Olaf Scholz ist ein Mann mit einem ausgeprägten Selbstverständnis und Selbstvertrauen. Dass er sich selber zutraut, das Kanzleramt erfolgreich führen zu können, liegt auf der Hand. Sonst würde der SPD-Kanzlerkandidat ja nicht kandidieren. Und dass sich der Bundesfinanzminister unter den Bewerbern für die Merkel-Nachfolge für den Besten hält, konnte man früheren Aussagen des Sozialdemokraten entnehmen. Daraus macht er keinen Hehl, aber damit macht er auch keinen Wahlkampf. Wobei Letzteres ohnehin bisher kaum zu erkennen ist. Die SPD rangiert in allen Umfragen bei rund 15 Prozent, abgeschlagen hinter der Union und den Grünen, die etwa gleichauf liegen, was eigentlich bedeuten müsste, dass das Willy-Brandt-Haus in den Kampf-Modus umschalten müsste, weil die Zeit drängt. Auch der Kandidat Scholz müsste seine vornehme Zurückhaltung aufgeben und die Box-Handschuhe anziehen. Er müsste endlich in den Ring klettern und angreifen. Aber nichts passiert. Es ist ziemlich still, wenige Monate vor der Bundestagswahl. Dabei hätte der bald 63 Jahre alt werdende Scholz einiges zu bieten.
Vor ein paar Wochen machte der SPD-Landesvorsitzende von Rheinland-Pfalz, Roger Lementz, seinem Ärger über die Tatenlosigkeit der SPD-Parteizentrale in Berlin Luft. Angesichts der Zerstrittenheit zwischen CDU und CSU in der Kanzlerkandidaten-Frage, der Stänkerei und Stichelei des CSU-Chefs Markus Söder gegenüber Armin Laschet, der fehlenden Zustimmung weiter Unions-Kreis zum eigenen Kandidaten Laschet hätte sich Lewentz eine angriffslustige SPD gewünscht, die diese Probleme aufgegriffen hätte. „Wir verpassen gerade den Wahlkampfstart“, hatte Lewentz in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung gesagt. Eine lautere Partei hätte er sich vorgestellt, einen Generalsekretär, der vorgeprescht wäre, um die „Chaostage der Union“ Tag für Tag in den Medien zu benennen. In so einer Lage sei es wie im Fußball. „Wenn Du 0:2 hinten liegst, kannst du doch nicht auf Ergebnis halten spielen“. Lewentz und die rheinland-pfälzische SPD mit Malu Dreyer hatten gezeigt, wie Wahlkampf geht, wie man eine CDU im Lande, die in Umfragen weit vor der SPD lag, einholt und sie am Wahltag abhängt.
Langweiliger geht es nicht
Von Klingbeil und Co kam zu dieser schallenden Ohrfeige nur der Hinweis, der Fahrplan stehe, die SPD habe ihren Kanzlerkandidaten und das Wahlprogramm auf den Weg gebracht. Man sei in der Kampagnenplanung. Langweiliger geht´s nicht. Darüber habe ich nur noch den Kopf geschüttelt. Die SPD spielt in der öffentlichen Wahrnehmung so gut wie keine Rolle, aber die Kampagnenplanung stehe. Da müssen sich Laschet und Baerbock fürchten. Nur, draußen, Herr Klinglbeil, hat so gut wie niemand die Sirenenklänge des Willy-Brandt-Hauses vernommen. Nichts geht los. Irgendwann im Juni soll wieder etwas vorgestellt werden. Fragt man Sozialdemokraten, dann winken sie ab. Es ist Zeit, höchste Zeit, denn in wenigen Wochen beginnen die Sommer-Ferien, sie dauern alles in allem bundesweit acht Wochen, Mitte August werden die Wahl-Unterlagen verschickt. Experten erwarten, dass rund die Hälfte der Wählerinnen und Wähler ihre Stimme per Briefwahl abgeben. Dieser Teil wird dann vom Wahlkampf-Endspurt gar nicht mehr erreicht.
Es sei viel zu ruhig angesichts der miserablen Umfrage, hatten SPD-Politiker aus Rheinland-Pfalz beklagt. Und sie hatten andere Ansprüche geltend gemacht als 13 bis 14 Prozent. Lewentz und die Damen und Herren der SPD aus Mainz, Koblenz, Andernach, Trier und Lahnstein wissen, wovon sie reden, sie gehören schließlich der in der SPD selten gewordenen Sieger-Truppe an, die eine Wahl gewonnen hat mit einer Politikerin, die bei den Leuten zu Hause ist, die man kennt und schätzt, die sich kümmert, die für ihre Ideen draußen gekämft hat, ungeachtet ihrer gesundeitlichen Probleme. Malu Dreyer leidet seit Jahren unter MS, was ein Grund dafür ist, dass sie keine bundespolitischen Ambitionen hat.
„Auf sie mit Gebrüll“, las ich in der SZ, was wohl die Botschaft der Kritik von Lewentz an Klingbeil zusammenfassend bedeuten sollte. Aber die Partei dümpelt weiter vor sich hin, kaum bemerkt von der Öffentlichkeit. Die sogenannten Berliner Leitmedien tragen die Debatten allein unter der Grünen Annalena Baerbock und dem CDU-Chef Armin Laschet aus. Scholz hält sich vornehm im Hintergrund, antwortet, wenn man ihn mal fragt, aber ansonsten steht er nicht auf der Bühne. Obwohl ihm viele das Amt zutrauen, selbst Unions-Anhänger schätzen seine Seriösität, seine Solidität, seine Erfahrung, seine Kenntnisse. Scholz hat ja auch in seiner klaren Vita fast alles gemacht, was ein Politiker leisten kann. Er war Generalsekretär der SPD, Innensenator in Hamburg, Bundesarbeitsminister, Hamburgs Erster Bürgermeister, er ist seit Jahr und Bundesfinanzminister, Vizekanzler und Kanzlerkandidat. SPD-Parteichef wurde er nicht, das verhinderte eine Kampagne des damaligen Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert zugunsten von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die aber als Doppel-Spitze der SPD vieles schuldig blieben, aber mit dazu beitrugen, dass dieser Olaf Scholz, den sie als Vorsitzenden der SPD verhindert hatten, als Kanzlerkandidat der Partei gewählt wurde.
Wo sind die Wähler-Initiativen?
Im „Bonner Generalanzeiger“ las ich gerade eine Geschiche, die brav auflistete die Zahl der angeblichen Berater des Ministers. Da wurde genannt der beamtete Staatssekretär Wolfgang Schmidt, der ihm seit 20 Jahr zuarbeitet. Aber ob er Scholz berät, zum Beispiel im Wahlkampf? Da muss er aufpassen, weil Schmidt in seiner Funktion als beamteter Staatssekretär dem Minister helfen kann und darf, nicht aber dem SPD-Kanzlerkandidaten. Ein anderer Name taucht in dem Beitrag auf: Steffen Hebestreit, früherer Hauptstadtkorrespondent, ist Sprecher von Scholz. Der Ökonom Rolf Bösinger wird genannt, ebenfalls Staatsekretär, langjähriger Weggefährte. Ein weiterer Staatssekretär ist Jörg Kukies, Ex-Manager von Goldman-Sachs. Und dann ist da noch Werner Gatzer, ein Haushälter, der schon die Amtsvorgänger Peer Steinbrück und Wolfgang Schäuble in Haushaltsfragen beriet.
Wer aber den Wahlkampf des Kandidaten Scholz leitet, ist bisher offen. Kaum jemand aus der SPD-Spitze, so ist zu hören, habe Zugang zum Hamburger, der ursprünglich aus Osnabrück stammt und der in Potsdam wohnt, wo er sich bei der Bundestagswahl gegen die Grünen-Chefin Baerbock wird behaupten müssen. Auch sie kandidiert dort.Früher gab es Wähler-Initiativen, früher, zu Zeiten von Willy Brandt, Helmut Schmidt, Gerhard Schröder. Früher gab es viele Unterstützer aus dem Künstler-Milieu. Wo sind sie geblieben, die Schriftsteller und Schauspieler? Die SPD hat immer noch rund 400000 Mitglieder(Früher, zu Peter Glotz-Zeiten waren es eine Million). Wird, kann Scholz diese Mitglieder für sich mobilisieren? Dass sie für ihn werben. Wegen Corona wird es keine großen Hallen-Kundgebungen geben, also muss geworben werden übers Internet, in den Fußgängerzonen, über Briefe, Aufrufe in den Zeitungen. Scholz hat einen bestimmten Ruf, einen guten sogar, weil man ihm zutraut, nach dem Ende der Karriere der Dauer-Kanzlerin Angela Merkel das Land durch die Corona-Krise und die Folgen zu führen. Aber wer sagt das den Menschen? Wie werden das die Leute draußen erfahren, wenn der Wahlkampf der SPD weiterhin mehr eine geheime Kommandosache bleibt, wenn der Kanzlerkandidat selber mehr im Hintergrund sich aufhält statt sich auf der Bühne zu zeigen und für seine Ziele zu werben. Es gibt Parteifreunde, die für ihn werben, kämpfen würden.
Respekt ist ein Wort seines Programms, Respekt, etwas, was manche Zeitgenossen vermissen lassen gegenüber ihren Mitmenschen, der Polizei, den Sanitätern, überhaupt den Helferinnen und Helfern in vielen Lebenslagen, Respekt vor der Arbeit eines Jeden. Gerechter soll es werden, wenn es nach Scholz geht. Politik für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehört zum Mittelpunkt seines Programms, bezahlbares Wohnen. Er muss sein Augenmerk auf Europa richten, dessen Zusammenhalt gefährdet ist. Aber das alles und anderes mehr müsste er erst noch den Millionen draußen verkünden, damit es im letzten Winkel der Republik ankommt. Leicht wird es nicht, weil die Partei im Süden des Landes noch schwächer geworden ist als selbst in ihren erfolgreichen Zeiten mit Brandt, Schmidt, Schröder. Weil die SPD selbst in NRW, wo sie 40 Jahre regiert hatte, heute in der Opposition ein Dasein fristet, das weit weg ist von alter Regierungsherrlichkeit. Und im Osten hat nahezu jede Partei, die aus dem Westen kommt, ihre Probleme, in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen. In Berlin wird die SPD kämpfen müssen, um sich zu behaupten, in Mecklenburg-Vorpommern liegt sie vorn dank ihrer populären und tatkräftigen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig. Was zeigt, es geht was, wenn man präsent ist und Politik für die Menschen macht. In Brandenburg stellt die SPD immer noch den Regierungschef.
Es wird Zeit, Olaf Scholz. Höchste Zeit.
Bildquelle: Frank Schwichtenberg, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons