Es war eine Provokation, eine erzählerische Kampfansage gegen Verleumdung in den Medien. Auch fünfzig Jahre nach Erscheinen des Pamphlets, wie Heinrich Böll seine Geschichte über „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ nannte, hat sie nichts an Aktualität über die vernichtende Kraft medialer Kampagnen eingebüßt. Heute wäre Bölls Augenmerk nicht allein auf Boulevardblätter, mehr noch auf die Hasskampagnen im Netz gerichtet.
Damals hatte er vor allem ein Blatt im Blick, er stellte der Geschichte eine Bemerkung voraus: „Personen und Handlungen dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der Bild-Zeitung ergeben haben, so sind die Ähnlichkeiten weder beabsichtigt, noch zufällig, sondern unvermeidlich.“
In wenigen Wochen hat der Kölner Schriftsteller die Geschichte der Katharina Blum geschrieben. Die biedere Haushaltsangestellte verliebt sich in einen gesuchten Bundeswehr-Deserteur, bietet ihm Unterkunft und gerät in die Fänge der Polizei. Das Boulevardblatt Die Zeitung desavouiert sie mit miesen Methoden, so dass sie am Ende keinen Ausweg mehr weiß – sie tötet den Reporter des Blatts als Akt einer Selbstbefreiung. Ein polemischer Text, der schon vor der Buchveröffentlichung ein Renner ist.
Der Spiegel druckt ihn vom 16. August 1974 als Fortsetzung ab. Filmemacher reißen sich um das Manuskript. Der Verlag Kiepenheuer &Witsch geht mit einer Startauflage von 100 000 Exemplaren auf den Markt.
Böll war sich der Brisanz des Textes bewusst. Er wollte zeigen, „wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann“. Und er wollte darlegen, „was mit dem Leben von Menschen geschehe, die in Boulevardblättern verleumdet“ werden. Er selbst, räumte er ein, könne sich als Schriftsteller wehren. Viele könnten das aber nicht.
Dennoch: auch ihn hatten die Angriffe der Konservativen und der rechten Presse, vor allem der Springer-Presse, schwer getroffen. Sie verunglimpften ihn als Unterstützer der RAF-Terroristen, gar als deren geistigen Vater. Den Literaturnobelpreisträger erboste besonders, dass seine Familie, seine Söhne von einer Verfolgung als angebliche RAF-Sympathisanten nicht ausgenommen wurden.
So verzweifelt war Böll über diese Angriffe, dass er zeitweise daran dachte, Deutschland zu verlassen. Aber er bekam auch Unterstützung. Vor allem von Willy Brandt, der selbst Hasstiraden der Konservativen erfahren und darunter gelitten hatte. Der Bundeskanzler machte dem Schriftsteller Mut und bat ihn schon 1972: „Resignieren sollten Sie nicht. Ich habe es auch nicht getan.“
Böll resignierte nicht. Seine literarische Antwort war die Abrechnung mit dem Springer-Konzern. Die „Verlorene Ehre der Katharina Blum“ wurde zu einem seiner größten Bucherfolge; die Verfilmung mit Angela Winkler in der Rolle der Katharina Blum, ein Jahr später, zu einem Kinohit. Aber der Erfolg hatte auch einen bitteren Preis. Bis zu seinem Tod 1985 wurde er von Konservativen und dem Springer-Verlag immer wieder als geistiger Urheber von Gewalt und Terror diskreditiert.
Trotzig schrieb Böll in einem Vorwort zur Neuausgabe der Erzählung 1984 über diese Angriffe: „Gebüßt habe ich, bereut nichts.“
Wie sehr er gelitten hat, das hat Günter Grass eindringlich erfahren, als er den Schriftstellerkollegen kurz vor dessen Tod in der Klinik besuchte. In einem Nachruf auf Heinrich Böll schrieb er: „Erst kurz vor dem Ende des Besuchs gab er zu erkennen, was ihn mehr kränkte als seine Herzschwäche, das Raucherbein, die Zuckerkrankheit. Es sind die bösartigen Verletzungen in den Zeitungen des Springer-Konzerns gewesen, denen er seit Jahren ausgesetzt war. Der Vernichtungswille einer Horde von Berufszynikern, die sich Journalisten nannten.“
Erstveröffentlichung in www.vorwaerts.de