Die üblichen Kritiker hielten sich bisher wohltuend zurück. Vielleicht, weil Frank-Walter Steinmeier Moskau als Bundespräsident besuchte und nicht mehr als Bundesaußenminister. Vielleicht auch, weil der deutsche Präsident lediglich einen Arbeitsbesuch in der russischen Metropole absolvierte, da geht es immer etwas sachlicher zu als bei offiziellen Staatsbesuchen. Ja, man kann die Reise Steinmeiers sogar würdigen, weil er eine gute Gelegenheit genutzt hat, um nach Russland zu reisen. Anlass des Besuchs war die Rückgabe der zu Sowjetzeiten enteigneten Kathedrale St.Peter und Paul an die Evangelisch-Lutherische Kirche Russlands. Mit dabei der Ratsvorsitzende der EKD in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm. Eine schöne Geste im Jahr des Reformations-Jubiläums, eine Geste, die die Gläubigen betrifft, die aber auch, so ist das in Moskau immer gewesen, etwas Politisches hat. Dass dabei Präsident Putin irgendwie seine Finger im Spiel hatte, davon darf man ausgehen. Und Steinmeier traf ja auch Putin zu einem längeren Gespräch. Und später gaben beide eine Pressekonferenz.
Die Beziehungen zu Russland sind seit der Annexion der Krim und wegen des Ukraine-Konfliktes ziemlich schwierig. So hatte es der Deutsche schon vor dem Besuch ausgedrückt. Aber hinzugefügt, dass das nicht immer so bleiben müsse. Der Entfremdung müsse man etwas entgegensetzen. Wie passend, dass Steinmeier in der Residenz des deutschen Botschafters noch auf einen alten Bekannten traf, der inzwischen 86 Jahre alt ist, gebeugt und am Stock geht: Michail Gorbatschow, mit dessen Namen die Deutschen vieles verbinden, nicht zuletzt den Fall der Mauer, die Einheit und dies alles ohne einen Schuß abzugeben. Und dieser Gorbatschow, dem der gesamte Westen und vor allem Deutschland vieles verdanken, weil er die Panzer damals in den Kasernen ließ, riet dem deutschen Gast, „zu reden-auch über das, was schwierig ist.“
Genschers Appell blieb unerhört
Eine noble Geste des alten Herrn, dem die einstigen Gegenspieler im Westen damals manches versprachen und nicht hielten. Der damalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher hat daran mehrfach erinnert, dass man dem Sowjetführer zugesagt habe, niemals werde die Nato auch nur einen Fußbreit auf das Terrain der UdSSR setzen, die es heute nicht mehr gibt. Aber inzwischen hat sich das westliche Verteidigungsbündnis breit gemacht, gehört Polen der Nato an, die baltischen Staaten. Vergessen? Und wenn die Ukraine Teil der Nato würde, hätten man eine gemeinsame Grenze, Russland und die Nato. Darf verwundern, wenn sich der Herr im Kremls ein wenig an die Wand gedrückt fühlte, hat wirklich jemand gemeint, er würde tatenlos zusehen, wie seine Flotte im Schwarzen Meer isoliert würde? Genscher hat noch vor seinem Tod die Leistungen Gorbatschows gewürdigt und den Westen gebeten, auf Putin zuzugehen und ihm die Hand zu reichen. Da war die Krim schon annektiert. Die Ursachen dafür sind vielfältig, auch die Europäische Union hat hier schwere Fehler gemacht, die USA und ihr damaliger Präsident Obama haben Russland als nur noch regionale Macht verspottet.
Die Annexion bleibt Unrecht, der Konflikt in der Ukraine ein dunkler Fleck auf der Weste des russischen Präsidenten, die Einmischung in den syrischen Konflikt ebenso. Und dennoch sind die Sanktionen die falsche Antwort. Was haben wir denn dadurch erreicht? Deutsche Firmen, die seit Jahren gute Geschäfte gemacht haben in Russland, klagen wie auch Firmen aus anderen westlichen Staaten über die sinnlosen Sanktionen. Was wurde erreicht, indem man Putin von der Liste der Mächtigen in aller Welt strich? Nichts.
Russland gehört zu Europa
Glaubt irgendwer im Westen, wir könnten die Lage in Russland verändern? Man muss Putin nicht lieben, aber respektieren als Präsidenten des Landes. Das heißt nicht, alles gut zu finden, was Putin und seine Leute so treiben. Aber wir sollten auch nicht den Eindruck vermitteln, als könnten wir unser politisches und wirtschaftliches System auf dieses Riesen-Land übertragen. Und: Russland gehört zu Europa. Gerade in diesen unberechenbar gewordenen Zeiten, mit einem populistischen US-PräsidentenTrump, mit Erdogan, mit dem sich ausbreitenden nationalistischen Bestrebungen in Polen, Tschechien, Ungarn, jetzt in Österreich, mit der Flüchtlingskrise, die ganz Europa betrifft, können wir Putin nicht ausschließen.
Wer über das deutsch-russische Verhältnis redet, denkt dabei sofort an die Politik der Entspannung des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt, an die Formel Wandel durch Annäherung. Der suchte den Kontakt zu Breschnew und fuhr nach Moskau. Einfach war das nicht in den 70er Jahren. Da war der Zweite Weltkrieg, den Nazi-Deutschland angezettelt hatte, gerade ein Vierteljahrhundert vorbei. 27 Millionen Russen waren in dem Krieg umgekommen, bei dem die deutsche Wehrmacht die UdSSR überfallen hatte. Es war ein Vernichtungskrieg, bestialisch gingen die deutschen Soldaten gegen Russen vor, gleich ob Männer, Frauen oder Kinder. Brandt fuhr als Kanzler und die andere Seite wusste, dass der Antifaschist Brandt nicht zu den Tätern zählte, nicht zu den Mitschuldigen oder Mitläufern.
Kurz vor Moskau kehrten die Panzer um
In den Erinnerungen von Willy Brandt(1989 in Frankfurt/Main Propyläen) schildert Brandt seine Gefühle und Empfindungen, als er am 11. August 1970 in Moskau war. „Wenige Kilometer vom Flugplatz steht ein Denkmal- es bezeichnet den Punkt, an die deutschen Panzer 1941 umkehren mussten.“ Und Brandt schildert, wie Kossygin die Autofahrt vom Flugplatz zur Residenz auf den Leninhügeln habe anhalten lassen und ihn an jene Stelle geführt,“ von der Napoleon einen letzten Blick auf das brennende Moskau geworfen hatte. Das war noch ein Stück wachgerufener Geschichte.“
Einige Jahre später, im Frühjahr 1973, gab Brandt zu Ehren seines sowjetischen Gastes Breschnew ein Abendessen auf dem Bonner Venusberg. Dort habe Helmut Schmidt, schreibt Brandt in den genannten Erinnerungen, die „zwiespältigen Gefühle eines jungen Offiziers an der Ostfront geschildert; er habe es damals nicht für möglich gehalten, dass es nach diesem schrecklichen Krieg eine Chance für ein Gespräch zwischen Deutschen und dem ersten Mann der Sowjetunion geben könne.“ Und doch ist es passiert. Helmut Kohl kann man leider nicht mehr dazu befragen, aber der Altkanzler wusste um die Bedeutung seiner guten Kontakte zu Moskau und zu Gorbatschow. Kanzler der Einheit wurde er auch und vor allem dank Gorbatschow.
Gemeinsache schwere Geschichte
Vom letzten deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck wissen wir, dass er gern nach Moskau gefahren wäre, um „das Knie zu beugen“ vor den sowjetischen Opfern deutscher Weltkriegsverbrechen. Eine Einladung hat er aber nie bekommen, weil er schon mal gegen die Mächtigen im Kreml ausgeteilt hatte. Steinmeier ist willkommen im Kreml, man kennt sich schon länger. Gleichwohl setzt er etwas auf Distanz, um sich nicht vereinnahmen zu lassen von Putin. Aber er sagt auch, dass es ihm darum gehe, Wege aus der Negativspirale von Konfrontation, Vertrauensverlust und gegenseitigen Vorwürfen zu finden.“ Die gemeinsame schwere Geschichte begegnet ihm wie allen führenden Politikern, die je in Moskau oder in St. Petersburg waren. Am Grabmal des unbekannten Soldaten legt er einen Kranz nieder und verneigt sich still vor den 27 Millionen russischen Toten des Zweiten Weltkriegs. Und dann spricht der deutsche Präsident noch lange mit Mitarbeitern der Gesellschaft „Memorial“, diese dokumentiert das Schicksal der Opfer der Stalin-Zeit ebenso wie jenes der sowjetischen Zwangsarbeiter zur Zeit des Nationalsozialismus.
Wir Deutschen sollten uns nicht erheben über Putin, wir sollten mit ihm reden, damit auch andere wieder mit ihm reden, damit er wieder dazu gehört, wozu er gehören muss. Muskelspiele gehören nicht dazu. Und wir sollten immer bedenken, was der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann mal gesagt hat: Wer mit einem Zeigefinger auf andere zeigt, muss wissen, dass die anderen Finger auf einen selbst zurückweisen.
Quellen: Süddeutsche Zeitung, FAZ, Wllly Brandt: Erinnerungen. Peter Merseburger: Willy Brandt.
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