Dirk Ippen, 83, ist der Öffentlichkeit kaum bekannt, im Gegensatz zu anderen umstrittenen Verlagsgrößen wie Mathias Döpfner oder Hubert Burda. Dabei zählt er zu den mächtigsten Verlegern in Deutschland und beeinflusst maßgeblich die vierte Gewalt im Staat. Wie ist dieser Widerspruch zu erklären? Wir treffen den Mann, der gerne „nach Gutsherrenart“ (Süddeutsche Zeitung) agiert, in seinem oberbayerischen Refugium mit Blick auf schneebedeckte Gipfel. Der Gutsherr, ganz leger in Strickjacke und Cordhose, serviert Kaffee in geblümtem Hutschenreuther-Porzellan.
Herr Ippen, was ist Ihr Erfolgsrezept?
Ich gehöre nicht zu den charismatischen Führungspersönlichkeiten, die durch ihre Ausstrahlung und Überlegenheit an der Spitze stehen.
Ach was. Sondern?
Es ist vielleicht wirklich so, dass mir viel geglückt ist durch eine Mischung von Festigkeit und Anpassungsfähigkeit, von Großzügigkeit und Geschäftssinn. (Legt die rechte Hand als Zeichen der Bescheidenheit an die Brust, dorthin, wo er sein Herz vermutet.)
Großzügigkeit ist ein gutes Stichwort. Sie sind jüngst – mal wieder – in die Schlagzeilen geraten, weil Sie bei einer Ihrer diversen Zeitungen – der traditionsreichen, linksliberalen „Frankfurter Rundschau“ – Tarifverhandlungen mit allen Mitteln verhindern wollen.
(Winkt ab.) Diese Flächentarifverträge, die ja in Wahrheit Kartelle von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften sind, sind in der jetzigen Form ein Unglück für die deutsche Wirtschaft. Diese Vereinheitlichung von Arbeitsbedingungen über ganze Landstriche durch Elefantenrunden von Tarifpartnern kann nicht sein. Da haben die Arbeitgeber genauso viel Schuld wie die Gewerkschaften. Deswegen wäre es dringend notwendig, dass unser Arbeitsrecht und vor allem das Tarifvertragsgesetz liberalisiert wird. Zum Glück stehen unsere kreativen Journalisten über diesen Dingen und orientieren sich an ihren Aufgaben und nicht an Paragraphen.
Da haben wir allerdings anderes gehört. Die Belegschaft hat ihre Forderung nach angemessener Bezahlung mit einem Warnstreik untermauert. Unmittelbar danach ließen Sie die Redaktion der Digitalapp dichtmachen und den neuen Klimapodcast nach nur drei Folgen einstellen – als Antwort auf die Wahrnehmung eines Grundrechts?
Jedes Unternehmen muss sich weiterentwickeln. Arbeitsabläufe und Unternehmensziele, die heute richtig sind, können bereits morgen überholt und verfehlt sein. (Trinkt schlürfend Kaffee.)
Von heute auf morgen, so schnell? Das klingt nicht gerade nach unternehmerischer Weitsicht.
Nie habe ich Angst davor gehabt, durch zu rasches Handeln Fehlentscheidungen zu treffen. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass die meisten Fehler ohne allzu großen Schaden korrigiert werden können, wenn man rechtzeitig handelt.
Das macht Hoffnung, Herr Ippen! Dann werden Sie ja sicher auch die jüngsten willkürlichen Entlassungen wieder rückgängig machen.
Wenn dem Besten gekündigt werden muss, nur weil er jung ist und die kürzeste Betriebszugehörigkeit hat, ist das problematisch. In den Verlagen, in denen ich Verantwortung trage, ist mir allerdings kein einziger Fall bekannt, dass ein solcher Redakteur auf diesem Weg gekündigt wird.
Uns leider schon: Sie haben kurz vor Weihnachten zwei jungen Redakteurinnen und einem Redakteur noch in der Probezeit gekündigt. Wie soll man das verstehen außer als Warnung an die ganze Redaktion, was ihr passiert, wenn sie nicht vor Ihnen kuscht?
(Blickt versonnen in die Ferne.) Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.
Das ist ein Zitat aus dem Gedichtband „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, den Sie herausgegeben haben. Sehen Sie sich etwa selbst als „gute Macht“?
Immer wieder höre ich von Mitarbeitern, wenn ich sie in den Ruhestand verabschiede, sie hätten immer sehr gerne für mich gearbeitet. Und wenn ich das zurückgebe und hoffe, dass sie auch mit der Bezahlung zufrieden waren, heißt es: „Die Vergütung hat gestimmt, Sie waren immer sehr großzügig. Aber das Entscheidende war, ich konnte mich in meiner Arbeit frei entfalten, Dinge gestalten, wie ich es für richtig hielt. Ich habe mich immer so gefühlt, als wäre es mein und nicht Ihr Unternehmen.“
Der Redakteur als Unternehmer. Das ist Ihre Vorstellung von redaktioneller Eigenständigkeit?
Bei aller Durchlässigkeit eines Zeitungshauses muss eine Redaktion ihre Interessen mit Selbstbewusstsein vertreten können. Der Chefredakteur muss für seine Redaktion kämpfen und stehen. Wenn der Chefredakteur nun gleichzeitig Geschäftsführer ist, steht dem Redakteur mit seinem publizistischen Chef gleichzeitig sein kaufmännischer Chef gegenüber. Das halte ich nicht für richtig. Da geraten die Dinge aus dem Lot.
Interessant, dass Sie exakt dieses höchst fragwürdige Modell etwa bei der „Frankfurter Neuen Presse“ etabliert haben. Gibt es denn irgendeinen publizistischen Grundsatz, dem Sie sich ein bisschen verpflichtet fühlen?
(Überlegt lange.) Auf jeden Fall dafür zu sorgen, dass die Wahrheit gedruckt wird und dass Redaktionen auf sicherer wirtschaftlicher Grundlage die Unabhängigkeit nicht nur im Impressum führen, sondern auch echt unabhängig sind.
Dazu passt allerdings gar nicht, dass Sie höchstpersönlich 2021 die Veröffentlichung der Recherchen Ihres damaligen Investigativ-Teams zu Ex-„Bild“-Chef Julian Reichelt verhindert haben …
Ich halte es mit Georg Christoph Lichtenberg: „Dinge zu bezweifeln, die ganz ohne weitere Untersuchung geglaubt werden, das ist die wichtigste Hauptsache allüberall.“
Deshalb haben wir dieses Interview ja auch ausschließlich mit Originalzitaten von Ihnen geführt. Wäre es vor diesem Hintergrund nicht angebracht, dass Sie zumindest Ihre „Luther-Rose für gesellschaftliche Verantwortung und Unternehmercourage“ zurückgeben? Es ist doch mehr als fraglich, ob Sie als Träger noch tragbar sind.
(Lächelt milde.) Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag.
Bildquelle: flickr, Alyssa & Colin, CC BY-SA 2.0 DEED
Geniales Interview. Ich habe selten etwas Treffenderes über Ippen gelesen…
Danke dafür!
Das freut mich sehr! schöne Feiertage!