Uwe Seelers Lieblingsspruch war angeblich „Das Schönste auf der Welt ist doch, normal zu sein“. So hat er sich empfunden, seine Karriere und vor allem sein Leben danach. Aber normal waren weder seine Zeit als Fußballer noch als erfolgreicher Geschäftsmann danach, allenfalls vielleicht im Privaten. „Uns Uwe“ war ein Nationalsymbol, weil er authentisch, ehrlich und bodenständig blieb, trotz seiner außerordentlichen Erfolge. Schon als Jugendspieler machte er auf sich aufmerksam, erzielte Tore am Fließband und durfte mit Sondergenehmigung schon mit 16 Jahren bei den „Senioren“ (heute würde man wohl 1. Mannschaft sagen) des HSV spielen. Schon in seinem ersten „Pflichtspiel“ erzielte er 4 Tore. Und mit gerade 20 Jahren wurde er Schützenkönig in der damaligen Oberliga Nord. Und dieses Kunststück wiederholte er in den folgenden 6 Jahren 5x. Seine Quote war auch aufsehenerregend, denn er erzielte in jeweils 30 Ligaspielen im Schnitt immer ein Tor. Und auch die erste Bundesligasaison sah ihn als Torschützenkönig und Sportler des Jahres. Die ganz großen Titel mit der Mannschaft, wie wir sie heute als selbstverständlich bei so herausragenden Fußballern ansehen, blieben ihm oft verwehrt. Zumindest, wenn man nur die Titel zählt. Er wurde zwar einmal Deutscher Meister und Pokalsieger mit dem HSV, aber waren es ansonsten national und vor allem international – im günstigsten Fall – doch eher die Vize-Titel (z.B. im legendären WM-Finale von Wembley 1966) und meistens doch eher das Mittelmaß mit dem für den HSV eher grauen Alltag der Bundesliga. Aber gerade das zeichnete ihn aus, er war immer ein echter und fairer Sportler. Er hat wegen des ausbleibenden Erfolgs, so wie es heute bei so vielen gutverdienenden Kicker Standard ist, nie an einen Wechsel gedacht. Und: In seiner ganzen Karriere hat er nur ein einziges Mal die rote Karte gesehen, weil er sich zu einem Revanchefoul hinreißen ließ. Das nagte lange an ihm. Auch das ist nicht normal. Für ihn war immer das Spiel, die Mannschaft und das Publikum wichtig. Dafür gab er alles und das begründet auch, warum er ein Millionenangebot ausschlug und in seinem geliebten Hamburg blieb. Allerdings getröstet mit einem lukrativen Angebot auf Lebenszeit eines großen Sportartikelherstellers. Auch damals war man als Profifußballer privilegiert. Und ganz sicher auch der bescheidene Uwe Seeler, der dennoch nach heutigen Maßstäben auch international ein Superstar war. Neben ihm gab und gibt es nur eine kleine Zahl von Fußballern, die uns ähnlich beeindruckt haben. Franz Beckenbauer, Pele, Ferenc Puskás, Fritz Walter, Alfredo Di Stefano. Bobby Charlton, Eusebio. Viel mehr fallen mir nicht ein. Die „Weltfußballer“ der jüngsten Zeit mögen bessere Fußballer sein, weil Trainingsmethoden und Möglichkeiten, das Umfeld und die „Verdienste“ der Medizin ihnen das ermöglichen, aber Charakter, Authentizität und Bodenständigkeit sind als fundamentale Werte verblasst. Es wird heute an anderen Werten bemessen: Den Transfersummen!
1960 hat Uwe Seeler als 24jähriger umgerechnet 7.200 EURO verdient. Nicht am Tag, in der Woche oder im Monat, nein, das war sein Jahresgehalt. Der Durchschnittsverdiener der damaligen Zeit war froh, wenn er auf die Hälfte kam. Heute liegt das Durchschnittsbrutto von Vollzeitbeschäftigten bei ca. 48.00 EURO. Das sind rund 15-mal so viel wie 1960. In der Bundesliga liegt das Durchschnittsgehalt der Kicker bei 1,8 Millionen, das sind also 250-mal so viel wie der Spitzenverdienst von Uwe Seeler vor ca. 60 Jahren, der Spitzenverdiener der letzten Saison strich ca. 20 Millionen ein (heute wissen wir, dass er sich damit enorm und ungerechterweise unterbewertet und -bezahlt fühlte!), das sind mal eben so 2777-mal so viel wie der Spitzenverdienst 1960. Das ist nicht normal. Der Durchschnittsverdiener 2022 liegt in etwas beim Faktor 15 im Vergleich zu 1960, der Spitzenfußballer beim Faktor 2777! Dabei muss erwähnt werden, dass es 1960 nur zwei oder drei so gut bezahlte Profis gab. Heute hat allein der FC Bayern München ein Personalbudget von über 300 Millionen EURO im Jahr, stark steigend! Selbst beim Zweitliga-Dino HSV (lieber Uwe Seeler, sehe mir das bitte nach) gibt man 40 Millionen fürs zweitklassige Personal aus. Hier sind Dinge aus dem Ruder gelaufen. Kein Fußballer, kein Mensch leistet Arbeit, die 20 Millionen EURO im Jahr wert ist. Keine mäßig erfolgreiche Zweitligamannschaft sollte 40 Millionen Personalbudget haben. Kein Spieler in der 4.Liga sollte das Vielfache eines hart arbeitenden Vollzeitbeschäftigten verdienen. Hier wurden Maßstäbe verrückt. Und genau das hat Uwe Seeler zu einer Legende gemacht: Er hat immer Maß gehalten und immer den Fußball im Mittelpunkt gesehen. Und die Menschen. Für die hat er sich immer eingesetzt, öffentlich, persönlich und in unzähligen Ehrenämtern. Daher ist und war er zurecht ein Vorbild, eben nicht nur auf dem Platz. „Uns Uwe“ wird uns auch deshalb immer in ganz besonderer Erinnerung bleiben!
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