Dieses Urteil dürfte für Aufmerksamkeit in der kommunalen Trinkwasserversorgung sorgen. Die Wasserbehörde des Landkreises Diepholz hatte den Harzwasserwerken die bewilligte Wassermenge kürzen wollen. Das zuständige Verwaltungsgericht Hannover entschied im Januar, dass die Harzwasserwerke mit der ursprünglich bewilligten Menge planen dürfen (siehe LebensraumWasser 18.1.2023). Jetzt wurde das Urteil veröffentlicht. Demnach geniesst die Sicherheit der Trinkwasserversorgung Vorrang vor eventuellen anderweitigen Entnahmeansprüchen durch andere Wassernutzer – solange die Entnahmemenge nicht erheblich unter den bewilligten Mengen liegen. So könnte man das Ergebnis auf den Punkt bringen. Ist das ein „sanfter“ Einstieg in die Priorisierung der Trinkwasserversorgung?
Der Versorger hatte mit seinen Wasserentnahmen die bewilligten Mengen unterschritten
Die Wasserbehörde des Landkreises Diepholz den Harzwasserwerken am 20.10.2010 die bis zum 31.12.2040 befristete wasserrechtliche Bewilligung zur Förderung von maximal 20 Millionen Kubikmeter Grundwasser pro Jahr für das Wasserwerk Ristedt im Landkreis Diepholz erteilt. Der ermittelte Jahresbedarf setzte sich zusammen aus einem bisherigen Bedarf von 16 Millionen Kubikmeter, einem Mehrbedarf aufgrund neuer Lieferverpflichtungen von 1,1 Millionen Kubikmeter, 1,7 Millionen Kubikmeter Sicherheits- und 0,8 Millionen Kubikmeter Trockenjahrzuschlag sowie einer Reserve von 0,4 Millionen Kubikmeter. Am 26.10.2020 kündigte die Wasserbehörde an, die Bewilligung auf Grundlage von § 18 Abs. 2 Nr. 1 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) teilweise zu widerrufen und die Höchstfördermenge auf 17,5 Millionen Kubikmeter zu begrenzen. Die Begründung: die bewilligten Entnahmemengen auch in den „Trockenjahren“ 2017 und 2018 seien nicht ausgeschöpft worden und die zweckmäßige Verwendung des Grundwassers dürfe nicht durch nicht ausgeübte Nutzungsrechte blockiert werden. Diese Situation war im wesentlichen durch die von der Behörde erwarteten Ansprüche auf Wasserentnahmen durch andere mögliche Wassernutzer entstanden. Die Harzwasserwerke hatten dagegen Widerspruch eingelegt und darauf verwiesen, dass die Zuschläge und Reserve gerade dafür vorgesehen seien, nicht vollständig ausgeschöpft zu werden. Tatsächlich zeige die geringe Unterschreitung, dass die zugelassene Menge erforderlich sei, um auf schwankenden Bedarf zu reagieren. Daraufhin reduzierte die Behörde die Kürzung auf nur noch 400.000 Kubikmeter. Die Harzwasserwerke gaben sich damit nicht zufrieden und reichten gegen den Kürzungsbescheid Klage beim Verwaltungsbericht ein. Sie sahen die allgemeine Versorgungssicherheit der Trinkwasserversorgung und deren Absicherung in Trockenzeiten als gefährdet an.
Das Urteil bestätigt: Die „Sicherheit“ der Trinkwasserversorgung hat Vorrang
Das Verfahren hätte zu einem Musterfall bei der Frage der Lösung potenzieller Nutzungskonflikte um die knapper werdenden Ressourcen werden können. Zum einen hielten die Harzwasserwerke die Prognosen der Behörde, dass andere Ansprüche gestellt werden könnten, als zu wenig konkret, um damit eine Kürzung zu rechtfertigen. Sie sahen die Gefahr, dass einfach schon die Erwartung von Nutzungskonflikten zur Neuverteilung von – eigentlich gesicherten – Entnahmerechten führen könnten. Wichtiger aber war die Frage, wer im Fall einer nicht auszuschließenden Engpass-Situation, denn dafür war die zurückgenommene Reservemenge gedacht, bei der Wasserversorgung den Vorzug erhalten solle. Schon heute, so argumentierten die Harzwasserwerke, gäbe es eine rechtliche Grundlage, wonach der Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser eine besondere Bedeutung zukomme, die auch in § 50 Abs. 1 WHG als Aufgabe der Daseinsvorsorge festgeschrieben sei und andere Nutzungsinteressen überwiege.
Ungeachtet der bereits bestehenden rechtlichen Grundlage im Wasserhaushaltsgesetz nimmt die Priorisierung der Trinkwasserversorgung für die Gesundheit der Bevölkerung vor anderen Nutzungszwecken in der aktuellen wasserpolitischen Diskussion einen breiten Raum ein. Vielerorts werden Initiativen und Bürger aktiv. Sie wollen ihre Versorgung mit Trinkwasser vor anderen Nutzungsansprüchen wie der Industrie oder der Flaschenwasserabfüllung schützen. Diese Priorisierung wird auch in der Nationalen Wasserstrategie der Bundesregierung festgeschrieben. So heißt im dortigen Aktionsplan: „Mit einer bundesweit abgestimmten Leitlinie, die gemeinsam mit den Ländern und im Dialog mit den Interessengruppen entwickelt wird, wird ein einheitlicher Orientierungsrahmen für lokale oder regionale Priorisierungsentscheidungen geschaffen, der insbesondere sicherstellen soll, dass jederzeit ausreichende, möglichst ortsnahe Ressourcen für die Trinkwasserversorgung zur Verfügung stehen. (…) Die besondere Bedeutung der Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser (Vorrang der Trinkwasserversorgung) und anderer kritischer Bereiche der Daseinsvorsorge (z. B. Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung) sowie die ökologischen und ökonomischen Wasserbedarfe werden berücksichtigt.“ Allerdings ging es gemäß der veröffentlichten Urteilsbegründung noch gar nicht um diese Frage der Verteilung. Die Frage war, ob innerhalb eines Drei-Jahreszeitraums die bewilligten Wassermengen „erheblich“ unterschritten worden sind. Dies hätte eine Kürzung gemäß WHG gerechtfertigt (§ 18 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 WHG). Die somit errechnete Differenz betrug letztendlich nur 30.000 Kubikmeter. Diese lag weit entfernt von den als „erheblich“ bezeichneten Mengen, die eine Kürzung gerechtfertigt hätten. In dieser Bewertung bleiben nämlich gerade jene Zuschlags- und Reserve-Mengen ausser Betracht, die die Wasserbehörde zur Kürzung der Bewilligung veranlasst hatten. Diese Zuschlags- und Reserve-Mengen dienen der Absicherung der Trinkwasserversorgung im Sinne einer begründeten Vorratswirtschaft und bleiben somit aussen vor.
Dass sich das Gericht auf diese Regelung im WHG und auf die Würdigung des Sachverhalts mittels Beurteilung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Erheblichkeit“ beschränken musste, dürfte auch dem Umstand geschuldet sein, dass die politisch gewollte Priorisierung der Trinkwasserversorgung gesetzlich noch nicht derart deutlich konkretisiert ist. Zweifellos sind damit auch wieder andere Fragestellungen zu erwarten. Eine wird beispielsweise die implizite Bevorzugung von netzgebundenen Gewerbebetrieben sein, die dadurch „mit-priorisiert“ werden, weil die Wasserversorger noch keine Handhabe zur Netztrennung haben. Aber letztendlich wird es auch dafür Lösungen geben.
Das Urteil jedenfalls hat jedenfalls für große Erleichterung auf Seiten der Trinkwasserversorger gesorgt. Weder Versorgungssicherheit noch Planungssicherheit sind gefährdet. Auch die Bürger dürften zufrieden sein. Aber zweifellos wird dies nur der Auftakt sein. Gegen das Urteil kann vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg binnen eines Monats nach Vorliegen der vollständigen Entscheidungsgründe die Zulassung der Berufung beantragt werden. Es dürfte aber davon ausgegangen werden, dass die Wasserbehörde des Landkreises Diepholz davon keinen Gebrauch machen wird.