Hinweis der Redaktion: Wir publizieren hier eine Zuschrift einer/s besorgten Autor*in, weil wir das für eine wichtige und völlig unzureichend diskutierte Problematik halten. Der Name ist der Redaktion bekannt, wir respektieren aber die Bitte des/der Autor*in um Anonymität im jetzigen Entscheidungsstadium.
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Ich bin vor 50 Jahren in die SPD als Ausdruck demonstrativer Unterstützung für die Ost- und Friedenspolitik Willy Brandts eingetreten.
Die Wertschätzung und Unterstützung des früheren Journalisten Willy Brandt hatte für mich als Journalist auch eine zweite gleichwertige Säule: die Verteidigung der Meinungsfreiheit und ihrer im Grundgesetz ausdrücklich unter starken Schutz gestellten Spezialfälle der Presse- und Rundfunkfreiheit.
Seitdem trete ich international für eben diese, im Licht der Nazierfahrung geschmiedete deutsche Garantie ein und werbe für sie als vorbildlich.
Der jetzt bekannt gewordene Entwurf für eine Antisemitismus-Resolution greift die grundgesetzlichen Garantien und die dahinter stehenden Überzeugungen im Kern an.
Auf eine von mehreren existierenden Definitionen von Antisemitismus Dritter gestützt ist die Resolution eine Absichtserklärung, eine faktische staatliche Definition von Antisemitismus mit repressiven Mitteln gegen abweichende Auffassungen durchzusetzen.
Dabei werden über weitere, konkret nicht bestimmte Regelwerke wie „codes of conduct“ zusätzliche Ermessensspielräume geschaffen, die auch Willkür Tür und Tor öffnen können.
Die Erfahrung lehrt, dass staatliche Repressivität in erster Linie zur Selbstzensur führt, weil Betroffene die Kraft für einen Konflikt mit dem Staat nicht haben oder sich nicht zutrauen. Damit bleibt die faktische Zensur weitgehend unauffällig und wirkt als schleichende Vergiftung der bis dahin auch mit Opfern errungenen aufgeklärten Standards.
Die Feststellung des israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu, die Aufnahme von Ermittlungen gegen ihn wegen des Verdachts von Kriegsverbrechen im Zuge des Gazakriegs sei ein „antisemitisches Hassverbrechen“, sollte als Weckruf für alle wirken, die an eine verbindliche Definition von Antisemitismus als Basis berechenbaren staatlichen Handelns glauben.