Das Thema ist spannend, auch 50 Jahre danach. Weil es eine spannende Zeit war mit einem heiß umkämpften Problem. Die politischen Matadore sind längst tot, und doch wird dieser Tage vielfach daran erinnert: An die Friedens- und Entspannungspolitik von Willy Brandt, die aktueller nicht sein könnte, heute, da es um die Ukraine geht, Russland, um Putin, um die Versuche des SPD-Kanzlers Olaf Scholz, an die Versöhnungs- und Ausgleichspolitik seines Parteifreundes Willy Brandt anzuknüpfen um des lieben Friedens willen, um einen Krieg zu verhindern. Dieser Versöhnungskurs von Brandt/Scheel mit dem Osten führte einst zu den Verträgen mit Moskau, Warschau und Ostberlin und versetzte die Unions-Opposition so in Rage, daß sie Verrat rief, Verrat an Deutschland, wie die Christdemokraten und Christsozialen Deutschland verstanden, sie polemisierten vom Ausverkauf der Republik. Und gerieten in schiere Verzweiflung, weil der in ihren Augen ungeliebte SPD-Kanzler zu allem Überdruss noch den Friedensnobelpreis erhalten hatte. Und wenn dann noch ein „hochgeschätzter“ Zeitungsmann wie Hartmut Palmer-so hat ihn Uli Lüke im Bonner Generalanzeiger zu Recht gelobt- hingeht und über diese Zeit einen fiktiven Roman schreibt mit dem Titel „Verrat am Rhein“, darf man hellhörig und neugierig werden. Denn Hartmut Palmer war damals als Bonner Korrespondent(Kölner Stadtanzeiger, Spiegel, Süddeutsche Zeitung) nahe dran am Geschehen, er hat als politischer Beobachter jene Jahre miterlebt, die die Republik zeitweise beben ließ, als das Misstrauensvotum der Union gegen Brandt am 27. April 1972 krachend scheiterte, Rainer Barzels Traum von der Kanzlerschaft beendete und Willy Brandts Stern heller denn je leuchtete.
Stimmen waren gekauft
Und ja, es war ein Krimi, weil die sozialliberale Koalition mit Brandt/Scheel durch Überläufer keine Mehrheit mehr hatte im Parlament und eigentlich der Sturz von Brandt klar sein musste und die Wahl von Barzel. Und doch nicht zustande kam, weil dem CDU-Herausforderer am Ende zwei Stimmen fehlten, was damals sofort zu Vermutungen führte: die SPD habe die Stimmen gekauft, später war die Stasi der DDR als Täter ausgemacht. Von Beträgen in Höhe von 50000 DM war die Rede. Über all das schreibt Palmer in seinem Buch, das einem „als Roman verkleideten Tatsachenbericht(so der GA) gleichkommt und auch deshalb umso spannender zu lesen ist. Zumal der alte(darf ich als genauso alter Kollege sagen) Nachrichtenjäger Palmer in seinem Roman eine Nachricht verkauft: Der dritte Abgeordnete der Union, der Barzel die Stimme verweigerte, war kein Geringerer als Franz Josef Strauß, der, das weiß ich aus eigener Erfahrung, den CDU-Mann nicht leiden konnte(aber wen konnte Strauß schon leiden, wenn jemand auf seine Augenhöhe aufsteigen wollte?). Und dass der CSU-Chef und spätere bayerische Ministerpräsident den eigenen Kandidaten baden gehen ließ, weil er dann doch lieber Brandt statt Barzel als Kanzler hatte- das mag damit zusammenhängen, dass Strauß Barzel nie verziehen habe, schreibt Palmer, dass der zu den Ostverträgen kein klares „Nein“ formuliert habe, sondern nur ein „So nicht“. Und dass der wortgewaltige CSU-Mann den Barzel für ein „Weichei“ hielt. Dass dies so gewesen ist, steht in dem Buch von Palmer. Sein Kronzeuge ist eben dieser Rainer Barzel, der es ihm selber gesagt habe vor Jahren unter der Bedingung, diese Nachricht nicht zu Lebzeiten des Rainer Candidus Barzel zu veröffentlichen.
Als Strauß über Kohl herzog
Es passt so vieles zusammen, was Hartmut Palmer in seinem Buch verarbeitet hat, wenn ich das so sagen darf. Denn natürlich hat er nicht nur das Gold-Jubiläum Willy Brandts auf dem Schirm, sondern auch den Machtkampf, den der Strauß-Schüler und -Verehrer Markus Söder mit Armin Laschet im letzten Jahr ausgefochten hat und den NRW-Ministerpräsidenten Laschet zwar als Kanzlerkandidaten akzeptieren musste, diesen aber scheitern ließ, weil er keine Ruhe gab, immerfort stichelte und stänkerte und im Stil eines kleinen Strauß den gemeinsamen Kanzlerkandidaten schlecht aussehen ließ. Weil sich Söder für den Besseren hielt, so wie damals Strauß niemand neben sich duldete. Wer erinnert sich an die Rede von Strauß im Lokal Wienerwald, als er über Helmut Kohl herzog, der nie Kanzler werde, weil er unfähig sei, politisch, moralisch und überhaupt. Die Geschichte ging dann anders aus, Kohl ließ Strauß 1980 als Kanzlerkandidaten passieren, sicherte dem CSU-Mann seine Unterstützung zu, weil er davon ausging, dass Strauß gegen Helmut Schmidt nicht die absolute Mehrheit erringen werde. So war es, die FDP hatte sich gegen den Bayern festgelegt mit ihrer Wahlkampf-Parole: FDP wählen, damit Helmut Schmidt Kanzler bleibt.
Parteiinterner Machtkampf
Die Story des „Verrats am Rhein“ dreht sich um all die Geschichten. Für viel Geld soll der Journalist Kurt Zink, der schon in Rente ist, die Biografie des ehemaligen Stasi-Offiziers Alexander Bock schreiben. Der rühmt sich, Willy Brandt beim Misstrauensvotum 1972 vor dem Sturz bewahrt zu haben. Zink misstraut den vorliegenden Erzählungen und Gerüchten. Er recherchiert, was all die Jahre verschleiert wurde: Das Misstrauensvotum war Teil eines parteiinternen Machtkampfs, einer Intrige gegen Rainer Barzel. Der CDU-Vorsitzende sollte als Kanzler verhindert werden. Aber wer steckte dahinter? Im Klappentext wird noch hinzugefügt, was man seit Konrad Adenauer weiß: „Feind-Todfeind-Parteifreund. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.“
Fiktive Erzählung mit realem Hintergrund
„Es ist ein Roman, eine fiktive Erzählung, die allerdings in einem realen, historisch-politischen Umfeld spielt“, schreibt der Autor in einem Nachwort und er listet auf, welche Personen und Fakten real sind und welche erfunden. Im Gespräch mit dem Blog-der-Republik präzisiert Palmer diesen Gedanken: Er habe schon immer den Eindruck gehabt, dass der von Steiner losgetretene Skandal einem Drehbuch folgte, das entweder in Pullach entworfen wurde oder in einer anderen Geheimdienstzentrale. Die Stasi hatte damals noch niemand auf dem Schirm. Und auf die Idee, dass Franz Josef Strauß dahinterstecken könnte, habe ihn erst Barzel im Jahre 2004 gebracht. Zuerst habe er die Vermutung für völlig absurd gehalten. Je länger er aber darüber nachdachte und je mehr direkte Querverbindungen zwischen Strauß, dem BND und Julius Steiner er fand, desto plausibler habe er Barzels Verdächtigungen gefunden. Er sei immer noch verblüfft, wie viele Details der Steiner-Wienand-Affäre seinerzeit unter den Teppich gekehrt wurden, die schon immer auf eine Beteiligung irgendeines Geheimdienstes hindeuteten.
Steiner als Agent des BND
Tatsache ist: Steiner war, was wenige wussten und andere längst vergessen hatten, in den Fünfzigerjahren BND-Agent. Und sein Führungsoffizier hieß Erwin Hauschildt, viele Jahre BND-Abteilungsleiter und glühender Anhänger seines Parteivorsitzenden FJS, den er jahrelang mit Interna aus dem Pullacher Dienst versorgte. Und eben dieser Hauschildt, der im Roman anders heißt, schickte Steiner Anfang des Jahres 1972 nach Ost-Berlin, damit er sich dort als Spitzel anwerben ließ. „Sollten da schon die ersten Maschen des ein Jahr später hochgeploppten Steiner-Wienand-Skandals geknüpft werden?“ fragt Palmer.
Da aber die Beweise fehlten und alle Beteiligten längst gestorben waren, habe er für die Leser seines Romans eine Stasi-Akte erfunden, die das Komplott gegen Barzel eindeutig belegt. Diese Akte, so Palmer, „ist jedoch eine Erfindung. Es gibt sie nicht. Sie befand sich weder in Barzels Besitz, noch habe ich sie jemals gesehen.“
Bis heute unbekannte Verräter
Der Spiegel-Korrespondent Hartmut Palmer hat am 4. September 2006 einen kurzen Nachruf auf Barzel verfasst, der so begann: „Er war einer der Großen in der damals noch jungen Bonner Republik- nur knapp verfehlte er 1972 beim konstruktiven Misstrauensvotum gegen Willy Brandt die Kanzlerschaft. Von der Stasi bezahlte Überläufer, aber auch bis heute unbekannte Verräter aus den eigenen Reihen- er selber zählte Franz Josef Strauß dazu- hatten ihm die Stimme verweigert.“
Der Roman-Autor wundert sich noch heute, warum damals niemand auf die zwischen zwei Gedankenstrichen verpackte Sensation reagierte. Auch dies hat ihn Jahre später veranlasst, die Geschichte in einem Roman noch einmal aus einem völlig anderen Blickwinkel, nämlich dem des damals unterlegenen CDU-Vorsitzenden Barzel zu erzählen. Das Buch, so Palmer in seinem Nachwort, sei zwar „kein Enthüllungsroman. Wohl aber der Roman einer Enthüllung.“
Ja, die vermuteten Zusammenhänge sind spannend, aber, ihre Einbettung in diesen Krimi ist so spannend, dass sie beim Lesen einer Fesselung weichen, die mich den Roman erst nach der letzten Zeile hat weglegen lassen.