Verheizen nennt man es, wenn Namen für ein Amt frühzeitig in den Ring geworfen werden. Es ist eine Binse: Wer vorzeitig genannt ist, wird nicht gewählt. Je höher das Amt, umso größere Vorsicht ist geboten, um einen aussichtsreichen Kandidaten nicht zu verbrennen. Erstaunlich also, dass SPD-Generalsekretärin Katarina Barley per Zeitungsinterview Frank Walter Steinmeier offensiv als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten ins Gespräch gebracht hat. Erstaunlich auch deshalb, weil sich laut Medienberichten die Vorsitzenden von CDU, SPD und CSU darauf geeinigt haben sollen, gemeinsam nach einem akzeptablen Kandidaten Ausschau zu halten.
Dass Frank Walter Steinmeier(SPD), der Bundesaußenminister, dieser Kandidat sein könnte, keine Frage: integer, seriös, vertrauenserweckend. Mit großer politischer und internationaler Erfahrung. Dass er das Amt als Gipfel seiner Karriere gern ausüben möchte: auch keine Frage.
Ohne Not auf den Markt geworfen
Umso mehr muss es ihn irritieren, dass sein Name – hinter vorgehaltener Hand schon öfter gehandelt, aber wegen zu vermutender Vorbehalte in der Union nicht offiziell genannt – , jetzt ohne Not von der SPD-Generalsekretärin auf den Markt geworfen wurde. Und dass dieser Vorschlag tags darauf verstärkend von Ralf Stegner, dem stellvertretenden SPD-Vorsitzenden, unterstützt wurde.
Es ist naiv zu glauben, dass diese Aktion ohne Kalkül lief. Eher steht zu befürchten, dass der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, nicht gerade in Freundschaft mit Steinmeier verbunden, den Segen oder gar die Initialzündung gegeben hat, um von einer anderen wichtigen Personalentscheidung abzulenken: die an Fahrt aufgenommene Frage, ob Gabriel seine Partei als Kanzlerkandidat in den Bundestagswahlkampf führen soll.
Er selbst möchte darüber offiziell erst zu Beginn des nächsten Jahres entscheiden. Das klare Votum des SPD-Landesverbands NRW für ihn kam ihm zu früh. Zumal die Bundestagsabgeordneten seines eigenen Landesverbandes Niedersachsen wenige Tage später mit großer Skepsis auf die nordrhein-westfälische Eloge reagierten. Nicht ohne Grund muss Gabriel befürchten, dass das der Startschuss für eine strittige Debatte über seine Eignung als Spitzenkandidat war. Ein monatelanges Für und Wider, in der Wählerschaft ohnehin mehr ein Wider als Für, würde seine Chancen noch weiter schwächen.
Zeitplan der SPD ist nicht zu halten
Der Zeitplan, erst Anfang 2017 über die Kandidatur zu entscheiden, ist unhaltbar. So wie ein gesetzter Zeitplan für die SPD in Oppositionszeiten stets obsolet war. Der Druck im Kessel ist viel zu groß, als dass er über den Jahreswechsel halten könnte.
Da sehnt sich der SPD-Vorsitzende noch nach wenigstens ein paar Wochen Ruhe, um selbstbestimmt seine Kandidatur auszurufen und nicht vorzeitig ausrufen zu lassen.
Um diese Zeit zu gewinnen, war es ihm recht, dass willige Helfer die Debatte auf Steinmeier und das Bundespräsidentenamt ablenkten. Und dann auch noch mit Krokodilstränen forderten, dass es beim Einzug ins Schloss Bellvue nicht um taktische Spielchen gehen dürfe.
Nein, Tapsigkeit der SPD-Generalsekretärin war es nicht, den Namen von Frank Walter Steinmeier für die Nachfolge von Joachim Gauck zu verbrennen. Die Aktion gehört eher zu den hinlänglich bekannten Taktik-Spielereien des SPD-Vorsitzenden. Frank Walter Steinmeier und erst recht das Amt des Bundespräsidenten hätten andere Wertschätzung verdient.
Bildquelle: Wikipedia, Arne List – Frank-Walter Steinmeier, CC BY-SA 3.0
Es kann sein, dass Norbert Bichers Analyse der Hintergründe und Motive für die Nennung von Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsidentenkandidat auch zutreffen. Ich möchte diese Analyse aber noch einen weiteren Aspekt, den Lagersapekt, ergänzen.
Rechnerisch hat Rot-Rot-Grün in der Bundesversammlung eine Mehrheit, einen Kandidaten bzw. eine Kandidaten aus ihrem Lager im dritten Wahlgang durchzubringen. Sollte es zu dieser Situation kommen, käme nur ein sozialdemokratischer Kandidat bzw. Kandidatin in Frage und für diesen Fall wäre Frank-Walter Steinmeier der richtige Kandidat. Wenn es zu dieser Situation käme, würde die Diskussion zum jetzigen Zeitpunkt dem Kandidaten kaum schaden. Wenn die SPD an ihm festhält – und warum sollte es sie nicht tun? – ändert das an den Mehrheitsverhältnissen nichts.
Wenn die SPD an ihrem Kandidaten festhält, würden allerdings zum einen die Grünen in die Entscheidung gezwungen werden, zu welchem Lager sie gehören wollen – und für die Linken wäre es die Nagelprobe sich einer Rot-Rot-Grünen Raison zu unterwerfen. Dass sowohl Grüne wie auch Linke vor dieser Entscheidungssituation scheuen, überrascht nicht. Eine SPD, die einen linken Führungsanspruch erhebt, könnte diese Entscheidung ihren Lagerpartnern aber nicht ersparen, sollte Rot-Rot_Grün überhaupt eine Perspektive haben. Sollten sich Grüne und Linke verweigern, könnte sich die SPD als alleinige politikfähige Kraft im Spektrum links der Mitte präsentieren und mit einem neuen Selbstbewußtsein für den Bundestagswahlkampf ausstatten.
Dass auf Initiative der SPD-Führung diese Diskussion angestoßen wurde, macht nur deutlich, dass die Absprache in der Großen Koalition einer gemeinsamen Kandidatensuche als das erscheint, was es ist: Der Versuch im Interesse von CDU/CSU, in der Bundespräsidentennachfolgefrage, die so viele politisch spannende Möglichkeiten enthält, etwas Zeit zu gewinnen. Dieser politisch ohnehin fragwürdige Versuch dürfte als gescheitert gelten.