Die schlimme deutsche Vergangenheit holt uns immer wieder ein. So oder so. Ein Schlussstrich oder ein Verbrämen dieses Zivilisationsbruchs durch die Kulturnation Deutschland wird nie gezogen werden können angesichts der Dimension der Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Nazis. Während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seinem Antrittsbesuch in Italien die ewige Stadt Rom besucht und selbstverständlich zu den Ardeatinischen Höhlen geht, wo im März 1944 die SS 335 Zivilisten ermordete, lese ich über eine Ausstellung in Nürnberg: „Albert Speer in der Bundesrepublik. Ausstellung über Hitler-Architekt Albert Speer zerlegt Mythos vom netten Nazi.“ Als wenn dieser Mythos, diese Legende von Speer, dem braunen Gentleman, nicht längst zerlegt wäre! Aber es stimmt. Diesem Speer, einem der einflussreichsten Nazi-Größen, der schon 1930 bei Hitler-Reden neben diesem stand und ihn bewunderte, der dabei war und aktiv an den Verbrechen mitgewirkt und verdient hatte, war es ja bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen gegen 24 Hauptangeklagte gelungen, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, weil die Ankläger auf seine Inszenierung reingefallen waren. Er habe vom Holocaust nichts gewusst. Ausgerechnet Hitlers Liebling, der die KZ mit geplant und und gebaut hatte und der mitverantwortlich war für die Deportationslisten, die zusammen mit der Gestapo erstellt wurden. Von wegen der gute Nazi: Als Rüstungsminister trug er die Verantwortung für sieben Millionen Zwangsarbeiter und deren brutale Behandlung, er war aktiv an der sogenannten Arisierung, also dem Erwerb jüdischer Notverkäufe beteiligt und an Massenvernichtungslagern. So bekam er 20 Jahre Gefängnis, sonst wäre er hingerichtet worden.
Er wollte nichts gewusst haben
Man kann das teils nachlesen in vielen historischen Werken. Auch Heinrich August Winkler, der renommierte Historiker, hat dazu in seiner „Geschichte des Westens“ einiges zur Rolle von Speer bemerkt. „Schon vor der Schließung von Auschwitz hatte die SS auf Grund des Drängens von Speer arbeitsfähige Juden zur Rüstungsarbeit nach Deutschland in Marsch gesetzt, unter anderem nach Dachau und in die Tunnel von Dora-Mittelbau im Harz, wo sie von der Organisation Todt unter mörderischen Arbeitsbedingungen bei der Produktion von V-2-Raketen eingesetzt wurden.“ Nichts gewusst, dieser Mann. Sechs Millionen Juden wurden umgebracht, erschossen, vergast, tot geprügelt, sie verhungerten und erfroren bei den Todesmärschen, die Himmler angeordnet hatte. Und Speer wusste nichts?
Noch einmal Winkler: „An der Ermordung der europäischen Juden waren nicht nur Deutsche, sondern auch Judenfeinde und willfährige Helfer der SS in allen Teilen des von Deutschland beherrschten Europa beteiligt. Aber geplant und in Gang gesetzt hatte den Völkermord das nationalsozialistische Deutschland. Ohne den festen Willen zur Vernichtung der Juden, ohne die Disziplin des damit betrauten Personals, ohne die Kapazitäten der hochentwickelten Industriemacht Deutschland wäre das Projekt nicht zu verwirklichen gewesen.“ Und dann zieht Winkler die Konsequenz: „Dass sie�(die Deutschen) von den Alliierten für dieses Menschheitsverbrechen zur Rechenschaft gezogen werden würden, dürften viele Deutsche schon im Frühjahr 1945 geahnt haben.“
Karriere nach dem Gefängnis
Spees Erzählungen, seine Lügen, retteten ihm den Kopf. Am 1. Oktober 1966 kam er frei. In Nürnberg, wo er das Reichsparteitagsgelände einst entworfen hatte, schob er die Verantwortung für den Holocaust weit von sich und das Wissen um das Verbrechen. Der Mann machte Karriere nach dem Gefängnis, er gab Interviews, schrieb Bücher, andere folgten seiner Legende wie der einstige FAZ-Herausgeber Joachim Fest und der Verleger Siedler, man darf vermuten aus ökonomischen Gründen, denn die Bücher verkaufen sich gut, sehr gut, weil ein Großteil der Deutschen Speers Geschichte hören wollte und sie damit für sich reklamieren konnte: Wenn schon Speer nichts wusste von den Verbrechen, vom Holocaust, vom Vernichtungskrieg im Osten, wie sollten die einfachen Bürger Ahnung oder gar Kenntnis davon haben.
Im Schwurgerichtssaal 600 des Nürnberger Justizpalastes ließen sich die Richter der Alliierten von Speers Erzählungen hinters Licht führen. Motto: Ja, etwas Schuld schon, aber nur ein bisschen und die bereute der Mann dann vor dem Tribunal. Seinen Charme durchschauten sie nicht, seine List, die Schuld auf seinen Mitarbeiter Fritz Sauckel abzuwälzen, der nun plötzlich für die Verschleppung der Zwangsarbeiter verantwortlich sein sollte und nicht Aber Speer, Hitlers Liebling. Zitat Sauckels in der SZ: „Speer hat mich also heimtückisch hinters Licht geführt. Etwas Gemeineres gibt es gar nicht. Denn er hat Arbeitskräfte angefordert.“ Und zwar Millionen.
Ein Freund von Adolf Hitler
Man stelle sich den weiteren Verlauf des Prozesse vor, in dem Speer ganz nebenbei eine Geschichte fallen lässt, die er erfunden hat, die man aber in Nürnberg glaubt. So habe er im Führerbunker in Berlin einen Anschlag auf Hitler geplant, als eine Art Ehrensache, nicht weiter erwähnenswert. Und das von einem Mann, der selber über Hitler gesagt hatte: „Wenn Hitler einen Freund gehabt hätte, wäre ich es gewesen.“ Dieser Opportunist fordert dann in seinem Schlusswort die Weltgemeinschaft auf, keine Kriege mehr zu führen. Ausgerechnet der einstige Rüstungsminister Speer, der dann von Journalisten als guter Nazi und Gentleman Nazi gefeiert wird. Ja, auftreten, das konnte er, die dazu gehörende Körpersprache beherrschte er und die Welt fiel auf ihn herein.
Nicht alle ließen sich von Speer täuschen. So bemerkte der Historiker und einstige britische Geheimdienstler Hugh Trevor-Roper wenige Jahre nach Ende des Krieges, dass künftige Historiker irgendwann einmal „den wirklichen Verbrecher Nazi-Deutschlands in Albert Speer erkennen würden. Der Mann hatte Recht. Denn die Dokumente gegen den Saubermann Speer sind erdrückend, wie auch Volker Ullrich vor einigen Jahren in der „Zeit“ schrieb. Ullrich sprach von Speers Erfindungen und nannte als Beispiele: Speer habe eine maßgebliche Rolle bei der Vertreibung der Berliner Juden aus ihren Wohnungen gespielt, bei ihrer Deportation in die Vernichtungslager, beim Ausbau der KZ-Systems und dem Einsatz der Zwangsarbeiter. Und Ullrich widerspricht vehement dem anderen Bild Speers, das der sich selber gegeben habe, das des Künstlers und Nichtpolitikers, der den „teuflischen Verführungskünsten Hitlers erlegen sei, der aber seit Herbst 1944 auf Distanz zum Diktator gegangen sei und dabei Kopf und Kragen riskiert habe. Dabei zählte Speer noch 1945 zu den Gästen Hitlers beim Führergeburtstag.
Kein Verführter, er war Täter
Historikern wie Matthias Schmidt ist es zu verdanken, dass schon im Frühjahr 1982 das Ende des Mythos von Speer eingeläutet wurde. Schmidt wies nach, was Speer hatte fälschen lassen und was seine eigentliche Rolle war.u.a. bei der sogenannten Entjudung der Berliner Wohnungen, wie oben berichtet. Speer war einer der Initiatoren. Nein, Speer war „kein Verführter, er war ein Täter, einer der schlimmsten unter den Naziführern, wie Ullrich schreibt. Er und seinesgleichen haben das Menschheitsverbrechen erst möglich gemacht.“ Und noch ein persönliches Urteil eines früheren Freundes von Speer aus Jugendjahren, Rudolf Wolters: Er sei ein Mann gewesen, der „für Geld und Geltung“ alles getan habe.
Die schon erwähnte Ausstellung über „Albert Speer in der Bundesrepublik. Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit“ enttarnt den Mann an Hand von Quellen als den, der er wirklich war: ein Nazi, beteiligt an den Verbrechen. Ein Gentleman war er nicht. Er war ein Täter.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 26. November 2017 im Dokumentationszentrum Reichstagsgelände Nürnberg. Eintritt frei.
Quellen: Süddeutsche Zeitung; Einer für alle. Eine Reportage von Rudolf Neumaier. Volker Ullrich in der „Zeit“: Speer Erfindung. Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens. Die Zeit der Weltkriege 1914-1945 .Wikipedia über Albert Speer.
Bildquelle: Malindine E G (Capt), No 5 Army Film & Photographic Unit – This is photograph BU 6711 from the collections of the Imperial War Museums.