160 Jahre SPD, eine lange Zeit, aber nicht zu lange, um daraus abzuleiten, dass das Ende der ruhmreichen Sozialdemokratie längst gekommen sei. Warum auch?! Die Partei stellt gerade wieder mal einen Kanzler und gerade hat die SPD die Bürgerschaftswahl in Bremen gewonnen. Die SPD stellt auch den Bundespräsidenten, auch wenn die Parteizugehörigkeit Frank-Walter Steinmeiers während der Amtszeiten ruht. SPD-Mitglied ist auch die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas aus Duisburg. Nein, die SPD hat Probleme in Sachsen und überhaupt im Osten des Landes, sie schwächelt in Bayern und Baden-Württemberg, aber sie lebt und die Partei wird gebraucht. Nur weil jemand vor Jahrzehnten die Partei verlassen hat, heißt das nicht das Ende der Sozialdemokratie.
Wir reden über eine Partei, die als Arbeiterverein im 19. Jahrhundert begann und die zur Volkspartei wurde, die von Ferdinand Lassalle gegründet wurde, der später wegen einer Frau in einem Duell starb. Wir reden über eine Partei, die Friedrich Ebert in ihren Reihen hatte und August Bebel, Philipp Scheidemann, Otto Wels, Julius Leber, Kurt Schumacher, Willy Brandt, aber auch Johannes Rau, einen Gerhard Schröder, der heute verfemt ist wegen seiner Nähe zu Putin, deren Vorsitzender auch mal Oskar Lafontaine war, der im Streit mit Schröder die Partei verließ. Zur SPD gehörte Regine Hildebrandt, Elisabeth Selbert war eine der vier „Mütter des Grundgesetzes“ , Gustav Heinemann war erst in der CDU, dann in der GVP(mit Rau und Posser), ehe er zur SPD wechselte. Ernst Reuter war Regierender Bürgermeister in Berlin, ein SPD-Mann wie sein Sohn Edzard. Wer Willy Brandt erwähnt, sollte auf Helmut Schmidt nicht verzichten und ich denke immer wieder auch an Herbert Wehner. Ohne die SPD wären viele soziale und gesellschaftliche Errungenschaften nicht denkbar, das Soziale ist die Wurzel dieser Partei, der Kampf um soziale Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit, Solidarität, das war und ist die SPD, ihre DNA.
Eine Volkspartei sucht das Volk, überschrieb die SZ ihren Beitrag zum Jubiläum, was darauf hinweisen soll, dass aus der 1-Million-Mitglieder-Partei zu Zeiten eines Willy Brandt und Peter Glotz heute eine SPD geworden ist mit nur noch 380000 Mitgliedern. Ja, die Massen haben der Partei den Rücken gekehrt wie den Gewerkschaften, den Kirchen und den Vereinen. Weil es keine Arbeiter mehr gibt, muss sich die SPD neu erfinden. Klar, Maschinen ersetzen vielfach Menschenhand, Computer nehmen viel Arbeit weg, auch manchen Arbeitsplatz. Aber es gibt ja Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für deren Rechte, gute Bezahlung und Behandlung am Arbeitsplatz, für deren Rente und Krankenversicherung, bezahlten Urlaub diese SPD eintritt, damit Familien leben können, wohnen, die Kinder in gute Schulen gehen, eine Ausbildung erfahren, damit sie später nicht arbeitslos werden.
Die Rechte der Frauen
Die Rechte der Frauen standen schon vor Jahrzehnten auf der politischen Agenda, aber auch, nachdem sie im Grundgesetz verankert wurden u.a. durch Elisabeth Selbert, heißt das noch lange nicht, dass Frauen und Männer auch wirklich gleich bezahlt werden. Dieser Kampf geht weiter, mit der SPD, den Gewerkschaften, den Tarifparteien. Die SPD, das ist Aufstieg durch Bildung. Unsere Kinder sollen es mal besser haben, hieß es in den 60erJahren des letzten Jahrhunderts, und also konnten Arbeiterkinder Abitur machen, studieren, Lehrer werden oder Ingenieur, Jurist, Architekt, Arzt. Das hat nicht alles die SPD allein durchgesetzt, aber ohne sie wären wir längst nicht so weit. Recht und Gesetz, das gehört zur Kultur der Republik, ein Gesetz, vor dem jeder gleich zu sein hat. Freie, gleiche und geheime Wahlen, Presse- und Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit. Manchmal vergisst man, was es hier im Lande alles an Vorzügen gibt neben der sozialen Marktwirtschaft.
Nicht alles ist gut, nicht alles bestens, es gibt Armut, Kinderarmut, Wohnungsnot in Städten, viel zu teuren Wohnraum. Und längst steht der Klimawandel mitten im Raum, den zu umgehen, wir uns nicht mehr leisten können. Deshalb die Energiewende, mehr Fahrrad statt Auto, Sonne und Wind statt Gas, Öl und Kohle. Probleme, wie sie die heutige Ampel-Regierung unter dem SPD-Kanzler Olaf Scholz zu meistern hat. Krieg und Inflation erleichtern die Arbeit nicht. Und dass Millionen Geflüchtete nach Deutschland kommen, wirft neue Probleme auf, die gelöst werden müssen. Denn natürlich genießen politische Verfolgte hier Asylrecht, auch wenn oft genug versucht wird, ein solches Grundrecht aufzuweichen.
Die SPD wurde einst am 23. Mai 1863 in Leipzig gegründet, im Osten der Bundesrepublik also, wo die SPD heute bei Wahlen miserabel abschneidet, wo sie aber dennoch in Regierungen sitzt. Sie kämpft mit einstelligen Umfragewerten, während eine Partei wie die AfD, die Rechtsextreme und Faschisten in ihren Reihen hat, fast stärkste Partei geworden ist. Da mag man sich gelegentlich fragen, ob denn die Wählerinnen und Wähler noch gescheit sind? Haben denn die noch alle? Ich weiß, Wählerbeschimpfung ist der falsche Ansatz, aber so schlecht ist die SPD im Osten auch wieder nicht, dass so viele Tausende und Abertausende Menschen ausgerechnet der AfD ihre Stimmen geben. Aus Protest, hört man, würde so gewählt. Wogegen protestieren sie? Gegen unser System? Da ist Vorsicht geboten, unser System ist das Beste, was es in Deutschland je gab, eine bessere Verfassung hatten wir nie, und besser verfasst als diese Republik war kein Deutschland früher. Regierungen wechseln hier, ohne dass ein Trump seine Anhänger zum Sturm auf den Reichstag in Berlin hetzen würde.
Beim 150jährigen Jubiläum zitierte Bundespräsident Joachim Gauck den Sozialdemokraten Karl Richter, der zu seinem 100. Geburtstag gesagt habe: „Du musst das Leben nehmen, wie es ist. Aber du darfst es nicht so lassen.“ Ein besseres Land komme nicht von allein. Das ist es, was die SPD immer an- und umtreibt, damit es den Menschen besser gehen möge. Darum wurde die SPD einst gegründet, daran erinnerte Norbert Römer bei einer Ehrung eines Mitglieds: „Einer allein kann nichts erreichen, deshalb schließen wir uns zusammen. Und wir finden uns nicht ab mit den Dingen. wie sie sind, sondern wir wollen sie zum Besseren verändern.“ Damit dies gelinge, brauche man eine starke SPD, die zusammen halte, die geschlossen auftrete, eine Partei, der die Menschen vertrauen.
Zur SPD gehörten immer enge Verbindungen zu den Gewerkschaften, den Sozialverbänden, zur Arbeiterwohlfahrt, den Betriebsräten, aber auch zur Wirtschaft, der es gut geht, wenn es auch den Beschäftigten gut geht. Kooperation statt Konfrontation, was Arbeitskämpfe zur Durchsetzung sozialer Ziele und besserer Löhne und Gehälter einschließt. Nicht die Vision von einer fernen schönen Zukunft hat die SPD stark gemacht, sondern die tagtägliche, beharrliche Kleinarbeit der Vielen in den Stadtteilen und Betrieben, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen Schritt für Schritt zu verbessern. Sagt Römer, ein Mann des Reviers.
Partei als Kümmerer für Gerechtigkeit
Die SPD als Kümmerer für Demokratie und Gerechtigkeit. Deshalb gilt der Grundsatz: nahe bei den Menschen zu sein, bei ihren Sorgen und Nöten, ihren Hoffnungen und Wünschen. Wie es Willy Brandt gesagt hat: „Sich nicht zu weit von dem zu entfernen, was viele aufzunehmen geneigt und mitzutragen bereit sind, gehört zur eisernen Wissensration einer Volkspartei, die nicht auf die Oppositionsbänke abonniert ist. Und die weiß, dass man auf der Regierungsbank in aller Regel mehr erreichen kann für die Menschen, denen man sich verantwortlich fühlt.“ Sätze aus der Abschiedsrede des großen Parteivorsitzenden.
Leipzig war immer eine bedeutende Wegmarke für die SPD. Mai 1863 im Leipziger Pantheon die Gründung des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins(ADAV), der 1890 in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) aufging. Mai 1931 kamen hier rund 400 Delegierte zum letzten Parteitag vor der Machtübernahme durch Adolf Hitlers Nationalsozialisten zusammen. Die SPD war die einzige Partei, die im März 1933 Hitlers Ermächtigungsgesetz ablehnte. Berühmt die Sätze von SPD-Chef Otto Wels in der Berliner Kroll-Oper: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Schon am Tag nach dem Votum ließ Hitler Sozialdemokraten und Kommunisten verfolgen, einsperren in Gefängnisse und Konzentrationslager. Viele Sozialdemokraten bezahlten ihre Nazi-Gegnerschaft mit dem Leben wie Julius Leber, der am 5. Januar 1945 in Plötzensee hingerichtet wurde. Kurt Schumacher, SPD-Reichstagsabgeordneter wie Leber, wurde in mehreren KZs gefoltert, er überlebte und wurde nach dem Krieg erster SPD-Vorsitzender. Nach dem Mauerfall am 9. November 1989 fand in Leipzig 1990 der erste und zugleich letzte SPD-Parteitag in der DDR statt, ehe es zur Vereinigung mit der West-SPD kam. Übrigens wurde der Vorläufer der SPD, die SDP, am 7. Oktober 1989 in Schwante gegründet, beäugt von der Stasi.
Die Geschichte der SPD ist eine Geschichte des Kampfes um Freiheit und Freiheiten, Rechte, Gleichheit, gegen Kinderarbeit und Armut, für freie Wahlen. Forderungen, wie sie die SPD in ihrem Eisenacher Programm 1869 forderte. Ausbeutung der Arbeiter stand damals auf der Tagesordnung. Die SPD überlebte die Zeiten eines Bismarck, als der eiserne Kanzler sie durch ein Sozialistengesetz verbieten, SPD-Mitglieder verfolgen und einsperren ließ, die Partei überlebte Kaiser Wilhelm, sie stimmte den Kriegskrediten 1914 zu(Wilhelm II: Ich kenne keine Parteien mehr, nur noch Deutsche), Philipp Scheidemann rief die Republik 1918 vom Fenster des Reichstag aus. Das Kaiserreich war zusammengebrochen. Die SPD überlebte die Nazi-Zeit wie die Diktatur und Verfolgung durch die Kommunisten. Vor kurzem wurde die Traditionsfahne von 1870 im Gymnasium in Droyßig, einer kleinen Gemeinde in Sachsen-.Anhalt, gezeigt, mit dabei SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und weitere 50 traditionsbewusste Genossinnen und Genossen. Eine Fahne, die während der Nazi-Zeit versteckt werden musste. Eingeladen hatte der Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete Rüdiger Erben, der an die braunen Zeiten erinnerte und an einen SPD-Politiker aus der Gegend, der 1933 von den Nazis verhaftet wurde und dessen Spuren sich elf Jahre später im Konzentrationslager Sachsenhausen verlieren.
Mützenich würdigt Arbeit von Scholz
Das alles ist Teil der SPD-Identität, Mühsal, Verfolgung, Arbeiterkampf, Widerstand gegen das Nazi-Joch. Zur SPD-Geschichte gehört Willy Brandts Entspannungspolitik, die Aussöhnung mit dem Osten, gehört auch Schröders Nein zum Irak-Krieg, das heute gern vergessen wird, aber damals sehr mutig war und richtig obendrein, zumal die Gründe für den Einmarsch der Amerikaner und eines Teils der Nato auf einer Lüge basierten. Das Land besaß keine Chemie-Waffen. Die damalige CDU-Chefin Angela Merkel widersprach damals Schröder in einem Gastbeitrag für die „Washington Post“: „Herr Schröder spricht nicht für alle Deutschen.“ Zur SPD-Geschichte zählt Olaf Scholz Rede zur Zeitenwende kurz nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine. Und statt Sicherheit mit Russland heißt es heute, so hat es SPD-Chef Lars Klingbeil gesagt, Sicherheit vor Russland. Die SPD, die Partei der Abrüstung und Entspannung, ist wegen Putins imperialen Gelüsten bereit, Milliarden Euro für Waffen auszugeben.
Rolf Mützenich hat bei seinem Auftritt in Sachsen-Anhalt nicht nur die gewiss ruhmreiche Geschichte der SPD gewürdigt, sondern auch den Kanzler und dessen Arbeit. Olaf Scholz setze nicht nur auf Hilfen für die Ukraine, sondern eben auch auf Gespräche mit Staaten wie China, man könnte hinzufügen, er wirbt bei Staaten wie Brasilien und Indien und Südafrika um Unterstützung, Scholz redet auf Augenhöhe mit den einstigen Schwellenländern, die längst Machtzentren geworden sind. Und Mützenich fügte mit Blick auf die löchrige Fahne(mit der Aufschrift: Gewidmet von den Frauen und Jungfrauen der hiesigen Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeiter-Verein Droysig 1870), diese sei Auftrag, „Ausschau zu halten nach den Chancen auf Frieden.“ Laut dem Bericht in der „Tagesschau“ hätten die Zuhörer im Saal zugestimmt.
Antworten auf der Höhe der Zeit
Karsten Brenner, ehemaliger Vorstands-Vorsitzender der Bundeskanzler -Willy-Brandt-Stiftung in Bonn, sieht die SPD „mit neuen Antworten weiter auf der Höhe der Zeit“. So Brenner in einem Leserbrief im Bonner Generalanzeiger. „Sicherlich hat es die SPD heute mit einer gänzlich veränderten gesellschaftlichen Situation zu tun. Die Arbeiterschaft hat sich stark ausdifferenziert, ihr Anteil an der Gesellschaft hat über Jahre hinweg stark abgenommen, stattdessen befinden sich viele Menschen heute in neuen prekären sozialen Verhältnissen, deren Probleme auch neuer Antworten bedürfen. Mit der Globalisierung und technologischen Revolutionen hat sich ein enormer wirtschaftlicher und sozialer Wandel vollzogen, und hinzukommen seit der Zeit Willy Brandts gewaltige Herausforderungen wie die Klimakrise, der Migrationsdruck und nun auch ein neuer Krieg in Europa. Ihnen müssen sich alle politischen Kräfte stellen. Eine Partei, die das Soziale, das solidarische Miteinander, die Demokratie und damit auch die Freiheit des
Einzelnen auf ihre Fahnen geschrieben hat, behält sehr wohl ihre wichtige Funktion im politischen Spektrum. Die SPD in dieser Situation abzuschreiben, hielte ich für geradezu unhistorisch. Wird die Historikerin(gemeint Frau Seebacher) in ihrem nächsten Buch einen Niedergang der CDU/CSU sezieren, da den Kirchen ihre Mitglieder in Scharen davonlaufen?“ Willy Brandt hätte sich besorgt gezeigt, ob und wie die SPD ihrer veränderten Mission gerecht werde, aber er hätte „seine Partei darin bestärkt, mit neuen Antworten weiter auf der Höhe der Zeit zu sein.“ Damit widersprach Brenner der Brandt-Witwe, die gerade ein neues Buch über die SPD geschrieben hat und darin u.a. vom Ende der Sozialdemokratie schreibt. Der Artikel hatte die Überschrift: „Seebacher seziert die Sozialdemokratie“. Sie selbst ist 1995 aus der SPD ausgetreten.