Was mag in einem Kommentator eines Mediums, gesendet oder gedruckt, vorgehen, der zum Verlauf des SPD-Parteitages nur im Wahlergebnis Sigmar Gabriels den Stoff für kritische Anmerkungen findet? Der gleiche Kommentator brächte es ohne Probleme fertig, wenig später seine Leser mit dem Hinweis zu mahnen, Streit und Streitkultur seien die Würze, die eine demokratische Gesellschaft auszeichne. Warum schwächt es aber dann die SPD, wenn ein Viertel der Parteitagsdelegierten Gabriel die Zustimmung für seine Wiederwahl verweigert? Auf einen Nenner gebracht, ist dies jedoch die geschriebene und gesendete Auffassung des größten Teils der journalistischen Kommentatoren nach dem Berliner Parteitag.
Dass die SPD zugleich und zu den aufgerufenen Krisen der Gegenwart durchaus mit mehr als respektablen Mehrheiten zu gemeinsamer Meinungsbildung fand und dazu, wie sie ihnen begegnen wolle, war offenbar zu komplex für einen Kommentar. Dabei hätte etwa ein umfassender Beschluss zur Situation der Flüchtlinge, die auf die Schutzmacht Deutschland hoffen, durchaus eine Würdigung verdient. Nach Ansicht der SPD kann es dabei Obergrenzen nicht geben. Ebenso dafür hätte es eine Würdigung verdient, zu Asyl und Genfer Flüchtlingskonvention eine entschiedene und klar positive Haltung einzunehmen. Die SPD fordert die Einheit der Europäischen Union ein, auf deren Banner „Solidarität“ stehen sollte, anstatt mit arroganten Sparauflagen EU-Mitglieder, die von der Finanzkrise besonders gebeutelt sind, noch tiefer in die Krise zu treiben.
Gemeinsam gegen Rechtspopulismus
Auf dem Parteitag waren auch die sozialdemokratischen Regierungschefs aus Frankreich, Schweden, und Österreich und aus Italien die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherina, eingeladen. Sie beschworen gemeinsam die Kampfbereitschaft der europäischen Sozialdemokratie gegen den aufkommenden Rechtspopulismus und Nationalismus in Deutschland und Europa. Ebenso nachdenklich der Umgang mit dem Handelsabkommen TTIP, das derzeit zwischen der EU und den USA verhandelt wird. Eine Zustimmung soll es seitens der SPD nur geben, wenn sichergestellt ist, dass damit nicht neue Barrieren gegen Schwellen- und Entwicklungsländer aufgebaut werden, dass TTIP nicht erneut Armut und Fluchtgründe schafft. Ebenso ist klar: Die global wirkenden Konzerne dürfen keine Rechte beanspruchen und durchsetzen, die demokratisch gefasste Beschlüsse der Parlamente aushebeln. Das alles wurde ernsthaft diskutiert und mit großen Mehrheiten verabschiedet. Bleibt also der Stachel der Wiederwahl Gabriels, dessen Stellvertreter übrigens alle mit deutlicher Zustimmung in ihren Ämtern bestätigt wurden.
Wer sich unter den Delegierten umhörte, bekam allerdings bestätigt, was auch die Kommentatoren Gabriel schon angekreidet haben, nämlich seine Fähigkeit, binnen kürzester Frist zum gleichen Thema zwei sich widersprechende Meinungen zu haben. Wachsender Unmut ist im Inneren der SPD zu spüren: Der Vorsitzende sei im Umgang oft unfair und wenig offen. Gabriels Ungeduld ist sprichwörtlich, und manchmal scheint er sich selbst im Weg zu stehen. Deutlichere Bereitschaft, auch den eigenen Leuten zuzuhören, das wäre ihm zu wünschen. Wenn er das Wahlergebnis, das ihm der Parteitag beschert hat, in diesem Sinne deutet, dann könnte er bis zur nächsten Bundestagswahl zu einem ernst zu nehmenden Kanzlerkandidaten reifen.
Bildquelle: Wikipedia, A.Savin – Sigmar Gabriel, CC BY-SA 3.0