„Eine Schande, auch für Deutschland“, so der Titel der Leserbriefseite der „Süddeutschen Zeitung“. Eine Schande, weil eben die Deutschen auch beteiligt waren am Völkermord an den Armeniern durch die Türken vor hundert Jahren. Dies zuzugeben, haben sich führende deutsche Politiker, Bundeskanzler und Minister, lange gescheut. Seit ein paar Tagen hat sich da etwas geändert. Es werden Vergleiche gezogen, es werden andere Völkermorde erwähnt, gerade jetzt, da wir zurückblicken auf die Befreiung der Konzentrationslager in Auschwitz, Majdanek, Sobibor, Mauthausen, Bergen-Belsen, Sachsenhausen und Dachau, auf den von Deutschen geplanten und industriell betriebenen Massenmord an den Juden, an die Liquidierung von Millionen Menschen durch Vergasen, Erschießen, Erschlagen, Erhängen, Verdursten und Verhungern.
Bundespräsident Joachim Gauck hat in diesem Zusammenhang das Wort vom Völkermord, begangen an den Armeniern, in den Mund genommen ebenso Bundestagspräsident Norbert Lammert. Dagegen hielt sich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier auffallend bedeckt, genauer, der SPD-Politiker versuchte, an dem Problem vorbeizureden. Aus Sorge, die Türken könnten das den Deutschen übelnehmen, die am Genozid an den Armeniern beteiligt waren?
Richtig ist, dass der Holocaust ein einzigartiges Verbrechen bleibt, ein Völkermord der Deutschen an den Juden, mit nichts zu vergleichen, mit keinem anderen je begangenen Verbrechen. Die deutsche Geschichte, das deutsche Grundgesetz, die deutsche Identität- all dies ist ohne Auschwitz, dem Synonym für den KZ-Terror an den Juden, nicht denkbar. Ob wir das wollen oder nicht. Einen Schlussstrich kann es und wird es nicht geben. Wer je in Auschwitz war, wird auch nie auf einen solchen Gedanken kommen, vielmehr wird er den Ort des schlimmsten Verbrechens der Deutschen in Demut wieder verlassen und er wird die Bilder und Geschichten, die er in Auschwitz und im Vernichtungslager Birkenau zu sehen und zu lesen bekam, nie vergessen. Und er wird gerade jetzt, da eines der letzten Verfahren gegen einen SS-Mann namens Gröning läuft, daran denken, dass das Nazi-System nur funktionieren konnte, weil Millionen Deutsche mitgemacht haben, der eine mir der Knarre, der andere als Buchhalter.
Schicksal der Armenier beispielhaft für Geschichte der Massenvernichtung
Bundespräsident Gauck spannte jetzt bei seiner Rede im Berliner Dom aus Anlass des Gedenkens an den Völkermord an den Armeniern und den Aramäern den Bogen über das Jahrhundert der Massenvernichtungen. Das Schicksal der Armenier stehe beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, für den Völkermord, von der das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weist gezeichnet sei. Die deutschen Militärs, daran erinnerte der Präsident, seien an der Deportation der Armenier beteiligt gewesen, das Deutsche Reich habe mitten im Ersten Weltkrieg nicht seinen osmanischen Verbündeten verlieren wollen.
Übrigens hat Adolf Hitler zur Begründung der so genannten Endlösung der Judenfrage wie auch seiner Pläne zur Ermordung der Polen 1939 ausdrücklich Bezug genommen auf den Völkermord an den Armeniern, indem er die rhetorische Frage stellte: „Wer rede heute noch von der Vernichtung der Armenier?“
Ein weiterer Völkermord, ein Genozid, darf hier nicht vergessen werden: Die Vernichtung des Herero-Volkes im heutigen Namibia, geschehen 1904 auf Befehl des kaiserlichen Generals Lothar von Trotha. Auch hier taten sich die Deutschen schwer, von Völkermord zu reden, wohl aus der Sorge heraus, die Nachkommen könnten aus so einer Anerkennung Forderungen nach Entschädigungen erheben. „Ich glaube,“ schrieb Trotha damals in einem Brief, „dass die Nation der Herero als solche vernichtet werden muss“. Und weiter heißt es in einem Befehl: „Innerhalb der Deutschen Grenzen wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen. Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, ich treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen.“ Ungefähr 80 000 bis 90 000 Hereros sowie Tausende von Nama kamen um. Trotha ließ durch seine Soldaten Männer, Frauen und Kinder des Stammes in die Omaheke-Wüste treiben und versperrte ihnen wochenlang die Zugänge zu den Wasserstellen. Die Menschen verdursteten elendig. Grund des schlimmen Vorgehens der kaiserlichen Truppen war ein Aufstand der Herero, weil sie sich gegen den Landraub, gegen den Mord an Stammesangehörigen, gegen ungeklärte Todesfälle in Gefängnissen und die eingeschleuste Rinderseuche zur Wehr setzten. Dabei kamen 123 Siedler und Soldaten um.
Aufarbeitung des Genozides an den Hereros erst 100 Jahre später
Exakt 100 Jahre später, am 14. August 2004, nahm die Bundesministerin für Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul als erstes Mitglied einer deutschen Bundesregierung an den Gedenkfeiern in Namibia teil. Und die SPD-Politikerin räumte ein, dass die deutschen Gräueltaten damals das gewesen wären, was man heute als „Völkermord bezeichnen würde“. Die deutschen Truppen hätten einen „Vernichtungskrieg“ geführt. Sie entschuldigte sich im Namen der Bundesregierung und bat „um Vergebung unserer Schuld“. Entschädigungszahlungen schloss sie allerdings aus, betonte jedoch: „Wir Deutschen akzeptieren unsere historische und moralische Verantwortung und die Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben.“
Die Vernichtung eines Volkes müsse auch so genannt werden. Vor der Wahrheit, so Gauck in seiner Rede, müsse man keine Angst haben.