In gut zwei Monaten wird ein neuer Bundestag gewählt. Noch nicht davon gehört? Am 24. September geht es um Ihre Stimme. Die ersten Bilder mit den Kandidaten für das nächste Parlament in Berlin hängen an den Bäumen und zieren die Straßen. Merkel oder Schulz, weiter eine große Koalition oder Jamaika, Schwarz-Gelb, Rot-Rot-Grün, Ampel. Fast möchte man die Frage im besten Stil von Robert Lemke hinterherschicken: Welches Schweinderl hätten Sie denn gern? Aber es ist ja kein Ratespiel, sondern es geht um die Bundestagswahl.
Nein, Spannung herrscht nicht vor, weder in Bonn noch in Berlin. Darüber täuschen Bilder von Versammlungen mit wem auch immer nicht hinweg. Vielmehr macht sich Langeweile breit. Ist doch eh schon gelaufen. Merkel macht es wieder, wie seit 2005. So die allgemeine Erwartung. Schaut man in Umfragen, ergibt sich das Bild: Angela Merkel und die CDU mit rund 40 Prozent, maximal 25 Prozent für die SPD und ihren Kanzlerkandidaten Martin Schulz.
Linke könne der SPD schaden
Schulz hat ein Zehn-Punkte-Programm vorgelegt: Soziale Gerechtigkeit, eine Art Investitionspflicht für den Staat, mehr Bildung, bessere Schulen, höhere Steuern für Besserverdiener. Im Grunde ist es das schon. Als Schulz im ZDF am Abend seine Antworten zu Sachthemen gegeben hat, fragt Moderator Claus Kleber den Kandidaten, mit wem er denn regieren wolle. Da ist sie wieder die Frage aller Fragen. Kleber möchte natürlich hören, dass Schulz eine rot-rot-grüne Koalition anstrebt, dass er auf die Linke zugeht, klare Kante zeigt. Doch der Kandidat sieht die Falle, weicht aus, weil er weiß, wie unbeliebt die Linke in Deutschland ist und dass eine Festlegung der SPD auf ein Bündnis mit den Linken, den alten Kommunisten könnte man hinzufügen, den Sozialdemokraten schaden kann. Also sagt Schulz, er möchte die SPD zur stärksten Partei machen und dann sehe man am Wahlabend weiter.
So verständlich das ist, so unrealistisch wirkt der Wunsch des Kandidaten. 25 zu 40 und das zwei Monate vor dem Urnengang. Wie soll diese klaffende Lücke geschlossen werden? Zumal sich keine Wahlkampfstimmung breitmacht, von Wechselstimmung nirgendwo die Rede ist, die SPD die letzten Landtagswahlen an der Saar, in Schleswig-Holstein und vor allem an Rhein und Ruhr teils krachend verloren hat. Wenn nicht mal in Nordrhein-Westfalen eine Mehrheit für die SPD zu holen ist, wo denn dann?
Medien haben Martin Schulz abgeschrieben
Viele Medien haben Schulz und die SPD im Grunde abgeschrieben. Man nehme das so Sommer-Interview der ARD mit Angela Merkel. Nichts Konkretes, keine neuen Nachrichten. Merkel sitzt da, lächelt alles weg, beantwortet Fragen, ohne etwas zu sagen. Freundlich, bestimmt, unverbindlich. Wie vor vier Jahren. Damals sagte sie oft in Richtung Wählerinnen und Wähler: Sie kennen mich. Heißt soviel wie: Bei mir sind Sie sicher, brauchen Sie keine Angst zu haben, dass sich etwas Grundlegendes ändert. Es bleibt ganz so, wie Sie es ja auch wollen. Ob das nun eine Masche Merkel ist, wie die ARD-Journalisten das der Kanzlerin vorhalten? So was lässt sie an sich abtropfen, wie sie Attacken des politischen Gegners ins Leere laufen lässt.
Sie scheint in sich zu ruhen, kennt die Zahlen, weiß um ihre Beliebtheit draußen beim Publikum. Rund 80 Prozent, es mögen ein paar weniger sein, sind doch mit ihrer Lage zufrieden. Warum dann Reformen, die ein paar Leuten helfen würden, die aber die Mehrheit verärgern könnten? Nein, keine Experimente. Wer noch vor ein paar Monaten gedacht hatte, Merkel sei amtsmüde, der sieht heute eine CDU-Politikerin, die siegesgewiss auftritt, nein, nicht arrogant. Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosenzahlen sinken. Also warum Korrekturen? Die Rentner sind zufrieden, nie ging es ihnen besser als zur Zeit. Warum dann was ändern? Klar, das wird nicht so bleiben, aber wer will schon wissen, was in 20 Jahren ist?
Merkel reagiert nicht-sie lässt Kritik laufen
Der Kandidat greift an, auch Merkel, aber so einfach ist das nicht, wenn man mit der CDU unter der Kanzlerin Angela Merkel in einer Regierung sitzt. Und selbst wenn mal ein SPD-Mann wie kürzlich Sigmar Gabriel seinem Ärger über die CDU und ihre Chefin Luft macht, dann lässt Merkel das laufen. Sie reagiert nicht, weil sie weiß, dass sie damit nur Diskussionen befeuern würde. Dabei gibt es Probleme, die sie aber nicht anspricht. Die Flüchtlingsproblematik ist nicht erledigt, aber kümmert es die Deutschen? Kaum. Obergrenze, von der CSU und ihrem Vorsitzenden Horst Seehofer lange gefordert, ist im Wahlkampf ausgeklammert, kein Thema. Brexit? Abwarten bis nach der Wahl. Der Rechtsruck in der Welt, Trump, Erdogan, Polen, Ungarn? Die fehlende Solidarität in der EU? Dass man Italien allein lässt mit Zigtausenden von Flüchtlingen? Von Finanzhilfen ist die Rede, aber dass Polen seine Grenze für Flüchtlinge aus Afrika öffnen würde?
Wenn es Probleme gibt, wie gerade geschehen beim G-20-Gipfel in Hamburg, werden die Fehler der SPD zugeschrieben. Dabei war Merkel Gastgeberin, sie wollte den Gipfel in der Hansestadt, wollte mit den Bildern der Mächtigen der Welt für sich werben. Merkel lässt über ihren Kanzleramtsminister den Hamburger Bürgermeister Scholz in Schutz nehmen, die örtliche CDU fordert weiter den Rücktritt des SPD-Regenten. Das ist Arbeitsteilung. Oder die Ehe für alle. Zunächst Empörung in der Traditions-CDU, weil Merkel die Frage indirekt auf die Agenda gesetzt hatte, in dem sie die bis dahin hoch umstrittene Frage zur Gewissensentscheidung erklärte, das Votum im Bundestag also freigab. Folge: Eine breite Mehrheit des Parlaments, darunter nicht wenige CDU-Polirtiker, stimmte für das Gesetz, Merkel dagegen. Damit war die CDU als Gesamt-Partei zufrieden und Merkel hat für den Fall einer Koalitionsverhandlung nach dem 24. September ein Problem weniger zu klären.
Was bleibt Martin Schulz? Den Kurs darf er nicht ändern, sonst wird er schnell zum Wackelkandidaten. Dass Deutschland gerechter werden müsse, wie er sagt, wird kaum jemand bestreiten. Dass mehr investiert werden muss, damit die Schulen renoviert werden können, damit sie nicht länger aussehen wie Bruchbuden. Schulen müssen Anziehungspunkte werden, die deutlich machen, dass uns Bildung viel bedeutet. Dass Europa mehr leisten muss, auch mit der Forderung hat er Recht. Hier ist gerade das mächtige Deutschland gefordert, die anderen mitzunehmen, damit über Solidarität nicht nur geredet wird, sondern dass sie praktiziert wird. Und auch wenn Merkel den Wahlkampf nicht will. Vor allem muss Martin Schulz seine zögerliche und mit sich selbst zweifelnde SPD mit seinen Ideen begeistern. Erst dann hat er eine Chance, auch andere zu begeistern. Leicht wird es nicht, aber es bleibt ihm nichts anderes übrig, als diesen Weg zu gehen.
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