem man einst brüderlich verbandelt war, überfallen. Tat er aber. Und wie! Rücksichtslos. Ein Krieg, der Tote zur Folge hat, Zerstörungen ungeahnten Ausmaßes. Und niemand kann sagen, wann oder wie dieser Krieg enden wird. Das alles geschieht nur ein paar Hundert Kilometer von Berlin entfernt.
Scholz´Regierungsstil
Olaf Scholz´Regierungsstil ist eher geprägt von seiner bedächtigen Art des Handelns, die seine Anhänger als überlegt schätzen, die seine Gegner aber als zu langsam, ja langatmig kritisieren, als müde. Bewusst ist sein Ton gerade in diesen Kriegs- und Krisenzeiten so gewählt, ruhig, nichts überstürzend, was ja auch wohltuend ist, wenn man an all die anderen Hektiker denkt, die auf die Bühne drängen, schnell nach Kiew reisen wie CDU-Chef Friedrich Merz, um sich mit dem Präsidenten der Ukraine, Selenskyj vor zerstörten Häusern zu zeigen. Bilder, die einen erschrecken lassen, eine Kulisse, die der Oppositionschef aus Berlin aber bewusst gewählt hat, um zu demonstrieren: Sehr her, hier ist der Merz, der sich stellt, ins Getümmel wirft, während der Kanzler schweigt und sich zurückhält. Das wiederholt Merz dann in Polen, wo er es genießt, als Schattenkanzler gehandelt zu werden. Dabei hat er zur Sache nichts zu sagen. Er gehört der Regierung nicht an, kann als Oppositioneller nur reden, tönen.
Auffallend, wie sich die Grünen verhalten, ihre Tonlage geändert haben, sie gelten längst als Antreiber der Koalition und räumen ihre Positionen mit kühlem Pragmatismus. Sie fordern schwere Waffen, als wäre das das normalste der Welt und stehen damit neben der Union und der FDP, während sich die SPD schwertut mit diesem Thema. Scholz wird gedrängt und gedrängt, bleibt aber bei seiner zurückhaltenden Art der Politik. Die SPD ist hier mehr mit Gewissensentscheidungen beschäftigt als die Grünen, die diese Haltung beiseite geschoben haben. Das gilt auch für die Kernkraft-Debatte, die Diskussion, ob wir, weil uns ein Gaskrieg droht und damit ein Gas-und Energie-Engpass, die letzten drei Atomkraftwerke länger als beschlossen am Netz halten sollen. Das ist eine Grundsatzfrage. Es hat sich ja nichts geändert nach Fukushima, als Kanzlerin Merkel und die Union Hals-über-Kopf aus der Kernenergie ausstiegen, etwas, das sie vorher noch abgelehnt und eine Kehrtwende zur Politik von Rot-Grün unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer vollzogen hatten. Jetzt aber will davon niemand aus der CDU und CSU etwas wissen. Weg von Putin, dessen Nähe man früher gerade auch in der CSU- nicht wahr Herr Stoiber?- gesucht hatte, weil das russische Gas so billig war. Aber jetzt, da der Herbst kommt und der Winter, will niemand frieren. Also her mit der Kernkraft, das mit dem atomaren Endlager machen wir später, versprochen oder? Auch die Grünen sind dabei, ihren Kern aufzugeben, ihre Wählerinnen und Wähler scheint das noch nicht zu tangieren.
Der Fall Gerhard Schröder
Als wäre das noch nicht genug, ist die SPD mit dem Fall Gerhard Schröder beschäftigt. Sie wollte ihn eigentlich aus der Partei werfen, hat aber gerade anders entschieden, als es 17 regionale Verbände der Partei gefordert hatten. Die wollten seinen Rauswurf, weil der Altkanzler nicht bereit ist, seine Nähe und Freundschaft zum Kriegstreiber Putin aufzugeben. Was dem Mann aus Hannover in den letzten Jahren ja auch sein Konto gefüllt hat, weil er für Gazprom arbeitete. Aber ihn rausschmeißen aus der SPD, deren Parteivorsitzender er war, Bundeskanzler? Das kann sich jeder Laie ausrechnen, dass der 78jährige Schröder, Rechtsanwalt, sich nicht so leicht von der Partei trennen werde, der er seit 59 Jahren angehört. Ein Rauswurf ist juristisch ganz schwierig, die Hürden sind hoch. Nur weil er Deutschlands größter Russland-Lobbyist ist und Putin-Versteher, wird man ihn nicht feuern können. Zumal er gern einwirft, dass er ja vielleicht eines Tages noch nützlich sein könnte wegen seiner Putin-Nähe. Der Gerd als Friedens-Macher?
Viele Anwürfe steckt Schröder gewiss einfach weg. Die können mich mal. Lasst mich in Ruhe. Es ist mein Leben. Ok. Aber mit seiner Wurstigkeit wird er die Debatte, die ja mit dem Urteil des Schiedsgerichts nicht erledigt ist, auch nicht für sich entscheiden können. Denn es hängt ihm auch an, dass er so eine Art Putin-Botschafter ist, einer, der die Karten des russischen Potentaten spielt. Das ist nicht schön und das kann einem Schröder nicht egal sein. Der Mann war sieben Jahre Kanzler, hat dem US-Präsidenten Bush die Stirn geboten und Nein zum Irak-Krieg gesagt. Er war beliebt, in der SPD und der breiten Wählerschaft, weil er einer von ihnen war, bodenständig, ein Mann, der sich raufgearbeitet hat, einer, der aus ganz kleinen Verhältnissen stammt. Das Problem Schröder schadet der SPD, so oder so.
Inzwischen steht Schröder in der SPD ziemlich allein da. Alte Freunde haben ihn verlassen, zuletzt hat Lars Klingbeil, dessen Mentor Schröder lange Jahre war, einen Schlussstrich gezogen und ihm die Freundschaft aufgekündigt. Ihm war Schröders Nähe zum russischen Präsidenten und Kriegstreiber zu eng, er forderte Distanz. Schröder dazu: „Würde eine persönliche Distanzierung von Wladimir Putin wirklich irgendjemandem etwas bringen?“
Und damit nicht genug der Probleme der SPD. Nach einem Bericht der Bild-Zeitung sollen Kölner Cum-Ex-Ermittler ein Schließfach, das dem früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs zugeordnet werde, nach einem Durchsuchungsbeschluss geöffnet haben. Angeblich fanden die Ermittler darin über 214000 Euro in bar. Nun forscht man nach der Quelle, der Herkunft des Geldes. Kahrs war in der SPD ein einflussreicher Genosse, Sprecher der mächtigen Seeheimer, das ist die Traditionsgruppe der SPD. Kahrs hatte seinen Wahlkreis in Hamburg-Mitte, dort, wo auch die Warburg-Bank sitzt. Die Frage wird zu beantworten sein, ob Kahrs ein Treffen der Warburg-Banker mit Olaf Scholz organisiert hat. Scholz konnte sich bisher an nichts erinnern. Das Thema ist nicht erledigt, Scholz nicht aus dem Schneider. Eine Steuer- und Finanzaffäre kann der Bundeskanzler nun wirklich nicht gebrauchen, er wird als Kriegs- und Krisenkanzler gebraucht.
Ohne die FDP keine Mehrheit
Es war der Traum der ältesten deutschen Partei, wieder mal den Kanzler zu stellen, nachdem sie in zwölf von 16 Jahren Merkel die Junior-Rolle in der Regierung inne gehabt hatte. Jetzt regiert sie, aber leicht ist das nicht und spaßig erst recht nicht. Denn sie stellt zwar den Kanzler, verliert aber Zug um Zug an Zustimmung. Die SPD muss mit ansehen, wie die Grünen, der eine Partner in der Ampel, auf dem Weg nach vorn sind. Die FDP, der andere Mitstreiter in der Regierung Scholz, ist auf sieben Prozent gesunken, zu Recht, würde ich meinen. Die FDP ist die Partei, die ein Tempolimit ablehnt, die in der Corona-Politik auf der Bremse stand wegen irgendwelcher Freiheits-Gedanken, deren Vorsitzender ungeniert es auf Sylt krachen ließ, als er seine Hochzeit feierte. Aber ohne die Liberalen hätte Scholz keine Mehrheit.
Auf die SPD wird es ankommen in den kommenden Wochen, wenn es darum geht, die Nöte der Verbraucher zu lindern. Kanzler Scholz wird an seinem Versprechen gemessen werden, die Regierung lasse die Bürgerinnen und Bürger nicht allein. Denn die Preise für Öl, Gas und Strom sind von Otto Normalverbraucher allein nicht zu bezahlen. Es muss ein Entlastungspaket her. Es könnte ein harter Herbst und Winter werden für die SPD und ihren Kanzler, wenn Putin uns den Gashahn zudreht.
Übrigens wird am 9. Oktober in Niedersachsen gewählt.(Dort gab es mal einen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder) Die letzte mir vorliegende Umfrage von Infratest-dimap für den NDR(6. Juli 2022) sah die SPD trotz herber Verluste bei 30 Prozent vor der CDU mit 27 vh und den starken Grünen mit 22 vh. Stephan Weil war demnach mit 52 vh der beliebteste Politiker in Lande vor dem CDU-Herausforderer Bernd Althusmann mit 22 vh.
Bildquelle: NRWSPD