„Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratiegebrauchen wollen, um sie umzubringen.“ (Carlo Schmidt, einer der Gründungsväter des Grundgesetzes)
Am 7. Juli 2024 sendeten ARD und ZDF ihre Sommerinterviews. Diese wurden mit dem Bundessprecher der AfD, Timo Chrupalla, und der Bundessprecherin, Alice Weidel, geführt. Die Ballung rechtsextremer Selbstdarstellung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk war schon ungewöhnlich.
Vor allem aber die Art und Weise der Interviewführung, insbesondere durch Shakuntala Banerjee, ließ interessierte Zeitgenossen fassungslos bis wütend zurück. Geduldig hörte sie vor der dunklen Kulisse des Sächsischen Waldes Frau Weidel zu, ohne bei deren offenkundig falschen Behauptungen nachzufragen oder den zahlreichen Lügen zu widersprechen. Einen Live-Faktencheck gab es nicht. Und der Hinweis auf den nachgereichten Check trägt nicht, er kann in Reichweite und Wirkung die Hetze und Lügerei nicht im gleichen Umfang kontern.
Frau Weidel ist so zu vernehmen: „explodierende Ausländerkriminalität, Jugendkriminalität und migrantische Gewalt. Vergewaltigungen hoch, Messerdelikte hoch, 15.000 an der Zahl im letzten Jahr. Menschen werden täglich auf den Straßen umgebracht.“
Weidel lügt und dramatisiert in allen Punkten:
- Die polizeiliche Kriminalstatistik zeigt, dass die Zahl der Straftaten im langfristigen Vergleich rückläufig ist – auch wenn es nach der Corona-Pandemie zuletzt einen leichten Anstieg gegeben hat.
- 2022 war das Risiko, Opfer eines Mordes zu werden, mit 1,2 aus 100.000 genauso niedrig wie 20 Jahre zuvor. (so Thomas Hestermann, Forscher zur Kriminalitätsdarstellung aus Hamburg)
- „Die Kriminologie geht davon aus, dass es eher keinen erheblichen Anstieg im Bereich Vergewaltigung und sexueller Nötigung gibt.“(Kriminologe Tobias Singelnstein)
- Es gab nicht 15.000 Messerdelikte im letzten Jahr, sondern 8.951.
An anderer Stelle behauptet Weidel, es gebe 250. – 300.000 abschiebepflichtige Ausländer. Tatsache ist, dass es nur ein Zehntel sind.
Ihr Co-Sprecher Chrupalla sagt, 1 Million Ukrainer erhielten Bürgergeld, es sind 720.000.
Die Liste der Lügen kann ohne Mühe verlängert werden. Und sie zeigen Wirkung, wecken Misstrauen und Angst und untergraben so die zentralen Aussagen des Grundgesetzes. Insbesondere zielt die Propaganda der AFD auf Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“, also nicht nur die der Deutschen, sondern aller Menschen gleich welcher Herkunft.
An dieser Stelle sind zwei Bemerkungen erforderlich: Selbstverständlich sind die Vertreter aller Parteien in den Medien, erst recht in den öffentlich-rechtlichen, kritisch zu hinterfragen, ihre Ausführungen auf Fakten hin zu überprüfen. Da darf es keine Ausnahme geben. Und zweitens: Es gibt in der ARD und im ZDF zahlreiche Journalistinnen und Journalisten, die ihren Aufklärungsauftrag ernst nehmen und wertvolle Beiträge auch zum Charakter und zur Politik der AfD leisten.
Aber das Sommerinterview insbesondere mit Frau Weidel wirft Fragen auf: Stimmt die Beobachtung, dass sich in beiden Sendeanstalten seit geraumer Zeit zunehmend auf eine reiner Wiedergabe der AfD-Positionen konzentriert und unangemessener Platz für diesen „gesichert rechtsextremen Verdachtsfall“ eingeräumt wird? Leisten ARD und ZDF somit ungewollt einen Beitrag zur beabsichtigten Verängstigung, zur Wutbildung und zur Denunziation der Migration? Findet so auch in den öffentlich-rechtlichen Sendern etwas statt, was mit guten Gründen als Eroberung des öffentlichen Raumes durch rechtsextreme Positionen bezeichnet werden muss?
Laut Medien-Staatsvertrag ist er „den Grundsätzen der Objektivität und Unparteilichkeit“ verpflichtet. Er soll „eine möglichst breite Themen- Meinungsvielfalt ausgewogen darstellen“ und „Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung“ sein.
Damit ist zwangsläufig verbunden, dass Fakten in jedem Fall benannt und Falschdarstellungen enttarnt und richtig gestellt werden müssen. Eigentlich sollte das eine Selbstverständlichkeit für einen guten Journalismus sein. Dazu gehört nicht nur gegenüber der AfD, aber ihr gegenüber besonders wegen ihrer rechtsextremen Positionen: fachliches Wissen, Sorgfalt und Faktentreue, souveräner und kritischer Umgang mit ihren Vertretern.