Internetkonzerne wie Google, Facebook oder Amazon betreiben in Brüssel einen Lobbyaufwand von jährlich über 32 Millionen Euro. Exakt überprüfbar ist dies Zahl nur schwer. „Was allerdings nicht stimmt, ist, dass durch Einsatz von viel Geld automatisch gute Lobbyerfolge erzielt würden“, schreibt der EU-Insider Ludger Fischer in seinem neuen Buch* „Spot(t) auf Brüssel – Ein lustiges Polittheater“. Bei der Vorstellung auf einem EU-Workshop der Vereinigung Europäischer Journalisten schilderte der Autor seine Erfahrungen im Umgang mit Lobby-Akteuren und Lobby-Kontrolleuren. 25 000 Lobbyisten würden Einfluss auf die EU-Institutionen nehmen, behaupte LobbyControl auf seiner Webseite, eine eher geschätzte Zahl, die offensichtlich das von Agenturen, Instituten, NGO’s, Verbänden und Verbindungsbüros angestellte Personal mitzählt. Denn beim Europaparlament tatsächlich registriert als Lobbyisten sind aktuell etwa 4 600 Personen.**
Ein komisches Völkchen
Nicht nur sie wollen die Europapolitik mit beeinflussen, auch (neben den Botschaften der 27 Mitgliedsstaaten) die „Ständigen Vertretungen“ der 16 deutschen Bundesländer zielen darauf ab – so wie die der neun österreichischen Bundesländer oder der 16 polnischen Woiwodschaften oder der 20 italienischen Regionen, usw. Ihre Repräsentanten wollen lieber „selbst auf den Fluren der Kommission und des Parlaments das Gras wachsen hören“, wie Fischer den Vertreter der slowakischen Provinz Nitra zitiert. Possenhaft beschreibt das Buch, wie all die Regional-Lobbyisten sich in Szene setzen, sei es mit Einladungen zu „Grünkohl mit Pinkel“ bei den Niedersachsen oder mit „Leberknödelsuppe“ bei den Bayern in ihrer Residenz „Neuwahnstein in Brüssel“, wie der schlossähnliche Turmbau in Sichtweite des EP von Journalisten genannt wird. Ein gewaltiger Aufwand auf Kosten der europäischen Steuerzahler wird hier betrieben und der Leser fragt sich, ob die Ausgaben für diese Art der Regionalisierung gerechtfertigt sind. Oder ob es nicht sinnvoller wäre, den ohnehin existierenden „Ausschuss der Regionen“ mit mehr Kompetenzen auszustatten.
Fischer macht keinen großen Unterschied zwischen privaten und staatlichen Lobbyisten, er nennt sie alle „Auftragsargumentierer“ und findet ihr Wirken nicht unbedingt verwerflich. Auch die Zusammenballung von sog. politischen Influencern bekümmert ihn kaum, viele von ihnen zählt er eher zur Kategorie „Klatschmaul“, nur wenige hätten Gewicht. Überhaupt habe sich im Stadtviertel rund um das Parlament „ein komisches Völkchen“ eingenistet, das Fischer amüsiert und distanziert zugleich beschreibt. Hier wird auch die lächerliche Seite der Macht beschrieben und zugleich öffnet sich ein tiefer „Blick ins wirkliche Leben“. Trotz mancher Komik sieht man nach der Lektüre vieles differenzierter und die EU-Politik wird insgesamt ein wenig verständlicher.
Geld nicht gleich Einfluss
Auf Differenzierungen legt auch Stefan Moritz wert, der Leiter des BVMW-Europabüros und Geschäftsführer des Europaverbands des Mittelstands European Entrepreneurs CEA-PME. Er kann auf eine langeErfahrung beim Kontakt mit Europaabgeordneten und mit der Kommission blicken und verrät uns hier seine Ansichten:
? Hängt der Zugang zu EU-Entscheidern davon ab, welchen finanziellen und personellen Aufwand man betreibt, oder spielt das keine Rolle?
Die Menge an Geld, die Großunternehmen oder Industrieverbände in Lobbyvertretung investieren, sind nicht immer gleichbedeutend mit Einfluss. Das zeigen die eben erst beschlossenen Gesetze zu Digitalmärkten und digitalen Dienstleistungen, die den genannten Konzernen überhaupt nicht schmecken, und die der eigentliche Grund sind, warum die GAFA – Google, Amazon, Facebook, Apple – ihre Lobbyarbeit in Brüssel ausgeweitet haben. Bevor solche Gesetzesvorschläge auf den Tisch kamen, hatten sie die EU als nicht ausreichend interessant erachtet.
? Hat jemand, der die Interessen mittelständischer Unternehmen vertritt, ein leichteres Spiel?
Entscheidend ist schon, um welche Art Unternehmen es sich handelt. Unabhängig davon ist der Mittelstand in Brüssel in aller Munde, ob aus einer Mentalität heraus „den Kleinen zu helfen“, oder weil man authentisch dessen Bedeutung anerkennt. Leider führt das nur selten zu einer mittelstandstauglichen Gesetzgebung. Über Mittelstand reden und ihn verstehen sind zwei Paar Schuhe. Wir versuchen vor allen Dingen die Realität in kleinen Betrieben anschaulich zu machen und die Überfrachtung von bürokratischen Auflagen nicht nur als zeitintensiv und kostspielig zu brandmarken, sondern besonders das Verständnis zwischen EU-Bürokraten und Unternehmern zu verbessern.
Eine „lebensweltliche Ignoranz“
? Lobbyarbeit wird häufig als Gefahr für die Demokratie angeprangert. Stoßen Sie bei Ihren Kontakten auf Ressentiments?
Das kann ich so pauschal nicht bestätigen. Wenn ich mich unbekannten Menschen vorstelle, die keine Unternehmer sind, sage ich immer, dass ich ein mieser Lobbyist bin. Das fordert natürlich zuerst eine verstörte Reaktion heraus, führt aber dazu, dass mir die Leute zuhören. Nach ein paar Minuten sind sie überzeugt, dass Gerechtigkeit nicht nur durch Mehrheiten und ethische Prinzipien, sondern auch durch Einzelfallverständnis hergestellt werden muss. Ich argumentiere dann, dass es auch Lobbyisten für „gute Dinge“ gibt, wie z.B. Umwelt, Klima oder eben den Mittelstand. Natürlich müssen wir den Vertretern der EU-Politik immer wieder klarmachen, dass wir wichtiger sind als andere, auch weil die allermeisten Arbeitskräfte bei unseren Betrieben beschäftigt sind. Schließlich gilt: Politiker brauchen Wähler, je mehr, desto besser.
? Worauf muss man besonders achten, wenn man als Lobbyist für den Mittelstand unterwegs ist? Was sollte sich ändern?
Es sind fast ausschließlich Uni-Absolventen, die in den Institutionen und im Parlament arbeiten. Das führt zu einer „lebensweltlichen Ignoranz“ gegenüber dem Mittelstand. Wir sollten von allen EU-Beamten und EU-Abgeordneten einfordern, dass sie zumindest ein Praktikum in einem kleinen Betrieb gemacht haben sollten, bevor sie von der Kommission angestellt werden und mit Gesetzen und Verordnungen den Alltag dieser Betriebe entscheidend beeinflussen.
Zudem stehen die wachsenden Zuständigkeiten der EU und die damit exponentiell steigenden Gesetzgebungsverfahren nicht immer im Verhältnis zur Bedeutung, die die nationalen Verbände ihren europäischen Dachverbänden zugestehen. In Brüssel und Straßburg werden 70% aller Gesetze in den Mitgliedstaaten vorbereitet. Wer in Brüssel am Puls der Gesetzgebung bleiben will, muss mehr Geld in die Hand nehmen muss, um hier zu punkten.
*Erschienen im Osburg Verlag, ISBN 978-3-95510-257-9, Preis: 20 € **Zahl der Beamten und Vertragsbediensteten bei EU-Kommission und Parlament: ca. 37.500.