Gähnende Leere herrscht in den Supermarktregalen da, wo sonst die Eier stehen. Alle Kartons sind ausgeräumt, Eier aus Bodenhaltung, Freilandhaltung und auch die Bioeier sind verschwunden. Es hätte wohl eh niemand mehr zugegriffen, den Verbrauchern ist der Appetit auf Hühnereier gründlich vergangen. Fipronil, ein Gift gegen Läuse, hat selbstredend nichts im Ei verloren. Doch angesichts der Dimension, die der Skandal im Laufe der Woche angenommen hat, mag man an einen Unfall durch ein verpanschtes Reinigungsmittel nicht mehr glauben. Millionen vergiftete Eier aus Holland, Belgien und Niedersachsen sind in den Handel gelangt. Die Gesundheitsgefahren werden wie üblich heruntergespielt. Die Belastung liege unterhalb der schädlichen Grenze. Wie bitte?
Geschäfte und Profite widriger als Gesundheit
Für Insektengift in unserer Nahrung müsste eine 0,0-Grenze gelten. Allerdings wissen wir schon von Glyphosat, dass die Agrarindustrie das anders sieht und mit ihr die Europäische Kommission. Gute Geschäfte und hohe Profite sind da noch immer wichtiger als die Gesundheit der Menschen. Genau wie beim Diesel-Skandal. Doch dazu gleich, denn dies sei bei allem Abwiegeln zu den Eiern noch gesagt: Das Gift Fipronil wirkt aufs Nervensystem, und wenigstens Kinder und Kleinkinder sollten laut Bundesamt für Risikobewertung die giftigen Eier nicht essen und, falls sie es bereits getan, einem Arzt vorgestellt werden. „Alles unter Kontrolle“, sagt Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU), aber glaubwürdig ist das nicht. Zu viele Fragen sind unbeantwortet, etwa die nach den verarbeiteten Eiern, die kaum mehr zu identifizieren sind, wenn ihre Herkunft nicht nachzuweisen ist. Vollständige Entwarnung wird es wohl nie geben. Sie wäre auch von zweifelhaftem Wert. Angesichts der häufigen Skandale um die Produkte, die uns die industrielle Landwirtschaft auftischt, mag man schon nicht mehr von „Lebens“mitteln sprechen.
Wie beim Diesel-Gipfel: Das Wohl der Daimlers
Der Verbraucherschutz hat trotz der gesetzlichen Stärkung immer noch einen schweren Stand. Wirtschaftliche Interessen haben Vorrang, wie der „Diesel-Gipfel“ bezeugt hat. Die Automobilkonzerne kommen mit Nachbesserungen an der Software davon. Da hat auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) nicht mehr herausgeholt. Ihr Kabinettskollege Alexander Dobrindt (CSU) hatte wohl ohnehin stärker das Wohl von Daimler, VW und Co. im Blick als die Gesundheit der Bevölkerung. Es ist ein Jammer, dass die Politik den Elefanten der deutschen Industrie auch die größten Sauereien durchgehen lässt. Längst hätten die Manager umsteuern und auf Elektromobilität setzen müssen, doch die Ignoranz und die Beharrungskräfte sind gleichermaßen groß. Statt sich rechtzeitig gut für den Markt der Zukunft aufzustellen, drücken sie ihre Dreckschleudern mit allen Mitteln durch, gegen die gesetzlichen Bestimmungen und gegen die ökonomische Vernunft, denn volkswirtschaftlich betrachtet, kommen uns die Folgekosten für Gesundheit, Umwelt, Klima und auch der Imageschaden für die dereinst stolzen Marken teuer zu stehen.
Geltende Grenzwerte und Fahrverbote
Die Menschen, die an der miefigen Großstadtluft leiden, und die Kunden, die auf die Redlichkeit der Hersteller vertraut haben, sind die Geprellten. Die Software-Updates bringen nicht viel und vor allem Aufwand. Gehen die Schadstoffe in der Atemluft nicht spürbar herunter, drohen Fahrverbote für Dieselfahrzeuge. Das ist nicht Schikane, sondern gesetzlicher Anspruch. Die Bürger haben ein Anrecht darauf, dass geltende Grenzwerte eingehalten werden. So hat es als erstes das Verwaltungsgericht Düsseldorf entschieden und der Landeshauptstadt aufgetragen. Richter sind da rigoroser als die Politiker, die sich im Dieselgate zunehmend mit dem Eindruck von Filz und Kumpanei hervortun. Das Lügen und Betrügen zu Lasten der Bürger und der Erde muss ein Ende haben.
Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik
Über enger werdende persönliche Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik informiert diese Woche eine Studie mit dem provokanten Titel „Aufstocker im Bundestag“. Die gewerkschaftsnahe Otto-Brenner-Stiftung bilanziert darin die Nebenverdienste der Abgeordneten und warnt vor dem Vertrauensverlust, der sich aus den finanziellen Verquickungen ergibt und letztlich der Demokratie schadet. Fast jeder dritte Bundestagsabgeordnete verfügt der Studie zufolge über Nebeneinkünfte zu seinen Diäten. Der Hinzuverdienst summiere sich auf über 37 Millionen Euro, 80 Prozent davon gingen auf das Konto von CDU- und CSU-Abgeordneten. Der Autor der Studie, Sven Osterberg, spricht von dem fatalen Eindruck, die Politik sei käuflich, und die Initiative „abgeordntenwatch“ pocht erneut auf mehr Transparenz. „Alle Nebeneinkünfte müssen endlich vollständig auf den Tisch“, heißt es da und: „Lobbyjobs in der Wirtschaft müssen verboten werden.“ Sie brächten „das gesamte Parlament in Verruf“.
Wochen vor der Wahl steht der Sieger fest…
Die Wahlperiode geht dem Ende zu. Rund 50 Tage vor der Bundestagswahl kennen die Professoren Thomas Gschwend und Helmut Norpoth schon das Ergebnis. Angela Merkel bleibt Bundeskanzlerin, und sie hat die Wahl zwischen einer schwarz-gelben und einer schwarz-grünen Koalition. Für Union und FDP sagen die Politikwissenschaftler 49,8 Prozent der Zweitstimmen voraus, für Union und Grüne 49,3 – und beides werde für die absolute Mehrheit reichen. So so. Wofür dann, so fragt man sich, strampelt der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz dann noch, attackiert die Amtsinhaberin, empfiehlt sich als den, der es besser kann, der eine vorausschauende Flüchtlingspolitik in Gang setzen und dem US-Präsidenten kräftig die Leviten lesen will?
Warum dann noch teurer Wahlkampf?
Und wozu dann überhaupt noch ein teurer Wahlkampf, wenn der Ausgang doch vorhersehbar ist? Die Meinungsforscher und Demoskopen haben sich in der Vergangenheit weiß Gott nicht mit Ruhm bekleckert, haben beim Brexit ebenso wie bei mehreren Landtagswahlen, wie in Frankreich und bei der Wahl von Donald Trump daneben gelegen. Das Lesen in der Glaskugel oder im Kaffeesatz sei zuverlässiger als Umfragen vor der Wahl, spotten Kritiker. Gschwend und Norpoth geben sich freilich seriöser. Ihr „Kanzlermodell“ sei seit 15 Jahren „erfolgreich“. Soll heißen, die Vorhersage über die Kanzlerschaft sei eingetroffen, von Gerhard Schröder im Jahr 2002 bis Angela Merkel zum Dritten.
Und wie war das 2013, als die FDP rausflog?
Kleiner Schönheitsfehler: bereits 2013 hatte das Modell eine Koalition von Union und FDP vorhergesehen, nur dumm, dass die Liberalen gar nicht in den Bundestag einzogen. „Dass die FDP aus dem Bundestag fliegt, hielten nicht nur wir für sehr unwahrscheinlich“, entschuldigt Thomas Gschwend den Lappsus. Tatsächlich aber war es doch ein gravierender Irrtum, der ihm das Etikett „erfolgreich“ streitig macht. Und dann sagt er noch selbst im Konjunktiv: „Martin Schulz könnte nur Kanzler werden, wenn er wieder an seine Popularitätswerte vom Frühjahr anknüpfen könnte“ (hört, hört) – „und danach sieht es nicht aus“. Für diese Wahrnehmung muss im Moment niemand ausgeklügelte Rechenmodelle bemühen, und im Kleingedruckten erweist sich noch jede Umfrage als Blendwerk. Folglich gilt bis auf weiteres der weise Satz: Kluge Propheten warten die Ereignisse ab.
Bildquelle: Wikipedia, Erich Altenriederer, Karmelitermarkt, Wien, CC-BY SA 4.0