Nur 20 Prozent aller Start-ups in Deutschland werden von Frauen gegründet. Männliche Gründerteams erhalten zudem im Durchschnitt neun Mal so viel Kapital wie Gründerinnen. Diese Zahlen sind bezeichnend. Das Start-up-Ökosystem ist ein Umfeld, in dem Zukunft gestaltet wird, in dem Innovationen entstehen, in dem alles für alle möglich sein sollte. Gerade hier haben wir – theoretisch – den Möglichkeitsraum, in dem wir Dinge anders machen könnten. Stattdessen greifen die gleichen Mechanismen wie in tradierten und oft wenig innovativen Wirtschaftsunternehmen: Michael fördert Michael und behauptet, er würde ja gern Michaela fördern, es fände sich nur keine. Eine solche Haltung bremst nicht nur Frauen aus, sondern die Entwicklung Deutschlands hin zu einem innovativen Wirtschaftsstandort.
Enormes Potential ungenutzt
Ein sehr anschauliches Beispiel für den Fokus auf männliche Gründer lieferte die Sendung “Die Höhle der Löwen”. In dem Format stellen Gründer:innen ihre Idee einer Investor:innen-Jury vor. Können sie überzeugen, gibt es Geld gegen Anteile am Unternehmen. Vor zwei Jahren kam es zu einem Deal, der große Wellen schlug. Ein männliches Gründerteam erhielt ein Investment für ein Start-up, das Einmalhandschuhe für Frauen zur Entsorgung ihrer Tampons als innovative Idee anpries. Die Empörung, vor allem unter Frauen und damit in der vermeintlichen Zielgruppe, war groß; das Start-up verschwand wenige Wochen nach der Sendung vom Markt.
Die Geschichte veranschaulicht die Schwächen des Systems. Obwohl das Produkt weder innovativ war noch die Bedürfnisse der Zielgruppe traf, erhielten die Gründer des Handschuh-Start-ups ein Angebot eines (männlichen) Investors. Das von zwei Frauen geführte Start-up ooia dagegen, das nachhaltige Periodenunterwäsche herstellt und sich wenige Wochen zuvor in der gleichen Sendung der Jury präsentiert hatte, bekam kein Investment. Begründung: Es gebe keinen Markt. Ooia ist mittlerweile ein etabliertes Unternehmen und erzielt Millionen-Umsätze.
Weibliche Start-ups erschließen riesige Märkte
Das Beispiel zeigt einmal mehr, dass sich grundsätzlich etwas ändern muss. Monokulturen machen den Boden, auf dem innovative Ideen gedeihen sollen, unfruchtbar. Wer eine starke, innovative Wirtschaft möchte, muss auch in frauengeführte Start-ups investieren. Es gibt einige sehr konkrete Gründe, die dafür sprechen:
- Neue Märkte: Weibliche Gründerinnen erschließen oft Märkte, die bisher vernachlässigt wurden, auch, weil sie von Männern nicht gesehen werden. Das Beispiel von ooia belegt das. Schätzungen zufolge menstruieren weltweit täglich mehr als 300 Millionen Menschen. Daraus ergibt sich ein riesiger und planbarer Absatzmarkt.
- Besseres Marktverständnis: Gerade im Bereich Female Tech und Gesundheit sind Frauen die Expert:innen. Sie kennen die Bedürfnisse der Zielgruppe und wissen, wie sie diese ansprechen müssen. Erst 2021 überschritten weltweite VC-Investitionen in diesem Sektor die Milliarden-Marke. Bis 2027 wird ein jährliches Wachstum auf diesem Markt von 16,2 Prozent prognostiziert. Würde mehr investiert, wäre ein weitaus stärkeres Wachstum möglich.Insbesondere die Finanzierung von innovativen Geschäftsmodellen stellt eine große Herausforderung zum Marktstart dar.
- Positiver Impact: 61 Prozent der Gründerinnen zählen sich zum Bereich Social Entrepreneurship, machen also neben dem wirtschaftlichen Erfolg den gesellschaftlichen und ökologischen Mehrwert zu einem wesentlichen Pfeiler ihres Geschäftsmodells. Angesichts der zahlreichen globalen Herausforderungen, vor denen wir stehen, brauchen wir mehr solcher Unternehmen mit positivem und nachhaltigem Impact.
- Relevanz für die Wirtschaft insgesamt: Investitionen in weibliche Start-ups fördern eine nachhaltige und diversifizierte Wirtschaft insgesamt. Sie tragen dazu bei, weibliche Vorbilder sichtbar zu machen und beeinflussen das Gründungsgeschehen positiv. Der Wirtschaftsstandort Deutschland braucht Innovationen in allen Bereichen – und diese entstehen am ehesten in von Vielfalt geprägten Umfeldern.
Vier erste Schritte für mehr Vielfalt
Es gibt also viele Gründe, weibliche Start-ups gezielt zu fördern. Doch wie kann das gehen? Folgende Schritte können ein Anfang sein:
- Selbstverpflichtungen, Transparenz und Frauenquote bei Investitionen: Wir brauchen mehr Frauen auf Investor:innenseite. Und mehr Männer, die sich selbst verpflichten, einen Teil ihres Investitionskapitals gezielt in Gründungen von Frauen zu investieren. Bei staatlichen Förderinstrumenten sollten 50 Prozent der Gelder in von Frauen gegründete Start-ups fließen.
- Die Rolle von Sozialunternehmertum stärken: Die positive Wirkung, die ein Unternehmen für die Gesellschaft entfaltet, muss in die Bewertung einfließen. In der Studie „The best country to be a Social Entrepreneur“ belegte Deutschland einen traurigen 21. Platz. Bei der Unterstützung durch die Politik reichte es sogar nur für Platz 34. Das muss sich dringend ändern! In Sozialunternehmen sind über 52 Prozent Frauen in der Geschäftsführung (im Gegensatz zu 20 Prozent in der Start-up-Szene insgesamt).
- Sichtbarkeit von Frauen im Unternehmen
Wenn wir Frauen im Unternehmen – insbesondere in verantwortungsvollen Positionen – sichtbar machen, etablieren wir alleine dadurch schon eine neue Selbstverständlichkeit und formen Vorbilder für die heranwachsende Generation. - Bessere Vereinbarkeit von Gründung und Familie: Ein Business und eine Familie zu gründen, dürfen sich nicht ausschließen. Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen für Familien, im Einzelnen:
- Mutterschutz für Selbständige,
- gründerinnenfreundliche Elterngeldregeln,
- bessere steuerliche Absetzbarkeit von Betreuungskosten,
- Kita-Ausbau und Qualitätssicherung,
- Förderung von flexiblen Betreuungsangeboten.
Fazit: Innovation braucht Vielfalt. Und der Wirtschaftsstandort Deutschland braucht Innovation. Wer in Female Start-ups investiert, hat gute Chancen auf einen positiven monetären Return on Invest und leistet gleichzeitig einen Beitrag für mehr Chancengleichheit und nachhaltiges Wirtschaften. Von mehr Frauen in der Gründer:innenszene und den so entstehenden smarten Produkten und Services profitieren am Ende alle: Wirtschaft, Umwelt und jede:r Einzelne.