„Ich hoffe, dass dieser Mistkerl nicht stirbt“, sagte FBI-Chef J. Edgar Hoover über Martin Luther King, als er die Nachricht erhielt, dass auf den bekanntesten Anführer der Bürgerrechtsbewegung ein Attentat verübt worden sei. „Wenn doch, werden sie einen Märtyrer aus ihm machen.“ Ausgerechnet Hoover, den man einen Feind des Schwarzen Vordenkers nennen darf, weil er ihn unerbittlich verfolgte, fast ein Leben lang jagte, ihn abhören ließ in Hotel-Zimmern, die der FBI-Mann zuvor hatte verwanzen lassen, der unbedingt einen Kommunisten aus King machen wollte, um ihn in der amerikanischen Öffentlichkeit lächerlich zu machen, ihn zu denunzieren. Martin Luther King starb mit gerade mal 39 Jahren am 4. April 1968 um 19.05 im Krankenhaus an den Folgen eines einzigen Schusses. Ein Attentat als fast logische Folge des unmenschlichen Rassismus in den USA, logisch, weil gegen Schwarze und vor allem gegen Martin Luther King unermüdlich gehetzt wurde, weil dieser für mehr Gerechtigkeit, Gleichheit und Integration kämpfte, gewaltlos, allein mit Worten legte er sich mit den Hoovers und Co an. „Jeder einzelne Rassist in diesem Land hat Dr. King getötet“, sagte der Aktivist James Farmer zu einem Journalisten. „Böse Gesellschaften zerstören immer ihr Gewissen.“
Hoovers Sorgen über die Folgen des Todes von Martin Luther King waren berechtigt, nicht das mit dem Märtyrer, aber „sein Tod steckte die Nation in Brand- in jener Nacht und in den kommenden Jahren. Memphis brannte. Detroit brannte. Washington D.C. brannte. Mehr als 100 Städte gingen in Flammen auf. Dutzende von Schwarzen Menschen starben. Mehr als Zehntausend wurden verhaftet.“ Schreibt Jonathan Eig, ein Journalist, der eine neue Biographie über den Pastor und Bürgerrechts-Kämpfer Martin Luther King geschrieben hat. Eig ist zudem Autor, war Reporter beim Wall Street Journal, er hat auch für die New York Times gearbeitet und den Esquire. Eig hatte sich schon einen Namen gemacht durch Biographien über Al Capone und über Muhammed Ali sowie über die Erfindung der Antibabypille. Breiter kann sich ein Schriftsteller kaum aufstellen.
Und jetzt also Martin Luther King. Jonathan Eig schreibt ein voluminöses Buch, einen richtig dicken Wälzer. Der interessierte Leser sollte sich nicht von den rund 700 Text-Seiten abschrecken lassen. Die Biographie liest sich wie ein Roman, man könnte sagen wie ein Krimi. Man nimmt es in die Hände und liest und liest und schüttelt immer wieder den Kopf über die Ungerechtigkeiten, die die Schwarzen Amerikaner erfahren, täglich macht man ihnen klar, dass man sie nicht dabei haben will, es sei denn als Arbeiterinnen und Arbeiter für niederste Tätigkeiten. Sie werden geschlagen, verprügelt, beschimpft, getötet, eingesperrt, sie dürfen nicht wählen, in Bussen weist man ihnen wenn überhaupt Plätze auf den hinteren Bänken zu. Täglich lesen sie, was sie nicht dürfen und wo sie nicht hingehen dürfen. Wer das Buch liest, empört sich innerlich über ein Land, dem der Ruf vorauseilt, es sei das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Aber diese Chance bietet sich im Grunde nur für Weiße.
Fesselnde Lebensgeschichte
Es ist eine fesselnde Lebensgeschichte des großen Kämpfers für die Rechte der Schwarzen, eines Mannes, der als Pastor mit seinen Predigten die Gläubigen in seinen Bann zieht, sie hängen an seinen Lippen. Und dieser Pastor kämpft, er erleidet Rückschläge, aber er gibt nicht auf, steckt die Schläge ein, die man ihm zufügt, es wirft ihn zurück, aber nicht aus der Bahn. Man muss seinen Kampfgeist bewundern, seine Ausdauer. Selbst Krankheiten lassen ihn nicht von seinem Ziel abbringen: Gleiches Recht für alle, Schwarze und Weiße.
FBI-Chef Hoover, den man selbst einen Kriminellen nennen muss, versucht, dem privaten Martin Luther King das Leben zur Hölle zu machen. Hoovers Leute wissen, dass Martin Luther King ein Womanizer ist, ziemlich untreu, dass er dauernd Liebschaften hat, fremd geht. Egal, in welchem Hotel sich der Bürgerrechtler aufhält, das FBI und Hoover waren vor ihm da und haben Wanzen angebracht. Das Liebesleben von King wird aufgezeichnet und der Presse angeboten, damit sie der Legende King, dem Pastor und Prediger, die moralischen Leviten lesen. Doch die Journalisten und Verleger beißen nicht an, das kompromittierende Material wird gleichwohl veröffentlicht. Seinem Ruf schadet es nicht.
Martin Luther Kings Kampf für Bürgerrechte richtet sich irgendwann auch gegen den Vietnam-Krieg, in den die Amerikaner verwickelt waren, Tausende und Abertausende US-Soldaten werden in diesen sinnlosen Krieg geschickt, bis zu einer halben Million US-Soldaten kämpften in Vietnam. Es gab Millionen Tote auf beiden Seiten, mit Bombardierungen versuchten die Amerikaner den Urwald zu entlauben, wie es hieß. Die Umweltschäden waren riesig. Aus dem Bürgerrechtler wurde der Friedenskämpfer Martin Luther King, US-Präsident Johnson, der anfänglich Sympathien für Kings Kampf um Bürgerrecht hatte, wurde zu seinem Gegner.
Jonathan Eig konnte bei seiner Arbeit an der Biographie auf gerade freigegebene FBI-Dokumente zurückgreifen, die belegen, wie stark Rassismus die US-Regierung leitete, King mundtot zu machen. King wusste oder ahnte, dass sein Kampf ihn das Leben kosten konnte. Er wollte die Welt verändern, damit sie lebenswert würde für alle, eben auch für die Schwarzen. Über mehrere Seiten wird der Leser an seine sagenhafte Rede „I have a dream“ gefesselt. Jonathan Eig hebt King nicht in den Himmel, er zeigt den Lebensweg des Mannes, der als Sohn einer rassistisch angefeindeten Mittelschichtfamilie in Atlanta aufwuchs, in Pennsylvania und Boston Theologie studierte, ehe es ihn an die Spitze der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung katapultierte. Der Autor verschweigt nicht die Plagiate in seiner Doktorarbeit, die man ihm vorhält. Auch die Skepsis, mit der der junge US-Präsident John F. Kennedy der neuen Bewegung begegnet, ist Inhalt des umfangreichen und lesenswerten Buches, das auch die vielen Anfeindungen, denen Martin Luther King immer wieder ausgesetzt war, thematisiert. Heute schmückt sich manche Stadt in den USA mit dem Namen Martin Luther King, Straßen und Schulen sind längst nach ihm benannt, dem Mann, der es sogar bis zum Friedensnobelpreisträger brachte, eine große Ehre, die dennoch den FBI-Chef Hoover nicht milde stimmte, sondern ihn eher noch antrieb, den Ruf des Martin Luther King mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln in den Schmutz zu ziehen. In Washington D.C.
steht ein Denkmal für King in der Nähe der Lincoln- und Jefferson-Monumente am Tidal Basin der National Mall, aus weißem Stein gemeißelt, 9,14 Meter hoch, das einzige Nationalmuseum in der US-Hauptstadt, das einer farbigen Person gewidmet ist.
Amerika blind vor Rassismus
Am 19. Juni 1968 sprach Coretta King, die Ehefrau am Lincoln Memorial zu Tausenden von Menschen, schreibt Jonathan Eig. Sie schilderte ein Amerika, das vor Rassismus so blind sei, dass es nicht sähe, wie gewalttätig seine Gesellschaft geworden sei. „Ein Kind hungern zu lassen, ist Gewalt. Eine Kultur unterdrücken ist Gewalt, Eine Mutter und ihre Familie bestrafen ist Gewalt. Unterbringung im Ghetto ist Gewalt. Medizinische Bedürfnisse ignorieren ist Gewalt. Verachtung von Armut ist Gewalt.“ Coretta King forderte dagegen zu einer Frauenpower auf. „Liebe ist die einzige Macht, die Hass zerstören kann.“
Am Ende des Buches wird der Leser darüber informiert, dass manche Hoffnungen der Schwarzen sich bis heute nicht erfüllt haben, dass Armut und Rassentrennung längst nicht überwunden sind, dass „Kings Leben und seine Erkenntnisse oft bis zur Unkenntnis geglättet sind“. Junge Menschen hörten zwar Kings Traum von Brüderlichkeit und seinen Wunsch, dass Kinder nach ihrem Charakter beurteilt werden sollen, aber sie hören nicht seinen „Aufruf zu fundamentaler Veränderung im Charakter des Landes.“ Amerika, das mir in zwei großen Reisen vor Jahren gefallen hat, ist nach meiner Schätzung ein gespaltenes, ein zerrissenes Land, in dem im kommenden November ein neuer Präsident gewählt wird. Allein die Möglichkeit, es könnte einer wie Trump erneut Präsident des mächtigsten Landes der Erde werden, lässt doch einen demokratischen Beobachter erschauern. Ein Mann, ein reiner Egoist, dem all das fremd ist, was ein Martin Luther King sein Leben lang gepredigt und gefordert hat. Mitmenschlichkeit, Brüderlichkeit, Gleichheit sind für ihn Begriffe, die ihn überhaupt nicht interessieren. Wohin führt unser Weg? fragt Jonathan Eig am Schluss des Buches. Es endet mit einem Zitat von Martin Luther King: „Unser blankes Überleben hängt von unserer Fähigkeit ab, wach zu bleiben, uns an neue Ideen anzupassen, wachsam zu bleiben und uns der Herausforderung von Veränderung zu stellen“.
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